Als wir dann irgendwann in unserem Mathekurs angekommen waren, war schon die Hälfte vorbei. Der Mathelehrer Mr. Jones kommentierte unser akutes zu Spätkommen mit einem strengen Blick. Mehr aber auch nicht. Im Gegensatz zu Ally. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie mich wahrscheinlich mit einem Messer aufgeschlitzt. So sah auf jeden Fall ihr Blick aus, als Ethan sich neben sie auf seinen Platz gleiten ließ und mir bedeutete mich neben ihm niederzulassen. Während ich Mr. Jones musterte, er war noch ziemlich jung und hatte blonde Haare, versuchte er der Verzweiflung nahe der Klasse etwas über den Satz des Thales beizubringen. Doch kaum jemand schenkte ihm Aufmerksamkeit. Ich inzwischen auch nicht mehr. Zu sehr zog Ethan meine Blicke auf sich (und die sämtlicher anderer Mädchen im Raum). Ich machte nur einen Fehler: mein Blick wanderte kurz zu Ally hinüber, die mich mit ihrem wahnsinnigem Serienkillerblick anstarrte. Dieses Mädel machte mir gerade echt Angst.
Sie ließ mich nicht aus den Augen, während ihre Lippen lautlos: Finger weg von ihm! formten. Schnell senkte ich den Kopf. Und öffnete meinen Zopf, es war mir egal ob meine Haare strähnig waren oder nicht. Nun bildeten sie einen Vorhang, so musste ich niemanden anschauen und niemand konnte mich anschauen.
Niemand kann mich anschauen, niemand kann mich anschauen, niemand kann... Meine Gedanken wurden von einem Zettel unterbrochen, der durch meinen Haarvorhang geschoben wurde.
Alles klar? Ich hob leicht den Kopf und schaute in Ethans Gesicht, ich nickte. Er drückte mit der Hand leicht meine Schulter. Tröstend. Das alles blieb natürlich von Geier Ally nicht unbeobachtet. Schnell wandte ich wieder den Blick ab und ließ ihn durch den Raum schweifen. Keine Mai. Ein paar andere glaubte ich aus dem Sportunterricht wiederzuerkennen, war mir aber nicht sicher. Der restliche Matheunterricht verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ally bedachte mich weiter mit ihren Killerblicken und ich versteckte mich hinter meinen Haaren.
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Nachdem ich Mathe und so gut wie alles von Geschichte,in diesem Kurs war Mai auch wieder anwesend und Ethan auch ,über mich hatte ergehen lassen, neigte sich der Schultag dem Ende. Zum einem war ich fast euphorisch, weil das hieß, dass ich keine Minute länger mit Ally verbringen musste. Zum anderen war ich ein bisschen traurig, da ich Ethan nicht mehr sehen würde. Ich hatte ja keine Ahnung, wann ich das nächste Mal wieder mit ihm in einem Kurs war. Als es dann gongte sammelten alle möglichst schnell ihre Sachen ein und stürzten in kleinen Gruppen plappernd aus dem Raum. Auch ich stopfte meine Sachen in meine Tasche. Da entdeckte ich Mai, die immer noch an ihrem Platz saß und aus dem Fenster starrte. Ich rollte zu ihr hin. Jetzt wollte ich endlich Gewissheit. Als ich vor ihr stand, schien sie mich immer noch nicht zu bemerken, ich räusperte mich leise. Nichts.
„Mai?", fragte ich leise.
Sie riss den Kopf herum und schaute mich aus weit aufgerissenen Augen an.
„Oh, äh...Hi April...", stotterte sie.
„Mai, warum verhältst du dich so komisch?"
„Wieso? Ich weiß echt nicht was du meinst..."
„Ach komm schon. Komm sag es mir bitte."
Mai sah sich hilfesuchend um, doch niemand war in Sicht. Schließlich begann sie nervös an ihrem Zopf herum zu fummeln. Ich fixierte sie immer noch.
Letzten Endes sah sie auf ihre nicht vorhandene Uhr:„Du April, tut mir echt Leid, aber ich habe...äh...einen...öhm...sehr wichtigen Termin! Tschüss dann. Man sieht sich!"
Mai rauschte aus dem Raum. Ich ließ die Luft aus meinen Lungen. Mai hatte wahrscheinlich keine Ahnung, wie sehr sie mich mit ihrem Verhalten verletzte. Ich überlegte, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war auf eine öffentliche Schule zu gehen, doch dann hätte ich heute nicht Ethan kennen gelernt und jetzt seien wir mal ehrlich, wer wollte schon ohne Freunde leben? Nun ja, ich hatte jetzt noch nicht wirklich welche gefunden, aber hier würde das noch eher klappen als in unserem Wohnzimmer.
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Wieder Zuhause angekommen verzog ich mich gleich in mein Zimmer. Ich brauchte Zeit und Ruhe zum nachdenken und keine singende Fleisch bratende Mutter. Ich rollte zu meinem Schreibtisch und fischte aus meiner Stiftebox den Schlüssel für die unterste Schublade, in der mein Tagebuch lag. Nachdem ich es aufgeschlagen hatte begann ich meine Gedanken zu ordnen.
Liebes Tagebuch,
heute war mein erster Schultag an einer öffentlichen Schule seit dem Unfall. Und rate mal (welches verlogene Miststück) welche alte Bekannte ich dort getroffen habe. Niemand würde je darauf kommen. Ally Valentine. Meine ehemalige beste Freundin, die sich nach dem Unfall von mir abgewandt hat, und die ich vor heute seit 9 Jahren nicht mehr gesehen habe! Außerdem habe ich Mai kennengelernt. Ich mag sie sehr, am Anfang schien es auch so, als würde sie mich mögen, doch auf einmal wurde sie so komisch und ist vor mir weggerannt. Und dann bin ich noch Liam Ethan West begegnet. Er ist einfach nur...hach! Umwerfend? Unglaublich? Unmöglich gutaussehend? Aber natürlich muss ausgerechnet er mit ALLY zusammen sein!!! Warum ALLY?!
WARUM?! :( Auf jeden Fall hasst sie mich. Na ja vielleicht könnte es auch in Gegenseitigkeit umschlagen, wenn sie so weiter macht... sie sieht mich an und behandelt mich als wäre ich aus dem Abfluss ihrer Dusch gekrabbelt!!! AAARRRRGGGG!!!!!!!!!! Ich bin total verwirrt. Solche Wutanfälle sehen mir gar nicht ähnlich. Und dass ich Jungen anschmachte erst recht nicht...
Nachdem ich den Tagebucheintrag beendet hatte fühlte ich mich unendlich müde. Ich schloss es behutsam. Schon lange Zeit war es mein einziger Ort gewesen an dem ich all meine Gefühle frei lassen konnte, ohne dass meine Mutter empört nach Luft schnappte oder mir einen Vortrag über meine Ausdrucksweise zu halten. So ähnlich ging es mir beim singen. Nachdem ich das hellblaue Büchlein wieder sicher verstaut hatte, beschloss ich meine Hausaufgaben für morgen zu machen, danach etwas zu essen und dann ins Bett zu gehen.
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Aprilynne
Teen FictionAprilynne ist 16 und an den Rollstuhl gefesselt. Als ob das nicht schon genug Probleme wären, stößt sie an ihrer neuen Schule auf Mitschüler, die scheinbar etwas zu verbergen haben. Wird April es schaffen hinter ihre Geheimnisse kommen?