Ich starre die Decke an, weiß und trist. Senke ich meinen Blick, liegst du auf der anderen Seite und schläfst. Im Zimmer stehen nur die Betten, ein Kleiderschrank und ein Schreibtisch mit Stuhl.
Hier ist kein Platz für Persönlichkeit, auch wenn wir persönlich sowieso lieber woanders wären.1. Du schlägst deine Augen auf. 2. „Du hast das Frühstück verschlafen!“ rufe ich dir zu. 3. Du sprichst nicht. 4. Das weiß ich. 5. Noch nicht mal mit deinem Mann, wenn er zu Besuch kommt. 6. Ich habe mal gehört wie sie zu ihm gesagt haben, du seist zu dement. 7. Aber das kann gar nicht sein, denn dasselbe sagen sie über mich und ich bin ja auch gesund. 8. Weiß gar nicht was wir hier sollen. 9. Manchmal hustest du. 10. So wie du jetzt hustest. 11. „Alles halb so wild!“ schreie ich, damit du mich hörst und damit ich mich höre. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. Dein Husten wird zu einem Röcheln. 20. „Trink was!“ rate ich dir laut. 21. Ich kann nicht raus hier und dir was zu trinken reichen. 22. Hänge ja selber an den Schläuchen im Krankenhaus. 23. 24. Du rührst dich nicht. 25. Ich drücke den Notknopf am Bett. 26. Hättest du auch machen können. 27. Jeder von uns hat so einen neben sich. 28. 29. 30. „Was ist denn los?“ eine männliche Krankenschwester kommt herein geeilt. 31. Mühsam hebe ich meinen Arm und deute auf dich. 32. „Frau März!“, spricht er dich an, „Frau März hören Sie mich?“ 33. Ein Röcheln deinerseits ertönt. 34. Der Mann wird unruhig, ruft Schwestern herbei 35. 36. Ich beobachte die Szenerie vergnügt. 37. 38. 39. „Ein Notarzt muss her!“ 40. „Das Sauerstoffgerät ist ausgefallen!“ 41. 42. rennen. 43. Schnelle Schritte. 44. Panische Stimmen. 45. „Immer diese Hektik.“ murmele ich vor mich hin. 46. „Keine Zeit mehr die jungen Leute.“ 47. Ich stöhne auf. 48. Aber keiner beachtet mich. 49. Alle sind ganz besorgt um dich. 50. Dabei liegst du da doch völlig ruhig und versuchst zu schlafen. 51. 52. „Die Luge!“ ruft der Mann. 53. Sie liegt doch schon. 54. 55. 56. 57. 58. 59. Eine rollbare Liege wird in unser Zimmer geschoben. 60. „Hier kann man a noch nicht mal in Ruhe schlafen.“ tue ich meinem Unmut kund. 61. Aber keiner beachtet mich. 62. Ein Mann im weißen Kittel rennt herein. 63. Er hält irgendetwas in den Händen. 64. Zählt. 65. 66. Drückt dir dieses Ding auf die Brust. 67. 68. Du zuckst nicht mal mit der Wimper. 69. Tapferes Mädchen, denke ich. 70. „Wir verlieren sie“ ruft der Bekittelte panisch. 71. Wenn hier einer was verliert dann er. 72. Und zwar die Geduld. 73. Das sehe ich doch ganz deutlich. 74. 75. „Puls?“ ruft er fragend an den Pfleger neben ihn gerichtet. 76. Schüttelt den Kopf. 77. Während es in meinem Kopf rattert. 78. Puls. 79. Was war das noch gleich? 80. 81. „Wenn man kann keinen Puls hat, stirbt man!“ sprudelt das Wissen aus mir heraus. 82. „Du stirbst doch aber nicht!“ kreische ich aufgebracht. 83. Du reagierst nicht. 84. Immer noch nicht. 85. Ich beginne zu Wimmern. 86. Der Arzt versucht sein Bestes, dich zu reanimieren. 87. Immer wieder. 88. Dann piept es eintönig. 89. Und das Piepen hält an. 90. Er betrachtet dich mit traurigem Gesicht. 91. „Sie war sehr alt, es wird das Beste für die Ärmste sein.“ höre ich ihn sagen. 92. Eine Schwester kommt zu mir ans Bett: „Es war gut, dass Sie uns gerufen haben.“ 93. „Ist sie-“ meine Stimme bricht ab. 94. „Der Himmel ist ein besserer Ort.“ spricht sie tröstend. 95. Meine Augen füllen sich mit Tränen. 96. 97. „Am Besten ruhen Sie sich erst mal aus.“ 98. Erschöpft schließe ich meine Augen. 99. Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, denke ich. 100. Ich reiße verwirrt meine Augen auf und ziehe am Ärmel der Schwester: „Wo bin ich?“
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100 Sekunden
KurzgeschichtenDen eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. - Auch wenn es nur einige wenige Sekunden sind die man mit dem Tod des Anderen leben muss. Für alle, denen 100 Sekunden reichen. -lvnrzz