Die zerbrochenen Gläser liegen auf dem Tisch, aber das stört uns nicht. Früher haben wir sie noch aufgeräumt vor und nach jeder wilden Party, die wir geschmissen haben. Ich weiß noch genau wie es war, als es anfing. Wir waren jung und hatten genug von dieser verfickt versnobten Gesellschaft. Nichts worauf wir wert legten. Akzeptanz war wie ein Gift, um jeden Preis anders sein war das Ziel von uns. Und deshalb haben wir auch aufgehört die zerbrochenen Gläser wegzuräumen oder unser Bett neu zu beziehen, Möbel wurden verhökert und die Kotze putzen wir nur noch notdürftig weg.
1. „An was denkst du?" 2. Ich versuche mich zu konzentrieren um die Worte auszusprechen. 3. „An früher." antworte ich ehrlich. 4. „Daran wie wir uns kennengelernt haben und dann auf die anderen gestoßen sind." 5. „Wie einfach das alles war." 6. „Hätte ich als Kind auch nicht gedacht." antwortet sie. 7. „Ich meine", fährt sie fort und streicht sich eine Haarsträhne zur Seite, „Da denkste doch nicht dran, dass das so easy ist. Klar kommt niemand der dir das Zeug anbietet wie man immer gewarnt wird, aber ist gar nicht so schwer und die Polizei schnieft doch kräftig mit." 8. 9. 10. Sie lacht bitter auf und greift zwischen die Gläser. 11. Ein Wunder, dass wir uns noch nicht daran geschnitten haben. 12. „Haste eigentlich mal wieder was von den Anderen gehört?" will sie wissen. 13. Und rollt sich dabei einen Joint. 14. Ich schüttele mit dem Kopf. 15. Heiser lacht sie auf: „Wahrscheinlich alles schon Schnapsleichen." 16. Ich zucke mit den Schultern. 17. Ich betrachte sie einen Moment, sie ist so wunderschön. 18. Vielleicht denke ich das auch nur. 19. Denn es ist halb dunkel, wie immer. 20. Damit wir nicht sehen, wie kacke wir wirklich aussehen. 21. Die dunkeln Augenringe und die hervorstehenden Knochen, die abgestorbene Haut sind sicher nicht besonders attraktiv. 22. „Ist dir das eigentlich anders genug, Rebellion genug?" fragt sie mich, weil ich von früher geredet habe. 23. „Keine Rebellion, aber anders genug. Nicht so wie wir sein sollten." antworte ich und weiß selber nicht ob ich mit dieser Tatsache zufrieden bin. 24. Ich will sie küssen. 25. Damit sie still ist und ich nicht mehr nachdenken muss. 26. Ich beuge mich vor. 27. „Jetzt nicht." bekomme ich als Antwort. 28. Und sie schiebt mich von sich weg. 29. Fragend blicke ich sie an. 30. „Das H wird immer zwischen uns stehen, Darling." erklärt sie. 31. Sie greift nach der Spritze, die auf dem Boden liegt. 32. Umständlich nestelt sie an ihr herum. 33. Versucht zu erkennen ob da noch genug drin ist für eine Reise ins Traumland. 34. „Warum steht das H immer zwischen uns?" will ich wissen, bin verwirrt von dieser Aussage. 35. „Würdest du es nehmen, wüsstest du es." 36. Dann setzt sie die Spritze an und drückt sie runter. 37. Schmerzverzerrt und gleichzeitig zufrieden verzieht sie ihr Gesicht. 38. 39. 40. Entspannt lehnt sie sich zurück. 41. Und schließt genussvoll die Augen. 42. Manchmal würde ich es auch gerne nehmen, dann hätte ich keine Schmerzen mehr. 43. So wie sie. 44. Während ich darüber nachdachte kippt sie leicht zur Seite. 45. Jetzt ist er wieder mal alleine mit dem weißen Pulver und dem Gras. 46. Vielleicht auch ein paar Tabletten. 47. Sie war dann immer weg. 48. Und ich brauche immer mehr um annäherungsweise so einen Zustand zu erreichen. 49. Kann aber nicht mehr haben, weil das Geld knapp war. 50. Weil ihr das H wichtiger war. 51. Früher war das nicht so gewesen, aber jetzt war das H immer da. 52. Und ich weiß, dass es auch niemals verschwinden wird. 53. Sie hat recht, dass H wird immer zwischen uns stehen. 54. Zwischen ihr und allen anderen. 55. Das H schirmt sie ab und macht sie zu einem anderen Menschen, vielleicht auch weniger menschlich. 56. Ich stehe auf und stoße auf eine Bierflasche. 57. Ich kicke sie weg. 58. Das klirrt so laut, dass ich mir die Ohren kurz zu halte. 59. Dann bücke ich mich. 60. Falle fast nach vorne über, greife die Flasche. 61. Und stelle fest, dass sie noch voll ist. 62. Gekonnt öffne ich den Deckel mit der Tischkante. 63. Setze die Flasche an und lasse das Bier in meine Kehle fließen. 64. Habe mal wieder gar nicht gemerkt wie durstig ich war, bis jetzt. 65. Mit einem mal ist alles leer. 66. Werfe die Flasche achtlos zu Boden. 67. Und kippe den Rest vom Billigvodka gleich hinterher. 68. Langsam merke ich endlich, wie meine Gedanken verschwinden. 69. „Geil." sage ich zu mir selbst und drehe mich im Kreis. 70. Dabei wird mir so schwindelig, dass ich wieder auf das Sofa falle. 71. Ich muss würgen. 72. Schlucke es dann aber wieder runter. 73. „Geil." wiederhole ich und bin stolz auf mich, dass ich nicht kotzen muss. 74. Das muss gekonnt sein. 75. Ich drehe meinen Kopf. 76. Sie liegt komisch. 77. Nicht mehr angelehnt. 78. Ich muss sie umgestoßen haben. 79. Und sie ist einfach umgekippt, ist auch noch nie passiert. 80. Will sie aufrichten, aber sie ist so steif. 81. Macht nicht die Augen auf. 82. „Wo ist nochmal der Puls?" brülle ich mich selber an. 83. Taste alles an ihrem Hals ab, aber da ist nichts. 84. Starr. 85. Bilde ich mir das ein oder ist sie auch schon kalt? 86. Keine Ahnung, ist sie jetzt tot? 87. Meine Gedanken kann ich nicht mehr fassen. 88. Alles wie in Watte. 89. Die Spritze noch im Arm. 90. Ziehe sie ihr raus. 91. Und denke mir, dass ich sicher übertreibe, dass ich halluziniere. 92. Spiele mit der Spritze im Arm. 93. „Verdammt, Engel, ich will nicht mehr, dass irgendwas zwischen uns steht!" 94. Habe es oft genug bei ihr gesehen. 95. Treffe die Vene auf Anhieb und gönne mir den Schuss. 96. Ich weiß was sie meint. 97. Sofort fühle ich das Glück und vergesse alles. 98. Vergesse sogar sie, dass sie neben mir liegt und dass ich eben noch dachte, dass sie tot ist. Vielleicht ist sie das auch, aber es ist mir egal. Alles ist mir egal. 99. Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, denke ich. 100. Das H steht nicht mehr zwischen uns, denn der goldene Schuss katapultiert uns zusammen ins andere Sphären.

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100 Sekunden
Historia CortaDen eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. - Auch wenn es nur einige wenige Sekunden sind die man mit dem Tod des Anderen leben muss. Für alle, denen 100 Sekunden reichen. -lvnrzz