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Ich hatte vollkommen das Zeitgefühl verloren. Ewig hätte ich so neben Ethan sitzen können, schweigend. Aber kein schlechtes Schweigen, wie wenn man sich gestritten hat und jetzt jeder in seiner Ecke schmollt, sondern ein Schweigen, dass, so hatte ich das Gefühl mehr sagte als Worte. Es war ein friedliches Schweigen. Und doch, obwohl es so schön war dort mit Ethan zu sitzen, nagte Mais Verhalten an mir. Was hatte ich der Welt denn getan, dass niemand etwas mit mir zu tun haben wollte. Abgesehen von Ethan und meinen Eltern. Während ich weiter grübelte bewegte sich Ethan neben mir.

Er beugte sich vor und sah mich an, als wollte er etwas sagen. Doch er schwieg. Er holte tief Luft und öffnete den Mund, nur um ihn dann wieder zu schließen. Ethan räusperte sich, schwieg aber immer noch.

Inzwischen hatte sich das Schweigen geändert. Es war nun nicht mehr friedlich, sondern irgendwie aufgeladen.

Ethan öffnete und schloss seinen Mund nun im drei Sekunden Takt. Plötzlich bekam ich Panik.

War das vielleicht ein epileptischer Anfall? Was sollte ich tun?

Doch es schien, als wäre es keiner gewesen, denn genauso plötzlich wie Ethan damit angefangen hatte, hörte er auch wieder auf. Dann drehte er seinen Kopf zur Seite und stieß Luft aus.

Er atmete tief ein und sagte endlich etwas: „A...April?" Seine Stimme zitterte. Irgendetwas stimmte hier ganz gewaltig nicht. Ethans Stimme zitterte sonst nie.

Ich schaute auf: „Ja?"

Wieder holte er tief Luft und...

...antwortete nicht. Stattdessen schüttelte er den Kopf, dieser Junge brachte mich gerade um den Verstand. Ich blickte in seine stahlblauen Augen und sah darin Zweifel.

Warum? Woran zweifelte er? Da kam mir ein schrecklicher Gedanke, was, wenn das alles, mit der Freundschaft für Ethan zu viel geworden war? Ich klammerte mich wirklich an ihn, wie an einen Rettungsanker. War ich ihm zu aufdringlich geworden? Hatte er genug von mir? Jetzt auf einmal?

Heiße Tränen stiegen mir in die Augen und ich hatte das Gefühl, dass jemand auf meinem Brustkorb saß. Ich versuchte sie herunterzuschlucken, doch sie wollten nicht. Nun war ich es, die mich abwandte. Ich betrachtete alles um uns herum nur nicht Ethan. Nach einigen Minuten, war es besser. Erst als ich wieder frei atmen konnte, merkte ich wie Ethan mich anstarrte. Und wenn ich anstarren sage, dann meine ich das auch so. Er registrierte jede meiner Bewegungen. Normalerweise hätte ich es genossen seinen Blick auf mir zu spüren, doch nach der Nummer, die er da gerade eben abgezogen hatte, fand ich das nun etwas bedenkenswert. Als sich unsere Blicke trafen, hatte ich das Gefühl, dass seine Augen dunkler wurden. In seinen Augen standen außerdem keine Zweifel mehr, sie waren grimmiger Entschlossenheit gewichen. Er ließ die Hand fallen, die er eben noch als Faust auf den Mund gepresst hatte und setzte gerade zum Reden an, als sein Handy vibrierte. Er zog es aus seiner Hosentasche und starrte auf das Display. Ethan runzelte die Stirn und blickte noch finsterer.

Ich beobachtete ihn genau. Wahrscheinlich starrte ich ihn jetzt genauso an, wie er mich vor wenigen Minuten. Ich wusste auch nicht warum, aber irgendwie war ich misstrauisch geworden. Ich war mir zwar noch sicher, dass ich in ihn verliebt war, doch er verhielt sich so seltsam...

Ethan steckte sein Handy wieder weg und schaute mich an. Eben war sein Blick noch hart, finster und verschlossen gewesen, doch was ich jetzt darin sah verschlug mir die Sprache, sein Blick war so unglaublich liebevoll. Zur Sicherheit drehte ich mich um und schaute, ob da jemand hinter mir stand. Zum Glück nicht. Als ich mich wieder Ethan zu wandte hatte sich ein schiefes Lächeln auf sein Gesicht gestohlen. Er schaute mir so ehrlich und offen in die Augen, dass ich fast glaubte mir das eben nur eingebildet zu haben.

Meine Zweifel schmolzen dahin, wie Eis in der Mittagssonne?, dass wäre nicht der richtige Vergleich gewesen, denn sie verschwanden viel schneller. Nervös spielte ich an meiner Kette herum. Ethan rutschte auf der Bank auf der er saß näher an mich heran, wirklich nah konnte er mir nicht kommen, denn ich stand neben der Bank. Doch Ethan rutschte wirklich so nah wie es ging an den Rand der Bank und da ihm das nicht zu reichen schien drehte er sowohl sich selbst als auch mich um 90°. Nun berührten sich unsere Knie. Sofort flatterten in meinem Bauch Schmetterlinge. Als Ethan dann auch noch begann mit einer meiner Haarsträhnen zu spielen drohte mein Herz vor Glück zu platzen. Immer noch lächelnd griff Ethan nach meiner Hand und hielt sie fest.

So viel Glück.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit grinste ich wie der letzte Idiot. Wenn ich vorhin schon gedacht hätte mit Ethan bis in alle Ewigkeit schweigend dazu sitzen, viel mir jetzt keine Zeitspanne ein, die lang genug gewesen wäre. Ich bemerkte die Leute, die an uns vorbeigingen und wissend lächelten kaum. Gut möglich, dass die Welt hätte untergehen können und ich es nicht mitbekommen hätte. Ethan nahm mein ganzes Blickfeld für sich ein. Nicht das er dick gewesen wäre, nein, ich wollte und konnte nur ihn sehen. Als Ethan sich vorbeugte um seine Stirn an meine zu legen fielen meine Haare nach vorne, sodass sie einen Vorhang bildeten, der uns vom Rest der Welt trennte. Ich öffnete den Mund um ihm zu sagen, was ich für ihn empfand, doch er beugte sich vor und schloss meinen Mund mit seinem.

Glück, so viel Glück.



AprilynneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt