Das letzte Kabel ist verlegt und ich starte den Motor, fahre in Richtung Innenstadt, dort wo all die Sünde ist. Die nächste Moschee ist nicht weit, aber in ihr sind keine richtigen Gläubiger. Es sind Verräter Allahs. Die Adern an meinen Händen treten hervor, als ich das Lenkrad noch fester umklammere und zum Stehen komme.
1. Brav ziehe ich ein Ticket, weil mich eine Politesse merkwürdig mustert. 2. Unsicher ziehe ich meinen Pullover noch weiter herunter. 3. Gehe zurück zum Wagen. 4. Lege das Ticket hinein. 5. Warte bis die Frau verschwindet. 6. 7. 8. 9. Dann greife ich nach dem Auslöser. 10. Schließe den Wagen ab. 11. Laufe die Fußgängerzone entlang. 12. Alles voller Menschen. 13. Voller Unwürdiger. 14. Sünder. 15. Frauen die sich präsentieren. 16. Männer die gaffen und trinken. 17. Kinder die kein Wort des Koran kennen. 18. 19. 20. Ich will durch meinen Bart fahren. 21. Aber da ist keiner mehr. 22. Abgeschoren um unerkannt und würdig zu sein. 23. Kurze Unsicherheit durchzuckt mich, aber ich schüttele sie ab. 24. Bin gestärkt, war lange allein. 25. Habe Tag und Nacht gebetet, religiöse Gesänge dröhnen in meinen Ohren als würde ich noch immer singen. 26. Bin wie in Trance und dennoch geistig im Diesseits. 27. Aber nicht mehr lange. 28. Ich flüstere leise: „Allāhu akbar!"29. Allah ist größer. 30. Und sein Werk, sein Reich wird herrschen durch meine Brüder. 31. Plötzlich spricht mich eine alte Dame an. 32. In ihrer Hand hält sie eine Wegbeschreibung. 33. „Entschuldigung, Sie sehen aus als kennen Sie sich hier aus." 34. Ihr Gesicht ist voller Falten. 35. Falten der Sünde. 36. Ich nicke still. 37. „Gott sei Dank", sagt sie, „Ich muss da hin." 38. Sie deutet auf die Karte. 39. Allah, korrigiere ich gedanklich. 40. Ich beginne ihr den Weg zu beschreiben. 41. Bin hier geboren. 42. Aufgewachsen. 43. Aufgewachsen in diesem falschen Land, mit falschen Predigten. 44. Bis sie mich gefunden und gerettet haben. 45. „Danke, Junge." bedankt sich die sündige Dame. 46. Ich murmele eine Verabschiedung, die sie nicht versteht. 47. Die sie nicht versteht weil sie nicht glaubt. 47. Ich atme tief ein. 48. Und wieder aus. 49. Dann beginne ich mit meiner Mission, meiner Aufgabe, meinem Lebensziel. 50. „Allāhuakbar!" beginne ich zuflüstern. 51. Werde immer lauter. 52. „Allāhuakbar!" sage ich im normalen Tonfall. 53. Sie sollen wissen warum sie sterben müssen. 54. Meine Stimme wird lauter. 55. Die ersten Leute drehen sich irritiert um. 56. Bleiben stehen. 57. 58. Ich hole nochmal tief Luft, meine Stimme wird langsam heiser. 59. „Allāhu akbar!" 60. „EineBombe, er hat eine Bombe!" kreischt plötzlich jemand. 61. Gerade als ich den Knopf drücken will. 62. Sie rennen.63. Schreien. 64.65. Ich drücke auf den Knopf. 66. Und brülle: „Allāhu akbar!"67. Eine Explosion. 68. Und ich denke ich bin im Jenseits. 69. Bei Allah. 70. Erlöst.71. Schmerz. 72. Los? 73. Spüre Schmerz. 74. Öffne meine Augen. 75. Blut. 76. Nicht alles hatgezündet. 77. Menschen um mich herum liegen verletzt da. 78. Habe kaum noch Körper. 79. „Warum?" kreischt jemand mit weinerlichen Stimme. 80. Leid. 81. Wenn Allah es will, so wird es geschehen. 82. Haben sie gesagt. 83. Warum geschieht es dann nicht? 84. Will Allah nicht, dass ich sterbe, dass sie alle sterben? 85.„Er lebt!" brüllt ein Mann, als ich versuche mich aufzurichten und mich umsehen will. 86. Er kommt mit geballten Händen auf mich zu. 87. Nein. 88. Er ist ein Sünder. 89. Weil er mich töten will, obwohl ich im Namen Allahs handele. 90. Greife nach der Handgranate in meiner Tasche. 91. Schmerz durchzuckt meinen Körper. 92. „Allāhu akbar!" flüstere ich um mich zu stärken. 92. 93. Immer wieder: „Allāhu akbar!"94. Bis er ganz nah ist. 95. Mein Tod ist nicht sinnlos, mein Tod muss sein und der der Sünder auch. 96. Ich zünde die Granate. 97.„Allāhu akbar!" rufe ich ein letztes Mal. 98. Rauch, Staub, Schreie. 99. Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. 100. Wieso fühlt sich sterben nicht schön an?

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100 Sekunden
Short StoryDen eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. - Auch wenn es nur einige wenige Sekunden sind die man mit dem Tod des Anderen leben muss. Für alle, denen 100 Sekunden reichen. -lvnrzz