Vorwort: Rassismus ist schrecklich. Genauso wie Homophobie und der ganze Mist. Die Ich-Person ist mir sehr zu wider und es hat gedauert, bis ich mich dazu durchringen konnte, mich zu entscheiden, dass die Sicht nicht aus der eines Pazifisten geschrieben sein soll. Solche Charaktere machen mich wütend und mir wird beim schreiben schlecht, körperlich schlecht. Die rassistischen Schimpfwörter in diesem Kapitel haben mich lange nachdenken lassen, ob ich dieses Kapitel überhaupt so veröffentliche. Niemand auf dieser Welt sollte sich so etwas anhören müssen!
Ich bin unglücklich und voller Sorgen. Ich sehe seit Wochen und Monaten schweigend dem wachsendem Unheil zu und warte, ich warte auf eine Besserung. So wie wir alle. Wir sehen die Probleme und hoffen, dass sie sich von selsbt in Luft auflösen oder von anderen gelöst werden. Aber heute kann ich nicht länger schweigen und ich verlasse mein Haus, bewaffnet mit nichts weiter außer meinem lauten Stimmorgan und meiner Wut, die sich aufgestaut hat.
1. Sie haben schon angefangen. 2. Ein Mann hält ein Megafon in den Händen und brüllt hinein. 3. Seine Stimme schallt über den großen Platz, der befüllt mit den ganzen Menschen winzig wirkt. 4. Parolen erklingen. 5. Und ich, ich mache endlich den Mund auf. 6. Und schreie mit. 7. Schreie aus voller Kehle und verkünde meinen Unmut. 8. Mache meiner Wut Luft. 9. Ich schreie hinaus was ich schon lange denke: „Flüchtlinge raus aus Deutschland!" 10. 11. „Sie nehmen uns die Arbeit weg!" schreit eine ältere Dame neben mir voller Inbrunst. 12. Wir haben hier alle eines gemeinsam, unsere Meinung. 13. „Wir sollten das alles nicht so hinnehmen!" schreit der Mann mit Megafon. 14. Die Menge jubelt. 15. Die Menge grölt. 16. Noch während wir kreischen verstummt der Mann und dreht sich nach links. 17. Er spricht ohne das Megafon. 18. Die Menge wird leiser. 19. „Ihr Rassisten!" es klingt wie eine junge Frau. 20. „Make Germany great again!" schreit vor mir jemand. 21. Wir sind wütend. 22. Aber die Wut schlägt um, gegen diese Frau, die uns beschimpft. 23. Dabei haben wir recht! 24. Und sind nicht rassistisch, sondern realistisch. 25. Der Mann hebt wieder sein Megafon. 26. „Du bist der Grund, dass Deutschland untergeht!" 27. „Untergehen wird, wenn wir nichts unternehmen!" 28. Grölen. 29. Immer mehr Menschen bleiben stehen, sehen und hören zu. 31. Stimmen zu. 32. Und lehnen ab. 33. Stellen sich nicht auf unsere Seite. 34. „Nieder mit Rassismus!" 35. „Wir sind alle gleich!" 36. Wütend quittiere ich: „Nieder mit dem Terrorismus!" 36. Schreie der Empörung. 37. „Wenn Reden nichts bringt, reagieren wir mit Gewalt!" schreit der Mann mit Megafon. 38. Er reckt die Faust in die Luft. 39. Als würde er einen imaginären Gegner schlagen. 40. Wir machen es nach. 41. Gewalt ist keine Lösung, fallen mir die Worte meiner Mutter ein. 42. „Für ein freies Deutschland!" schreit die Menge und stürmt nach vorne. 43. Schreie ertönen. 44. Und ich kann die Schreie nicht mehr auseinander halten. 45. Wer schreit? 46. Ist es die Türkin dort, oder so ein Pazifist? 47. „Egal einfach draufhauen!" ruft jemand nicht weit von mir entfernt. 48. 49. Immer mehr Bewegung kommt in die Menge. 50. Immer mehr Fäuste schnellen herab. 51. Und ich brülle immer noch meine Wut heraus. 52. „Au!" schreit jemand. 53. 54. 55. Beleidigungen folgen: „Nazis!" 56. „Kopftuchschlampe!" 57. „Braunes Gesindel!" 58. „Terroristenpack!" 59. „Für ein freies Deutschland!" 60. Eine Sirene ertönt. 61. Übertönt die Euphorie und den Stolz in mir. 62. Endlich kämpfe ich für mein Recht, unser Recht. 62. Als ich meinen Kopf nach links drehe, sehe ich Blut. 63. „Richtig so!" höre ich mich brüllen. 64. „Nieder mit dem Asslack!" 65. Hass. 66. Blut. 67. Er kratzt den Mann über sich. 68. Mehr Blut. 69. Blut fließt. 70. Blut mischt sich. 71. Wessen Blut ist das? 72. Obwohl die Menge brüllt und schreit und kreischt, habe ich das Gefühl, das Brechen seiner Knochen hören zu können. 73. 74. 75. „Ich war das nicht!" 76. „Verdammt, Polizei!" 77. Das Gedränge geht los, aber ich bewege mich nicht. 78. Bin unfähig auch nur einen Schritt zu tun. 79. Denn ich starre den Mann auf dem Boden an, Typ Flüchtling. 80. 81. 82. Ein Ellenbogen reißt mich aus meinen Gedanken. 83. Gegen meinen Brustkorb 84. Und ein Tritt. 85. Gegen mein Schienbein. 86. Ich stolpere nach hinten. 87. Ich falle. 88. Gegen eine Frau. 89. „Weg da!" 89. Ich werde zurück geschubst. 90. Und küsse den Boden. 91. Füße auf mir 92. Trampeln über mich. 93. Mein Bauch. 94. Mein Gesicht. 95. Alles tut weh. 96. Ich liege da, wie der Flüchtling. 97. Ist es so im Bürgerkrieg? 98. Ist es so wenn Terroristen einen foltern? 99. Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, denke ich. 100. Wenn wir sterben sind wir alle gleich tot.
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100 Sekunden
Short StoryDen eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. - Auch wenn es nur einige wenige Sekunden sind die man mit dem Tod des Anderen leben muss. Für alle, denen 100 Sekunden reichen. -lvnrzz