Kapitel 16

701 42 2
                                    

Mittlerweile ist es schon weit nach Mitternacht.
Ich bin leicht angetrunken, kann aber noch klar denken, sehen und gerade gehen.
Nichts im Vergleich zu Alex.
Der ist komplett dicht.
Er wollte sich schon mehrere Male vor allen anderen ausziehen, doch wurde dann schließlich von Ben und Luca nach Hause gebracht.

Nach Leons Liebesgeständnis vorhin, habe ich an nichts anderes gedacht und jetzt ist es mir zuviel.
"Leon, können wir reden?"
Ich habe noch keine Ahnung, worüber ich reden will, der Mut kommt bestimmt vom Alkohol.
Egal.

"Ja klar, wollen wir nochmal zum Strand gehen?"
"Mhm, gerne."
Dort angekommen, schweigen wir erst mal eine Runde.

"Also, wegen vorhin, ähm, ich weiß jetzt nicht...", stammele ich vor mich hin.
"Pscht, ganz ruhig", unterbricht mich Leon, "ich hab es dir nur gesagt. Ich will dich nicht zu irgendwas drängen, weil ich weiß, dass du einen Freund hast. Tut mir Leid, wenn dir das zu schnell geht..."
"Nein, nein, ich bin mir einfach noch so unsicher, wie es sein wird, wenn ich Finn wieder sehe. Ich werde die Woche, bis du wieder in Deutschland bist, nutzen, um mir klarzuwerden, wie ich zu wem stehe und mich dann mit dir treffen. Ist das eine gute Idee?"
"Ja, ich werde dich vermissen..."

Mit diesem Satz legt er wieder seine Lippen auf meine, diesmal länger und intensiver.
Ich vertiefe mich ganz in diesen Kuss, das ist gerade das Einzige, das zählt.
Leon und ich.
Ich und Leon.
Im Moment bin ich ihm vollkommen verfallen, ich würde alles für ihn tun.
Er geht so sanft mit mir um, so vorsichtig und doch bestimmt, so unsicher und doch weiß er genau was er will, einerseits so schüchtern und andererseits gesteht er mir seine Liebe.
Er ist so vielseitig, in allen Bereichen.
So sympathisch, hilfsbereit, nett und doch überhaupt nicht arrogant oder angeberisch.
Ein Traum von einem Charakter.
Was habe ich nur für ein Glück, so einen Menschen zu haben, der so toll ist wie Leon.

Aber schätze ich dieses Glück so, wie er es verdient?
Oder nutze ich ihn nur aus?
Ich würde es nicht übers Herz bekommen, ihn jemals zu verletzen.
Habe ich meine Entscheidung also gefällt?
Ist Leon meine Wahl?

Ich glaube schon.

Nach dem gefühlt Stunden währenden Kuss lösen wir uns voneinander und sehen uns tief in die Augen.
Es ist alles wie in einem sehr langen Traum und ich warte darauf, aufzuwachen.
Doch es ist die Realität und gerade jetzt im Moment ist das einzige Negative, dass wir uns nicht an den Händen halten können, wegen meiner Krücken.

Etwas anderes kommt mir plötzlich in den Sinn.
"Duu, Leon..."
"Hmm?"
Ich habe wieder seine komplette Aufmerksamkeit, weil er mich von der Seite anschaut.
"Wie schaut's eigentlich bei dir aus, so mit Mädchen? Hattest du schon eine Freundin?"
"Ähm, ja, schon mehrere..."
Das Thema scheint ihm sichtlich unangenehm zu sein, was mich sehr überrascht.
Er ist doch sonst so offen...
"Also, ähm... Ich hatte vor zwei Jahren eine ziemliche Bad-Boy Phase. Ich hatte keine richtigen Freundinnen, sondern nur... Du weißt schon. Aber das hat sich ziemlich schnell wieder gelegt, weil meine Noten in den Keller wanderten und ich richtig Anschiss und Hausarrest von meinen Eltern bekam, als ich die Klasse wiederholen musste. Dann waren eben die ganzen 'Freunde', wegen denen ich so abgerutscht bin, eine Jahrgangsstufe höher als ich und wollten nichts mehr mit mir zu tun haben. Im Nachhinein betrachtet war es das Beste für mich, weil so hab ich Alex, Ben und Luca kennengelernt, die mich wieder normal gemacht haben. Sie kannten mich schon davor wegen meines Images, aber waren so nett und haben sich um mich gekümmert. Seitdem habe ich mich von Bad-Boys sehr ferngehalten und auch wieder ganz normale Beziehungen geführt. Ich kann verstehen, wenn es dich überrascht und du jetzt ein anderes Bild von mir hast, du kannst gerne mit einem der anderen drei Jungs darüber reden, die haben meine Entwicklung ja sozusagen live miterlebt.
Ich bin froh, dass du das jetzt auch weißt."

Ok, damit hätte ich jetzt null gerechnet.
Ich finde es einerseits gut, dass er darüber hinweggekommen ist und es ist schließlich Vergangenheit, aber andererseits...
Hätte er es mir jemals gesagt?
Oder hätte ich es von irgendwem anders schmerzhaft mitbekommen?
Durch meine einfache Frage gibt es wieder so viel, über das ich nachdenken muss...

Leon interpretiert mein Schweigen leider ganz falsch.
"Ich kann es verstehen, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, ich bin alles andere als stolz auf meine Vergangenheit. Vielleicht meinst du jetzt, ich könnte einen Rückfall haben, aber das ist schon lange her und-"
"Stopp! Leon, ich habe nie gesagt, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will. Es kommt einfach sehr überraschend und ich muss eine Nacht darüber schlafen, aber wie du so schön gesagt hast: Es ist Vergangenheit, ich bin mir sicher, jeder hat etwas in seiner Vergangenheit, auf das er nicht so stolz ist.
Bitte lass uns jetzt zurückgehen, können wir morgen nochmal reden?"

Er scheint sehr erleichtert.

"Ja, klar. Passt."

Ein Sommer ohne ErwartungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt