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Mai und ich beschlossen, die restlichen Unterrichtsstunden zu schwänzen und die uns begrenzt bleibende Zeit besser zu nutzen. Noch vor einigen Monaten war es für mich undenkbar gewesen einfach zu schwänzen, vielleicht lag das daran, dass ich davor Zuhause von meiner Mutter unterrichtet worden war. Vielleicht aber auch daran, dass mir im Moment so ziemlich jegliche Regeln egal waren. Möglicherweise war das eine rebellische Phase oder es lag einfach daran, dass ich nicht mehr lange in diesem Land und an dieser Schule seien würde. Eventuell würde es in meine Schulakte geschrieben werden, wenn so etwas überhaupt existierte.

Da Mai meinte, dass sie auf diesen Schock jetzt erstmal einen kaufe bräuchte, machten wir uns auf zum Ausgang der Schule. Als uns die inzwischen kühler werdende Luft entgegenschlug atmete ich auf. Zwar war mir nicht bewusst gewesen, welche Anspannung das Schulgebäude in mir hervorrief, auch wenn ich nicht direkt sagen konnte, warum. Vielleicht, weil sich hier meine ganz persönlichen Dramen abgespielt und teilweise ihren Anfang gehabt haben.

Womöglich war der Umzug nicht so schlimm wie am Anfang gedacht. Eine neue Schule mit mir völlig Fremden hatte inzwischen für mich an Reiz gewonnen. Obwohl ich gerade erst vor ein paar Monaten auf diese Schule gekommen war und ich damals diesem Wechsel mit ein wenig Angst entgegen geblickt hatte, es wäre schon schön, an eine Schule zu kommen, wo nicht jeder meine ganze Lebensgeschichte kennt und ich bekannt war wie ein bunter Hund.

Da fiel mein Blick auf Mai, die einen Schritt vor mir ging und mit finsterer Miene auf den Bürgersteig starrte. Sofort schämte ich mich meiner Gedanken. Der Umzug würde bedeuten, dass Mai nicht dort wäre obendrein würden wir uns noch nicht mal mehr auf demselben Kontinent befinden.

„Wo gehen wir eigentlich hin?", fragte ich, nachdem mir das Minuten lange schweigen zu viel wurde.

Mai lachte.

„Was ist so komisch?"

„Ich hatte gehofft du könntest mir diese Frage beantworten.", erwiderte sie immer noch lachend.

Ich fiel mit in ihr Lachen in, während Mai stehen blieb und sich umsah: „Ich glaube, ich weiß, wo sich hier in der Nähe ein super Cafe befindet."

Mit diesen Worten marschierte sie los und ich hatte Mühe sie einzuholen, weil sie so schnell lief.

Nach einigen Minuten erreichten wir eine Straße, die mir in irgendeiner Weise bekannt vor, doch ich konnte nicht einordnen woher. Ich schaute nicht genau hin, ich sah zwar die Häuser, die Bäume an den Seiten der Straße, den Briefkasten vor dem Cafe, sogar das Cafe selbst und dessen Schild sah ich, doch ich nahm es nicht wahr. Es war als würde ich meinen Blick durch eine Kunstgalerie schweifen lassen. Desinteressiert, wofür sollte man das einmal brauchen? Ich würde bald die Staaten verlassen, vielleicht nie wiederkehren. Also wofür nette Cafés merken?

Erst als eine Frau mit ausgebreiteten Armen und breitem Grinsen auf mich zugelaufen kam, klärte sich mein Blick.

„Kennst du die?", raunte Mai mir leicht befremdet zu.

Ich lächelte gequält als Fine mich in ihre Arme schloss: „Ach April, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue dich wiederzusehen! Was, was ist denn zwischen dir und Liam vorgefallen? Du musst mir alles erzählen. Hat er sich daneben benommen? Jetzt komm erst mal rein. Oh! Da ist ja noch jemand. Wer bist du denn? Nette Haarfarbe. Hatte ich auch mal. Aber jetzt kommt rein und esst und trinkt erstmal was. Los, nicht so schüchtern."

Liams Mutter unterbrach ihren Redefluss, als sie sich umdrehte und auf die Tür ihres Cafes zumarschierte.

Mai sah mich mit einem deutlich verstörten Gesichtsausdruck an. „Wer zum Teufel ist das?", fragte sie fassungslos und sah Fine mit gerunzelter Stirn hinterher.

Ich lächelte sie entschuldigend an: „Das ist Fine. Liams Mom."

Mais Mund verzog sich zu einem stummen oh, während wir Fine ins Innere des Hauses folgten.

# # #

Kurz darauf saß ich vor einer dampfenden Tasse Kakao, trotz des immer noch warmen Wetters, und Mai vor ihrem heiß ersehntem Kaffe. Vorsichtig nahm ich einen Schluck, während Fine die Tür zu ihrem Büro öffnete und eintrat. Sie stellte zwei Teller mit Keksen und Muffins vor uns ab. Dann setzte sie sich selbst und verschränkte die Hände ineinander.

„Also? Was hat er getan?", fragte Fine, doch ich hatte nicht sonderlich Lust Liam an seine Mutter zu verpetzen.

Als ich ihr nicht antwortete huschte ihr Blick zu Mai, die sie fordernd anschaute. Mai starrte ungerührt zurück. Als Fine seufzte fühlte ich mich mit einem Mal unwohl. Ich wollte nicht hier sein, es kam mir nach allem was passiert war nicht mehr richtig vor.

„Fine, wir-", begann ich, doch Fine hob die Hand und bedeutete mir so zu schweigen.

„Nein April, ihr müsst noch nicht gehen. Ich will wissen, was mit meinem Sohn los ist! Es ist schlimmer als letztes Mal, als ihr Streit hattet und ich weiß, dass es etwas mit dir zu tun hat, ich will dir nichts vorwerfen, nur wissen was mit Liam los ist."

Ich seufzte und, obwohl sich alles in mir zusammen zog, erzählte ich Fine Teile der Wahrheit. Was ich außen vor ließ, war der heutige Tag und dass ich wegziehen würde. Das brauchte Liam nicht zu erfahren.

AprilynneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt