Wir kennen uns schon lange, lange bedeutete in unserem Fall seit meinem achten Lebensjahr, also bereits achtzehn Jahre. Und achtzehn Jahre sind eine lange Zeit gemessen für eine Freundschaft die zu Liebe wird. Liebe führt bekanntlich oft zur Heirat und diese Etappe liegt nun auch schon wieder einige Jahre zurück und so sind wir im langweiligen Ehealltag gestrandet.
Wie jeden Morgen lese ich in der Zeitung die Annoncen und Artikel, die mein Leben nicht wirklich bereichern und er bereitet sein Frühstück vor, während ich mein Messer zur Seite lege.
Er wirkt hektisch wie so oft morgens und ich sehe wieder dieses erwartungsvolle Blitzen in seinen Augen.1. „Ich weiß es." 2. 3. Er dreht sich zu mir um. 4. Dabei sieht er mich komisch an, so komisch, als ob er hoffe, dass ich nicht das meine, was ich meine und beabsichtige auszusprechen. 5. „Was weißt du?" will er fragend wissen und überspielt seine Nervosität mit einem Lächeln. 6. 7. Mein Lächeln erstirbt und zieht sich zu einer schmerzvollen Grimasse. 8. „Dass du mich betrügst." 9. 10. Und leiser füge ich hinzu: „Das weiß ich." 11. Verblüfft schaut er mir in die Augen, das erste mal seit Monaten sieht er mich wirklich an. 12. Seine Augen sind eisblau. 13. „Schatz", er kommt auf mich zu, „Ich doch nicht." 14. 15. Dabei weiß ich es genau. Lügner, schießt es mir durch den Kopf. 16. „Ach, dann ist es wohl purer Zufall, dass Grace euch neulich gesehen hat. Küssend, innig küssend." presse ich hervor, es ist als würde mir die Luft zum Atmen fehlen. 17. Er presst seine Lippen aufeinander. 18. Er schweigt, schweigt wie immer wenn es unangenehm wird. 19. Wieso sagt er nichts dazu?, denke ich verzweifelt und meine Hände verkrampfen sich. 20. Ich habe ihm immer Honig ums Maul geschmiert, obwohl er es nicht immer verdient hätte. 21. Seine Mundwinkel zucken nervös. 22. Ich hatte meine Launen für ihn im Griff, obwohl ich gerne öfter geschrien hätte. 23. Ich habe ihm immer sein Mittagessen gekocht. Seine Mundwinkel zucken schon wieder. 24. 25. Solange habe ich elendes Mitgefühl vorgetäuscht, aber damit ist jetzt Schluss. 26. „Hast du nichts dazu zu sagen?" will ich wissen, meine Stimme klingt stark und weitaus kräftiger als die einer einfachen, langweiligen Ehefrau einer eingefahrenen Ehe. 27. 28. 29. 30. Er schüttelt langsam mit dem Kopf. 31. 32. Dann kommt er auf mich zu und umarmt mich von hinten, während ich noch immer auf dem Stuhl sitze. 33. „Wie könnte ich dich jemals betrügen?" fragt er mich mit lieblichen Ton. 34. 35. Verbittert antworte ich: „Ich weiß nicht, wie du das kannst." 36. 37. Seine Hände legen sich um meine Hüfte und ich spüre deutlich, dass sie zittern. 38. „Ich liebe dich." spricht sein Mund und ich zweifele an der Ehrlichkeit dieser Worte, die tief aus dem Inneren seines Herzens kommen müssten. 39. 40. Er merkt, dass ich nicht umzustimmen bin und setzt sich auf den Stuhl neben mich. 41. Er fährt sich mit seiner linken Hand, der Hand an dessen Ringfinger er das Gelübde unserer Liebe trägt, durch die Haare. 42. 43. Er ergreift meine Hände, streichelt sie sanft, blickt mir demütig in die Augen. 44. 45. 46. „Ich habe dich niemals betrogen." 47. „Glaub mir das bitte." fleht er verzweifelt. 48. „Es gibt nur eine einzige Frau auf dieser Welt und du weißt genau, dass du diese Frau bist." 49. Mein Herz wird weich bei diesen eisblauen Augen und ich beginne einzuknicken, zu zweifeln. 50. „Dann wird Grace sich wohl geirrt haben." antworte ich ehrlich, aber auch sarkastisch. 51. Er steht glücklich auf und gibt mir einen überschwänglichen Kuss auf die Wange. 52. 53. Sein Blick fällt auf die Uhr. 54. Er ist spät dran. 55. Auch er bemerkt dies und sprintet los. 56. 57. Sprintet die Treppe nach oben. 58. 59. Holt seine Tasche von oben. 60. Ich zweifele. 61. 62. Ich zweifele an ihm, an dieser Aussage, an der Wahrheit, was auch immer die Wahrheit ist. 63. Das Küchenmesser auf dem Tisch fällt runter. 64. Ich hebe es auf. 65. Er kommt wieder in die Küche und verabschiedet sich mit einem Kuss. 66. Dann verschwindet er in den Flur um in die Schuhe und den Mantel zu schlüpfen. 67. 68. Ich stehe auf und folge ihm in den Flur, zur Haustür. 69. Dabei sehe ich sein Grinsen wieder, dieses Blitzen in den Augen. 70. Ich greife nach dem Baseballschläger. 71. Ich höre wie ich wütend und inbrünstig schreie: „Lügner!" 72. Ich sehe wie er zu Boden geht, zu Boden gleitet, zu Boden fällt. 73. „Lügner!" 74. „Betrüger!" 75. „betrügender Lügner!" 76. „Lügender Betrüger!" 77. Ich lasse den Schläger und mich selbst fallen, neben ihn fallen. 78. Er hat keinen Puls mehr. 79. „Lügner." flüstere ich leise. 80. Die Tränen laufen über mein Gesicht. 81. 82. Heiß und salzig fühlen sie sich an. 83. 84. 85. Ich schluchze und schreie, weil ich wütend bin. Wütend auf ihn, wütend auf mich. 86. „Was habe ich getan?" kreische ich aufgebracht. 87. Mein Herz klopft schneller denn je. 88. 89. 90. Ich begreife was ich getan habe und sehe die Konsequenzen, aber die, die sind mir doch eigentlich egal. Mein Mann ist tot. 91. Der Mann wegen dem ich so vieles geopfert und getan und nicht getan habe ist tot. 92. Langsam stehe ich auf. 93. 94. Alles umsonst, wenn er jetzt doch nicht mehr da sein wird, erkenne ich. 95. Ich öffne die Haustüre und trete zur Tür hinaus. 96. Wir wohnen, wohnten, an einer nicht sehr befahrenen Straße. 97. Da, ein nahendes Auto. Ich renne los und will um Hilfe schreien, dass wir überfallen worden sind. Das wir nur vom drögen Alltag, einer langbeinigen Sekretärin und der Gefühlslosigkeit überfallen worden sind, würde ich verschweigen. 98. Er ist tot. 99. Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. 100. Ich falle, falle um und das Gummi der Reifen hinterlässt ein schönes Muster auf meinem leblosen Körper.
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100 Sekunden
Short StoryDen eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. - Auch wenn es nur einige wenige Sekunden sind die man mit dem Tod des Anderen leben muss. Für alle, denen 100 Sekunden reichen. -lvnrzz