Kapitel 46

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"Puh, keine Ahnung. Die hängen doch sonst auch die ganze Zeit an ihren Handys, warum jetzt nicht?!", fragt Finn und fährt sich genervt durch die Haare.

"Ich will garnicht wissen, was die im Moment machen, was sollen wir denn jetzt machen?"

"Essen gehen? Ganz ohne Grund haben wir uns jetzt auch nicht rausgeschlichen und davor schick gemacht."

Soll ich mit Finn zum Essen gehen?

Kann ich ihm schon so vertrauen?

Hat Essen gehen etwas mit Vertrauen zu tun?

Wir waren ja schon so oft zusammen Essen, aber das war etwas völlig anderes.

Ich muss nur mit ihm reden, dass Leon keinen Wind davon bekommt.

"Wenn du Leon nichts erzählst?", fordere ich also von ihm und sehe ihn abwartend an.

Er nickt wie selbstverständlich und so machen wir uns auf den Weg zu einem guten Italiener.

Ich bin positiv überrascht, dass er sich keinen Hauch von Eifersucht mehr anmerken lässt.

Vielleicht ist da auch keine mehr?

Schweigend gehen wir nebeneinander mit einem angemessenen Abstand her.

Bei Finn könnte man nicht einmal so nahe gehen, weil seine Krücken im Weg wären, nicht, dass ich das möchte.

Im Restaurant angekommen bekommen wir einen kleinen Zweiertisch in einer gemütlichen Nische zugewiesen.

Das Ambiente hier ist richtig schön, Tische, Stühle, die Wandvertäfelung und der Boden in einem dunklen Holz gehalten, weiße Tischdecke mit dunkelroten Servietten, silbernem Besteck und dunkelroten Speisekarten, alles in gemütlichen Kerzenschein getaucht.

Wir machen es uns bequem und als der Kellner kommt, bestellen wir ganz normal unser Essen, nur Finn noch zusätzlich eine Flasche Rotwein.

Fragend sehe ich ihn an und er erwidert grinsend meinen Blick.

"Zur Feier des verbotenen Abends."

Wir unterhalten uns locker über alles Mögliche, unsere Zukunftspläne, unsere Gegenwart und die Vergangenheit, dabei stört es uns auch nicht, dass wir vieles davon dem anderen bereits zum zweiten Mal erzählen.

Als der Kellner den Wein bringt, schenkt Finn uns ein und die kühle Flüssigkeit fließt meine Kehle hinunter.

Ich habe noch nie so richtig viel Alkohol getrunken, also war nicht so richtig betrunken.

Zu viel hatte ja jeder schon einmal.

Aber wenigstens konnte ich mich bis jetzt am darauffolgenden Tag an alles erinnern und hatte nie unerträgliche Kopfschmerzen.

Endlich wird auch unser Essen gebracht, mein Hunger war fast nicht mehr zu ertragen.

Der Abend zieht sich hin und gefühlt sehr kurze Zeit später haben wir gezahlt und es ist halb elf.

"Was machen wir jetzt? Wollen wir noch in eine kleine Bar in der Nähe? Das würde mich schon interessieren und wenn wir schonmal hier sind..."

Von der halben Flasche Wein bereits ein wenig angetrunken sage ich bereitwillig und ohne nachzudenken zu und ehe ich mich versehe sitze ich schon auf einem Sofa in einer Sitzecke eines kleinen und gemütlichen Clubs.

Finn steht an der Bar und versucht die laute Musik zu übertönen, um dem Barkeeper seine Bestellung mitzuteilen.

Was er mir mitbringen will, weiß ich nicht, er hat mich einfach so zurückgelassen, ohne etwas zu sagen.

Nach kurzer Zeit kommt ein breit grinsender Finn mit zwei Drinks in seinen Händen auf mich zu und setzt sich schließlich neben mich.

"Was ist das?"

"Weiß ich nicht, ich hab dem Barkeeper gesagt, er soll etwas Leckeres für eine hübsche Junge Dame zusammenmischen. Er hat auf jeden Fall munter Säfte reingeschüttet, so schlimm kann es also garnicht sein."

Vorsichtig nippe ich an dem lachsfarbenen Getränk und muss zugeben, dass es wirklich gut schmeckt.

Den Alkohol schmeckt man nur ganz leicht, er wird von den fruchtig leichten Geschmäcken der Säfte verdrängt.

Ja, davon kann ich eindeutig mehr trinken.

Was ich auch tue.

Wir unterhalten uns fantstisch und Finns leichtes Grinsen weicht nie von seinem Gesicht.

Je mehr ich trinke, desto weiter wandert Finns Arm auf der Lehne hinter uns zu meiner Schulter, desto mehr lache und rede ich, desto mehr vergesse ich unsere Freunde, die nicht an ihre Handys gehen, unsere Lehrer und das Ausgangsverbot, die späte Uhrzeit und auch Leon.

Nach dem bestimmt schon dritten Glas wird mir einfach alles egal und Finns Suche nach Körperkontakt erscheint mir immer natürlicher.

Dass seine eine Hand auf meiner Schulter liegt und mich immer weiter zu ihm zieht und dass seine andere Hand sanft meinen Oberschenkel unter dem Saum des sehr kurzen Kleides streichelt gefällt mir immer mehr und ich vergesse alles um mich herum.

Nur verschwommen sehe ich, dass Finn vorsichtig seine Hände von mir nimmt und mir einen neuen Drink holt.

Beim Zurückkommen stellt er das Glas auf dem Tisch ab, hebt mich auf seinen Schoß, sodass ich mich an seinen Oberkörper anlehnen kann und drückt mir das Glas in die Hand, bevor er wieder seine Arme um mich legt.

Zwar ein wenig überrascht davon, aber die Tatsache, dass ich einen Freund habe und diesen mit dem bereits betrogenen Freund betrüge, ignorierend, lasse ich es gewähren und lehne mich an ihn.

Er selbst hat nur einen Drink getrunken und ist dementsprechend bei vollem Bewusstsein, im starken Gegensatz zu mir.

Doch auch das fällt mir nicht negativ auf und ich kuschele mich an ihn.

Trotz seines starken Griffs kann ich noch das Glas zu meinem Mund führen, was ich auch fleißig mache.

Finn erscheint mir noch viel gutaussehender als sonst, seine grünen Augen strahlen mich an und der wachsame Blick weicht keine Sekunde von mir.

Im Hintergrund höre ich immer wieder das leise Klingeln meines Handys in der Tasche, doch komme nicht auf die Idee, den Anruf anzunehmen.

Und danach setzt die Erinnerung bei mir komplett aus.

Ein Sommer ohne ErwartungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt