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Alle starrten uns an. Die Augen der anderen huschten fiebrig, ja schon fast gierig, zwischen uns hin und her. Ich konnte sie immer noch nur anstarren. Mir schoss eine Frage nach der nächsten durch den Kopf, während sie mich immer noch angewidert musterte.

Was tat sie hier? Warum war sie hier?! Warum war sie so gemein zu mir? Was hatte ich denn bitteschön getan, in der einen Stunde, in der ich erst hier war? Hatte Mai's Verhalten etwas mit Ally zu tun? Würden wir wieder Freundinnen werden? Wollte ich das überhaupt? Und was zum Teufel tat sie hier?! Leider wusste ich nur auf eine Frage eine Antwort.

Nein, ich wollte nicht wieder mit ihr befreundet sein, nicht nachdem sie mich die letzten sieben Jahre so behandelt hatte, eigentlich ignoriert hatte.

Das langsam unheimlich werdende Starren wurde schließlich von Mrs. Macarthur beendet: „Meine Damen und Herren ich möchte ja nicht stören, aber...JEDER VON EUCH BEWEGT SEINEN HINTERN UND MACHT 50 LIEGESTÜZEN!!!"

Den letzten Teil brüllte sie uns mit einem Megafon zu, ich hatte keine Ahnung wo sie das auf einmal herhatte, und deutete auf den hinteren Teil der Halle. Die anderen Schüler wirkten wenig beeindruckt, machten sich aber murrend auf den Weg. Nur ich blieb zurück. Ich wusste nicht ob ich ihnen hinterher sollte, aber ich kann einfach keine Liegestützen machen. Nach einigen Minuten viel ich dem Coach auf.

Sie hob wieder ihr Megafon und schrie mir ins Gesicht: „WAS STEHST DU HIER NOCH SO BLÖD RUM, GEH MIT DEN ANDEREN LIEGESTÜTZEN MACHEN!!!"

Ich sah sie an, und versuchte meine ganzen Gedanken in meinen Blick zu legen, so etwas wie zum Beispiel: Was ist bei ihnen falsch gelaufen? oder Sind sie Sehbehindert? Vielleicht auch Wollen sie mich verarschen? Doch ich sagte nichts dergleichen.

Stadtdessen antwortete ich: „Ich sitze im Rollstuhl...ich kann keine Liegestützen machen!"

Sie musterte mich noch einmal. Ihre wulstigen Lippen verzogen sich zu einem O.

„Ja, also, dann komm mal mit mir mit."

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Nachdem ich den anderen eineinhalb Stunden beim Hochleistungssport zugesehen hatte war ich allein schon vom Zuschauen völlig fertig. Immer wieder hatte ich heimlich zu West gestarrt. Nun ja, ich versuchte es heimlich und unauffällig zu tun. Das hatte nicht sonderlich gut geklappt, doch einmal als er mich dabei erwischte, hatte er nur gegrinst und mir zugezwinkert. Ich hatte beschlossen ihn solange West zu nennen, bis ich seinen Vornamen erfuhr. Außerdem hatte ich beschlossen mich an ihn zu klammern wie an einen Rettungsanker. Er ist der einzige, der nett zu mir war. Also, so einigermaßen. West ist der einzige der mich nicht ignoriert. Und ich habe das Gefühl das Ally dahintersteckt, dass mich noch nicht mal mehr jemand anschaut. Unwillkürlich griff ich zu meiner Kette und berührte den kleinen silbernen Engel. Was ich ihr wohl getan hatte? Mrs. Macarthur hatte mir inzwischen die Macht über ihr Klemmbrett verliehen. Aber keine Aufgabe. Also hatte ich mein Schlampermäppchen hervor gezogen und zu kritzeln begonnen. Doch ich hatte nichts anderes als Herzen zustande gebracht. Seltsam... Genervt von mir selbst warf ich meinen Stift zurück ins Mäppchen.

Während ich noch darüber nachgrübelte, was das wohl zu bedeuten hatte, hatte unsere megafonabhängige Sportlehrerin wieder begonnen durch dieses, Befehle zu brüllen; wie zum Beispiel „MS STIRLING, DIE KNIE HÖHER!" oder „DEIN MAKE-UP KANNST DU AUCH NOCH SPÄTER VERÄNDERN, SMITH, UND JETZT BEWEG DEINEN HINTERN!" nicht zu vergessen „ES INTERISSIERT MICH NICHT OB DU GERADE OHNMÄCHTIG WARST, LAUF WEITER!"

Nicht zum ersten Mal in diesen eineinhalb Stunden fragte ich mich, ob hier alles mit rechten Dingen zuging. Mrs. Macarthur hatte sich anscheinend ein paar arme Schw... meiner Mitschüler herausgepickt, die sie nicht mochte und nach Herzenslust und mit einem perversem Grinsen im Gesicht liebend gern quälte. Hier eine extra Runde, dort höhere Hindernisse. Ich war echt überrascht, was diese Turnhalle alles hermachte. Natürlich hatte sie, also Mrs. Macarthur, auch ihre Lieblinge, und die waren, große Überraschung, Ally und West. Bei West konnte ich sehr gut verstehen, warum sie schwach wurde...Aprilynne!!! Die beiden kriegten ständig Lob, was, nun ja, auch meistens angebracht war. Doch ich weiß auch nicht, bei Ally machte mich das unglaublich wütend, wie ich mir irgendwann eingestand. Mai versuchte sich immer so weit wie möglich von mir fern zu halten. Auch wenn ich sie erst seit kurzem kannte, schmerzte ihr Verrat sehr. Sie würdigte mich keines Blickes und beobachtete (wie fast alle weiblichen Wesen und auch ein paar neidische männliche) immer wieder West verstohlen. Dann endlich erlöste die Schulglocke mich von meinen Grübeleien. Mrs. Macarthur schrie noch ein letztes Mal in ihn ihr Megafon, dass sich jetzt alle umziehen durften und dass sie das Klemmbrett wieder haben wollen würde. Dann verschwandt sie mit Megafon und Klemmbrett. Ob sie es wohl auch mit auf die Toilette nehmen würde? Bei dem Gedanken musste ich lächeln. Inzwischen war ich allein in der rieseigen Halle. Ich sah mich um. Niemand zu sehen. Ich war allein. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie es wohl wäre, wenn die Halle voll mit Zuschauern wäre und sie alle nur meiner Stimme lauschen wollten. Mit den Jahren hatte ich meinen Traum Prima Ballerina zu werden begraben und hatte festgestellt, dass ich einigermaßen gut singen konnte. In meiner Vorstellung glitt der rote Seidenvorhang beiseite, ich rollte nach vorne zum Mikrofon und die Scheinwerfer richteten sich auf mich. Im Saal war es still, bis die ersten zarten Klavierklänge erklangen.

AprilynneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt