Ich lade meinen Koffer in das Auto, verpacke all das Gepäck und lächele ihm zu. Wir haben uns zufällig kennen gelernt, in dieser schäbigen Bar und es hat sofort gefunkt zwischen uns wie ein Feuerwerk der Gefühle. Seine eisblauen Augen leuchten als wir in meine Wohnung fahren.
1. Ich schließe auf. 2. Er trägt die Koffer und stellt sie im Flur ab. 3. „Äh." mache ich und kann meinen Blick nicht von den Koffern reißen, die da so ungünstig stehen. 4. „Stimmt etwas nicht?" fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen. 5. „Doch." 6. „Also eigentlich stehen die Koffer da falsch." 7. „Falsch?" 8. Ich nicke. 9. Er nimmt die Koffer wieder auf und folgt mir. 10. Platziert sie so, wie ich mir das vorstelle, wie es richtig ist. 11. „Danke." hauche ich ihm einen Kuss auf die Wange. 12. Er lächelt und ich schmelze dahin. 13. Seine Jacke wirft er über die erst beste Stuhllehne, die er sieht. 14. Und mich, mich stört diese Unordnung. 15. Also nehme ich unbemerkt seine Jacke und hänge sie an den dafür vorgesehenen Kleiderhaken. 16. 17. Dann bereite ich Kaffee zu. 18. Er kommt von hinten und beginnt mir die Schultern zu massieren. 19. 20. So wie er es im Urlaub getan hat. 21. 22. 23. Er küsst meinen Nacken. 24. „Nicht jetzt." 25. Fragend blickt er mich an. 26. „Wir sind gerade erst angekommen, ich bin müde. Du etwa nicht?" 27. Seufzend lässt er von mir ab. 28. Zieht sich langsam zurück. 29. 30. Und wartet. 31. Auf mich. 32. Darauf, dass ich mich wieder entspanne. 33. Kann ich aber nicht. 34. So viel zu tun. 35. Ich beginne aufzuräumen. 36. Skeptisch sieht er mir dabei zu. 37. Und wundert sich sicher, warum ich das alles nicht lasse wie es ist und meine Zeit mit ihm verbringe. 38. 39. 40. Unruhe. 41. Unbehagen. 42. 43. Sein Blick verdunkelt sich. 44. So kenne ich ihn nicht 45. Seine eisblauen Augen wirken plötzlich eher gräulich und matt. 46. Seine Haare, die immer so durcheinander liegen, wie bei einem echten Surfer, erscheinen mir plötzlich ungekämmt und unordentlich. 47. 48. Er wirkt so anders. 49. Wie ein fremder Mann in meinen eigenen vier Wänden. 50. Er sieht mich abwartend an und ich kann ihm seine Frage von den Lippen ablesen. 51. Schüttele aber den Kopf, er soll nicht gehen. 52. „Ich denke es ist besser wenn ich gehe", sagt er, „Seit wir gelandet sind, scheine ich alles falsch zu machen." 53. „Nein." erwidere ich tonlos. 54. Aber er steht langsam auf. 55. Holt seine sieben Sachen. 56. Nimmt seine Jacke vom Haken und stutzt, weil sie eben dort hängt. 57. Er will mich umarmen. 58. Zum Abschied umarmen. 59. Aber ich weiche zurück. 60. „Du machst es dir leicht!" platzt es wütend aus mir heraus. 61. Und wir beginnen zu streiten wie ein altes Ehepaar. 62. „Und ich wusste nicht, dass du so zwanghaft bist!" 63. „Im Urlaub als ich dich kennen gelernt habe, warst du noch nicht so ein Idiot!" 64. Wortgefecht. 65. Schlagabtausch. 66. Er öffnet die Wohnungstüre. 67. „Geh doch!" brülle ich. 68. Und er geht. 69. Wortlos. 70. Lässt erst die Wohnungstüre und dann die Haustüre knallen. 71. Wütend schnappe ich meine Kaffeetasse und werfe sie voller Wucht gegen die Tür. 72. Lasse mich sinken. 73. Winkele meine Knie an und vergrabe mein Gesicht in den Händen. 74. Ich weiß, ich werde ihn nie wieder sehen. 75. Das Telefon klingelt. 76. 77. 78. Ich nehme den Hörer in die Hand. 79. Drücke auf den grünen Hörer. 80. Lasse den Alltag auf mich einprasseln. 81. Während ich an ihn denke, daran wir kurz unsere Zeit war. 82. Steuern. 83. Wichtige Termine. 84. 85. Der Alltag holt mich wieder ein. 86. Und begräbt mich unter sich. 87. 88. Begräbt das wir unter sich. 89. Das wir das es mal gab, aber nie wieder geben wird. 90. Das Gefühl des Hochs verschwindet langsam. 91. Und mit ihm das Rauschen der Wellen in meinen Ohren. 92. Der Duft der frischen Kokosnüsse verfliegt immer schneller. 93. Und es ist fast so, als sei ich nie weg gewesen. 94. Als hätte es ihn nie gegeben. 95. Und auch nicht das Wir. 96. Schmerz erfüllt mich, als ich mich an einer Scherbe schneide. 97. Es ist vorbei. 98. Er ist tot, begraben in meiner Erinnerung. 99. Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. 100. Mein Ich, das so schön entspannt und braun gebrannt war, zerfällt in tausend Stücke und wird vom Alltag begraben.

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100 Sekunden
Short StoryDen eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. - Auch wenn es nur einige wenige Sekunden sind die man mit dem Tod des Anderen leben muss. Für alle, denen 100 Sekunden reichen. -lvnrzz