Kapitel 48

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Jetzt nun endgültig verwirrt streiche ich über den Touchscreen, eine Pin oder ein Passwort hatte ich noch nie und brauche ich auch nicht.

Ich tippe auf Leons Chat und schaue fassungslos auf die letzte Nachricht, die ich ihm geschickt habe.

Ein Bild.

Besser gesagt ein Selfie.

Von Finn und mir, ich auf seinem Schoß.

Uns küssend.

Leidenschaftlich.

Viel zu leidenschaftlich.

Nein.

Nein, nein, nein, das kann nicht wahr sein, das darf nicht wahr sein!

Wieso war ich gestern nur so betrunken?

Wieso habe ich nicht gemerkt, dass Finn Fotos gemacht hat?

Wieso habe ich keine Sperre in meinem Handy?

Wieso hat Finn das gemacht?

War das von Anfang an geplant?

Ich tippe so schnell ich kann eine Nachricht an Leon.

'Das ist nicht so, wie es aussieht'

Na toll, klischeehafter geht es kaum.

Im Eifer des Gefechtes vorhin habe ich nicht bemerkt, dass mir sein Profilbild nicht mehr angezeigt wird und jetzt, wo die Nachricht nicht zugestellt wird ist mir klar, dass er mich blockiert hat.

Schöne Scheiße.

Dann versuche ich ihn anzurufen, doch er drückt mich weg.

Mehrmals.

Nicht ganz bei Sinnen vor Verzweiflung reiße ich meinen Koffer unter dem Bett hervor, ausgepackt habe ich ihn nicht, und werfe alle meine Sachen auf die Schnelle hinein.

Sogar ins Bad gehe ich, in dem Finn seelenruhig steht und seine Haare macht.

Er beachtet mich kaum und ich ihn auch nicht, also nehme ich einfach mein Täschchen und stürme mitsamt meinem Koffer, den Schuhen in meiner Hand und Jacken über dem Arm aus dem Zimmer und in den Aufzug.

Sekunden später stehe ich immernoch in dem Top und den Shorts, die ich in der Nacht anhatte, völlig aufgelöst und ungekämmt vor Lauras Zimmertür.

In so einer Lage kann nur die beste Freundin helfen.

Benedikt, Lauras Zimmerpartner und Tobis bester Freund, macht die Tür komplett angezogen auf und sieht mich mit einem verwirrten Blick an.

Kann der Junge auch anders schauen?

"Ähm, Laura?", ruft er in den Raum hinter sich und drängt sich an mir vorbei Richtung Aufzug, anscheindend ist er mit der Situation überfordert und flüchtet deswegen lieber.

Meine beste Freundin kommt daraufhin um die Ecke und beschleunigt ihre Schritte, als sie mich so dastehen sieht.

Ich lasse meine Sachen, die ich in den Händen halte, auf den Boden fallen und kann die Tränen nicht mehr zurückhalten, als Laura mich fest in den Arm nimmt und mir beruhigend über den Rücken streicht.

Das ist genau das, was ich im Moment brauche, bringt aber nur meine Tränen dazu, noch schneller aus mir herauszufließen, als sie es eh schon tun.

Sie zieht mich sanft aber bestimmt weiter in den Raum, um die Tür schließen zu können, dann schubst sie mich leicht auf ihr Bett, wo ich mich sofort mit der Decke einwickele und den Kopf zwischen den Kissen vergrabe.

Sie kommt mit einem Päckchen Taschentücher zurück, setzt sich neben mich und mustert mich stumm, bis ich mich einigermaßen beruhigt habe.

"Süße, was ist denn passiert? Hat es was mit gestern Abend zu tun? Wir konnten dich alle nicht erreichen, genauso wenig wie Finn und als wir zurück gekommen sind hat bei euch keiner die Tür aufgemacht", beginnt sie dann einfühlsam zu reden.

Bei der Erinnerung an gestern Abend fangen meine Tränen fast wieder an zu sprudeln, doch ich kann mich beherrschen und so schniefe ich nur leicht.

Ich erzähle ihr die Geschichte von Anfang an, werde teilweise von leichten Tränen unterbrochen und schaue immer vor mir auf die Bettdecke, während ich mit dem Finger Kreise darauf male, da mir das alles so peinlich ist.

Nachdem ich meine Geschichte mit der Tatsache, dass Leon meine Versuche ihn zu kontaktieren ablehnt, beende, schaue ich sie an.

Sie hat mich kein einziges Mal unterbrochen und jetzt sehe ich nur ihren nachdenklichen, finsteren Blick.

Als sie nach gefühlten Stunden immernoch nichts von sich gegeben hat, frage ich leise: "Was soll ich denn jetzt machen, Laura?"

Endlich sieht sie mich an und antwortet ehrlich: "Ich weiß es nicht. Du machst Sachen, ich meine, sich so lange abfüllen lassen, bis du nicht mehr weißt wer du bist, Elena, das bist nicht du! Finn verändert dich, halte dich bitte von ihm fern. Ich weiß, das hast du von Anfang an vorgehabt, aber das gestern Abend war einfach nur leichtsinnig. Ist doch klar, dass Finns Gefühle für dich nicht auf einen Schlag verschwunden sind! Manchmal bist du einfach zu naiv und mit der Treue hast du es auch nicht so, also würde ich es Leon nicht verübeln, wenn er mit dir Schluss macht. Andererseits muss er dich auch erst einmal anhören und du musst ihm die Sache von der ganzen Klassenfahrt erzählen. Du bleibst heute auf jeden Fall mit mir hier, ich sage den Lehrern Bescheid, dass du dich nicht gut fühlst."

Während ihrer kleinen Standpauke bin ich immer weiter unter ihrem vorwurfsvollen Blick zusammengeschrumpft und ich fühle mich wie ein kleines Mädchen, dass eine Tasse hinuntergeworfen hat oder so.

"Ich geh jetzt kurz frühstücken und schaue, dass ich dir auch eine Kleinigkeit mitbringen kann. Bis später."

Ich murmele nur kurz etwas Zustimmendes und bin wenig später auch schon vor lauter Erschöpfung eingeschlafen.

Ein Sommer ohne ErwartungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt