Ich blicke auf und sehe sie über die Zeitung hinweg an. Ich räuspere mich, so dass sie mich ansieht. Mir direkt in die Augen sieht. Es ist das erste Mal seit langem das wir einander bewusst wahrnehmen. „Ist irgendwas?" fragt sie und klingt leicht gereizt. Ich schüttele mit dem Kopf: „Muss nur gerade daran denken wie das damals so war." Sie lacht auf. Ein kehliges Lachen, das nicht mehr so klingt wie damals. „Als du mich noch geliebt hast?" fragt sie mich. Jetzt lächelt sie nicht mehr. Ich nicke und füge hinzu: „Und damals als du mich noch geliebt hast." Sie rollt mit den Augen, meine wunderbare Frau rollt mit den Augen und sieht mich auch noch an, dassich das noch einmal erleben würde, hätte ich nicht gedacht. „Olle Kamellen." meint sie und widmet sich wieder ihren Nägeln, die sieakribisch kurz feilt. „Wozu tun wir das hier eigentlich noch?" will ich von ihr wissen.
1. Mit scharfer Stimme fragt sie: „Was meinst du damit?" 2.„Mit uns." 3. „Was soll damit sein?" hakt sie wieder nach. 4. Ich zucke mit den Schultern. 5. 6. „Nichts." 7. Leiser füge ich hinzu: „Genau das ist es ja." 8. Sie schüttelt mit dem Kopf. 9. 10. „Du bist ein Nichts." faucht sie mich an. 11. Es ist der erste Streit den wir haben seit damals. 12. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet." sage ich ruhig. 13.„Mit uns?", sie schreit schon fast, „Ich wüsste nichts mehr von einem uns."14. „Genau." stimme ich ihr zu. 15. Leben nur noch nebeneinander her. 16. Vergangenheit, aber keine Zukunft. 17. „Wir sollten uns trennen." 18. „Willstdu jetzt zu deiner Geliebten ziehen?" kreischt sie aufgebracht und knallt ihre Nagelpfeile auf den Tisch. 19. „Ich habe keine Geliebte." 20. „Kein Wunder." zischt sie. 21. Sie will aufstehen. 22. Gehen. 23. Wie immer. 24. Aber so kann es doch nicht weiter funktionieren. 25. Ich laufe ihr hinterher. 26. Halte sie am Arm fest. 27. „Warte doch mal!" 28. Sie versucht sich loszureißen. 29. „Verpiss dich doch, wenn du glaubst damit besser dran zu sein!" keift sie mich an. 30. Dabei ist das doch gar nicht das was ich will. 31. „Oder willst du mir das Haus auch noch wegnehmen?" 32. Ihr Geschrei ist schrill. 33. Und laut. 34. „Und das Geld?" 35. „Hast ja auch sonst nichts!" 36. Ich schüttele vehement mit dem Kopf. 37. Und lasse sie nicht los. 38. „Glaubst du wirklich du findest nochmal jemand besseren als mich?" 39. Sofort weiß ich die Antwort.40. Sie schafft es sich loszureißen. 41. Und läuft die Treppe hoch. 42. Nach oben. 43. 44. 45. Sinke zusammen. 46. Die Stille war angenehmer als das. 47. 48. 49. 50. Ich höre wie sie oben extra laut aufstampft. 51. Vor sich hin schimpft. 52. Aufmich schimpft. 53. Schrecklich wie es gekommen ist. 54. Nachall den Jahren hat man sich nichts mehr zu sagen. 55. Ich blicke zur Wand. Dort hängen unsere Ehegelübde. 56. Ich kann mich nicht einfach von ihr trennen. 57. Das haben wir geschworen. Sieund ich. 58. Sie kommt die Treppe hinunter, in ihren Händen jeweils einen Koffer. 59. „Wo willst du hin?" verlange ich zu wissen. 60. „Du hast Recht, hier ist nichts mehr was mich hält." 61. 62. Ich starre sie an. 63.„Wo willst du hin?" 64. „Seit wann interessiert dich das?" 65. „So geht das nicht!" brülle ich. 66 Sie zuckt zusammen. 67. Kein Sex mehr. Keine Gespräche mehr. Keine Zuneigung mehr. 68. Und trotzdem liebe ich sie. Wenn ich sie ansehe, sehe ich diejenige in ihr, in die ich mich verliebt habe. 69. „Du kannst jetzt nicht einfach gehen!" 70. „Natürlich kann ich das." sind ihre Worte. 71. Wut kocht in mir hoch. 72. Wir haben uns etwas geschworen. Vor hunderten Menschen. Unter Zeugen und aus tiefster Überzeugung heraus. 73. Bis das der Tod uns scheidet. 74. Sie läuft auf die Eingangstüre zu. 75. Zieht sich die Schuhe an. Dann die Jacke. 76. „Wir haben uns geschworen, dass wir uns lieben, bis dass der Tod uns scheidet!" brülle ich. 77. Leiser frage ich: „Liebst du mich denn gar nicht mehr?" 78. 79. Sie zögert. 80. Sie zögert! 81. Sie liebt mich noch immer! 82. Aber dann will sie zur Türe. 83. Muss sie aufhalten! 84. Packe sie. 85. Schüttele sie, schüttele sie zur Vernunft. 86. 87. 88. 89. 90. Aber irgendwann sackt sie zusammen. 91. Sie sieht friedlich aus. 92. Ich liebe sie. 93. Und sie mich auch. 94. Das haben wir jetzt von unserer Liebe. 95. Wir müssen sterben. 96. Hole das kleine Kaliber aus der Küche. 97. Stelle mich neben sie. 98. Und weiß, das dies der einzige Ausweg ist um ihr zu entfliehen. 99. Den eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. 100. Damals war alles so einfach. Damals war alles so schön. Damals haben wir uns geliebt. Damals konnten wir einander vertrauen. Damals haben wir uns geschworen einander zu lieben bis das der Tod uns scheidet.
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100 Sekunden
Short StoryDen eigenen Tod stirbt man, mit dem Tod eines anderen muss man leben, erinnere ich mich. - Auch wenn es nur einige wenige Sekunden sind die man mit dem Tod des Anderen leben muss. Für alle, denen 100 Sekunden reichen. -lvnrzz