100 Sekunden - Verkauft

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Sie brauchen das Geld beruhigt er sein Gewissen. Dabei fragt keiner warum wir das Geld brauchen.
Er fragt bei dem Weib neben mir nach dem Preis. Zu teuer. Meine Sternstunde. Er fragt mich, die Nächste, es passt. Ich werfe meine Zigarette weg. „Bist du nicht ein bisschen zu jung um zu rauchen?" fragt er mich. „Sind Sie nicht ein bisschen zu alt um mich zu kaufen?" Damit bringe ich ihn zum schweigen und steige ein, nachdem ich ihm die Preisliste knallhart wie eine Formelsammlung aufliste.

1. Wir fahren los. 2. Er tritt die Kupplung, bremst, fährt an, gibt Gas. 3. Mitte Vierziger schätze ich. 4. „Nur damit das klar ist, ich bekomme das Geld im voraus." stelle ich fest und meide es ihn anzusehen. 5. „Also zwanzig"? Hakt er nach. 6. 7. Ich lache innerlich. 8. Will der mich für dumm verkaufen und wirklich handeln? 9. 10. „Zweihundert." beharre ich auf meinen Preis. Schließlich habe ich auch meinen Wert. 11. 12. 13. Genervt rollt er mit den Augen. 14. „Wie kann man nur so kleinlich sein?" fragt er. 15. 16. Mit offenem Mund starre ich ihn an. 17. „Bitte?" frage ich eingeschnappt. 18. 19. 180 kleine Münzen und Scheinchen mehr sind kleinlich. Ach so. 20. „Ihr seid alle so teuer." brummt der Kerl und fährt über eine gelbe Ampel. 21. „Ist es euch lieber wir verrecken? Dann sterben wir aus und ihr mit uns." knurre ich wütend. 22. Ich muss mich unter Kontrolle halten. 23. Schließlich brauche ich das Geld. 24. 25. „Ihr Weiber verschwendet das Geld doch sowieso nur." stellt der Typ, dessen Namen ich noch nicht einmal kenne, sondern nur sein Autokennzeichen, seine Meinung vor. 26. Ich lache leise. 27. Sarkastisch antworte ich: „Meine Schönheit kommt nicht von ungefähr." 28. 29. „Ja", er legt seine rechte Hand auf meinen Oberschenkel, „schön bist du." 30. Na also. 31. „Schönheit hat ihren Preis." antworte ich kalt. 32. Emotionen gibt es hierbei nicht. 33. Es geht ums Geschäftliche. 34. 35. Es hat lange gedauert, aber mittlerweile trenne ich Gefühle von meiner Arbeit. 36. Er lenkt in eine Seitenstraße. Durch die Spiegel sehe ich noch immer die anderen Mädchen, die warten und nicht so ein Glück hatten wie ich. 37. Dabei ist Glück relativ. 38. Er fährt in eine Einfahrt. 39. 40. 41. Wer wohnt freiwillig nahe dem Straßenstrich? 42. Es ist ein kleines Einfamilienhaus. 43. Er steigt aus und hält mir die Türe auf. 44. 45. Ich bedanke mich übertrieben höflich. 46. Er bedeutet mir zu folgen, wir gehen ins Haus. 47. Er grinst. 48. Er kommt näher. 49. Ein beklemmendes Gefühl macht sich in mir breit. 50. 51. „Ihr Frauen seid alle gleich!" schreit er plötzlich los, so dass ich zusammen zucke. 52. „Unfähig!" brüllt er weiter. 53. 54. Ich versuche meine Gedanken zu sammeln. Ich brauche das Geld, aber ich verdiene mehr als das. 55. Wütend beschimpft er mich und ich stelle mir die Frage, was er damit bezwecken will. 56. Ich hole Luft. 57. Ich habe noch nie einem Mann einen Korb gegeben. 58. „Entweder Sie hören auf mich anzuschreien, oder ich verlasse auf der Stelle dieses Haus!" stelle ich mit selbstsicherer Stimme fest. 59. Er packt mich am Handgelenk: „Du gehst nirgendwo hin!" 60. Es tut weh, aber ich beiße meine Zähne zusammen. 61. „Lassen Sie mich los!" zische ich. 62. Er denkt gar nicht erst daran. 63. Zerrt mich mit sich mit. 64. Ich will das nicht! 65. Ich reiße mich los. 66. Er dreht sich um und schlägt mir auf den Kopf. Dabei fällt ein kleines stumpfes Taschenmesser aus seiner Tasche. 67. Ich greife danach. 68. Er lässt sich zu mir auf den Boden fallen. 69. Als er mir an den Hals fassen will, steche ich zu. 70. Ich höre seinen Schmerzensschrei. 71. Eine Lawine ist losgetreten, mein Kopf schaltet sich aus. 72. Ich hasse Männer! 73. Messerstich für Messerstich gleitet durch die Haut, durch das Gewebe vielleicht sogar durch die Knochen dieses Mannes und ich, ich genieße es. 74. Es fühlt sich nach Freiheit an. 75. Als hätte ich es geschafft auszubrechen. 76. Auszubrechen aus dieser Hölle des Lebens. 77. Meine Gefühle sind wieder da. 78. Ekel. 79. Hass. 80. Ich zittere am ganzen Körper. 81. „Ihr Männer seid doch alle gleich!" höre ich mich selbst schreien. 82. Meine Hände sind blutig. Seine Hände sind kraftlos. 83. Ich drücke mich vom Boden ab. 84. Gläserne Augen starren mir entgegen. 85. Panik macht sich in mir breit. 86. Ich falle um, einfach so, weil mein Körper mich außer Gefecht setzt. 87. Eine Tür klappt hinter mir zu. Irgendwo. 88. Ein Schrei ertönt. 89. 90. 91. 92. Ein langer, lauter und schriller Schrei einer Frau. 93. Einer Frau mit einem Ring am Finger. 94. „Einbrecher!" brüllt sie alarmiert, als ob sich jemals jemand um die Probleme einer Frau scheren würde. 95. Ich sehe sie nicht. 96. Höre nur ihre Schritte, wie sie etwas in die Hand nimmt. 97. Ich höre wie sie auf mich zukommt. 98. Ich höre einen dumpfen Knall, spüre den Schmerz auf meinem Kopf. 99. Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. 100. Ich bin endlich frei.

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