Wir sitzen wieder an diesem Pier, wie jedes Jahr an diesem besonderen Tag, der Tag der Zeuge wurde, dass es Liebe auf den ersten Blick gibt. Das Meer vor uns liegt still glitzernd da und die Wellen schlagen sacht gegen das Ufer.
1. Ich starre hinaus auf die unendlichen Wellen des Ozeans. 2. So tief. 3. So unergründlich. 4. So wunderschön. 5. So geheimnisvoll. 6. So mystisch. 7. 8. Genau wie sie. 9. Ihre Haare wehen im Wind. 10. Ihre Beine lässt sie im Wasser baumeln. 11. Die Wellen überrollen ihre Füße. 12. Stück für Stück verschwinden die Eisberge. 13. 14. 15. 16. 17. Sie lacht. 18. Lacht wie am ersten Tag als wir uns hier trafen. Dieses warmherzige Lachen, dessen helle Töne meine Seele mit Freude fluten. 19. Ich denke daran zurück wie jedes Jahr. 20. Der wolkenfreie Himmel mit der strahlenden Sonne. 21. Deren Sonnenstrahlen auf ihr Gesicht scheinen und ihre Augen funkeln lassen. 22. Während sie das Gesicht der Sonne entgegen streckt, verstecke ich meines hinter einer sicheren Sonnenbrille. 23. Weil mich die Sonne stört. 24. Weil ich diese Positivität nicht ertrage. 25. Sie grinst mich breit an, sagt, dass es „cool" aussieht. 26. Dabei weiß sie, dass es das nicht tut. 27. Man sieht nicht „cool" aus, wenn man eine Sonnenbrille trägt, um die dunklen Schatten zu verbergen. 28. 29. Jene dunkle Schatten, die bezeugen wie kurz die Nächte und wie lang die Tage sind. 30. Die bezeugen, dass ich jede Nacht dem Rauschen des Meeres lausche und an sie denke. 31. Sie lacht noch immer. 32. 33. 34. 35. Weil sie glücklich ist. 36. Ihre Arme streckt sie von sich, um sich zu bräunen. 37. Dabei war sie schon immer wunderschön, egal ob mit schneeweißer oder sonnengebräuntem Haut. 38. 39. Ich betrachte sie nachdenklich, wie jedes Jahr. 40. Sie spricht nicht von der Vergangenheit. 41. Sie flüstert von der Zukunft. 42. Ich spreche von der Gegenwart. 43. Sie lächelt noch immer. 44. Lacht noch immer. 45. Genau wie damals. 46. Alles was ich immer wieder vor mir sehe, ist ihr Lachen. 47. Dieses herzliche Lachen, voller Lebensfreude. 48. 49. 50. Mein Blick ist noch immer auf die mörderischen Wellen vor mir gerichtet. 51. 52. 53. 54. 55. Und die Bilder rasen durch meinen Kopf. 56. Wie die Wellen aufbrausen. 57. Wie die Sonne verschwindet, der Himmel sich plötzlich verdunkelt. 58. Wie damals. 59. Ich will in ihre wunderschönen Augen sehen. 60. Und das Meer tobt. 61. Das Meer braust. 62. Das Glitzern der Sonne ist verschwunden. 63. Sie ist verschwunden. 64. Die Wellen haben sie mit gerissen. 65. Die Wellen haben sie verschluckt. 66. Ihr ersticktes Schreien hallt durch meinen Kopf. 67. Wie jedes Jahr. 68. 69. 70. Stück für Stück steigt das Meer, steigen die Wellen. 71. Ich bin wie gelähmt. 72. Wie jedes Jahr. 73. Sie ist fort, verschwindet im Meer. Ich sehe sie nicht. 74. 75. Ich will ihr folgen. 76. Endlich folgen, nach all den Jahren. 77. 78. 79. Aber ich starre nur hinaus auf den Ozean. 80. Und sehe dabei zu wie sie verschwindet. 81. immer mehr. 82. Jahr für Jahr. 83. 84. 85. 86. 87. Die Wellen kehren zurück. 88. Genauso wie die Bilder jedes Jahr zurückkehren. 89. Jedes Jahr an diesem Tag brechen die Wellen und die Bilder über mich herein und zerren mich hinab. 90. Ich strecke meine Arme aus. 91. Dem Meer entgegen. 92. Ich will wieder in ihren lachenden Augen ertrinken, nicht an den Schmerzen in meiner Brust. 93. Ich lasse mich fallen. 94. Die Wellen treiben mich vor und zurück. 95. Treiben mich hinab in die Tiefen. 96. Treiben mich hinauf zu ihr. 97. Das Wasser läuft in meine Lungen. 98. Ich ertrinke, genauso wie sie ertrunken ist, ohne dass ich es bemerkt habe. 99. Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. 100. Mein stummer Schrei vermischt sich mit ihrem Lachen, dem Rauschen des Meeres.
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100 Sekunden
Historia CortaDen eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. - Auch wenn es nur einige wenige Sekunden sind die man mit dem Tod des Anderen leben muss. Für alle, denen 100 Sekunden reichen. -lvnrzz