Kapitel 22

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Wir liegen immernoch auf der Liege.
Seit gefühlten Stunden spricht keiner mehr, doch es ist ein angenehmes Schweigen.
Die kleinen Kinder, die Sandburgen bauen, die Wellen, die am Strand brechen, der Wind, der die Sonnenschirme bewegt, die Menschen, die sich einfach unterhalten, die Verkäufer, die am Strand umhergehen und Handtücher, Uhren oder Schmuck anbieten, das alles sind die Hintergrundgeräusche, denen wir lauschen.

Schließlich beginnt Leon so plötzlich zu reden, dass ich erschrecke.
"Wielange willst du noch hier liegen? So schön es auch ist, wird es nicht langsam langweilig?"
"Hm, ja schon, mir egal, was willst du machen?"
"Eisessen?"
Ich nicke und setze mich auf, um meine Krücken zu nehmen.
Es ist zwar schon so spät, dass man ein frühes Abendessen machen könnte, aber das ist uns gerade ziemlich egal.
"Wo ist eigentlich Laura?", frage ich, als mir einfällt, dass ich sie schon lange nicht mehr gesehen habe.
"Ach, bestimmt bei den Jungs, sie wird uns wohl kaum die ganze Zeit zugeschaut haben, als wir nichts gemacht haben."
Wir sind zwar wirklich nur so dagelegen, aber ich genieße seine Nähe einfach total, es ist im Moment das Schönste, was es gibt, für mich.

Wir bekommen unseren Eisbecher und essen ihn zufrieden.
Manchmal reden wir, manchmal essen wir beide und die meiste Zeit beobachten wir uns gegenseitig.
Leons blaue Augen, die auf meinen ruhen, durch mein Gesicht wandern, kurz an meinen Lippen hängenbleiben, bis er mir wieder in die Augen schaut.
Ein leichtes Lächeln liegt die ganze Zeit auf seinen Lippen und er sieht sehr glücklich aus.

Ich bin auch glücklich.
Glücklich, ihn zu haben.
Wir sind zwar nicht zusammen oder so etwas, aber das macht mir im Moment keine Sorgen.
Zuhause schließe ich das mit Finn ab und wenn Leon wieder da ist, kann ich mich voll und ganz auf ihn konzentrieren, dann kann uns nichts mehr trennen.

"Was ist da?", fragt er verunsichert und ich wache verwirrt aus meinen Gedanken auf.
"Was ist wo?"
"Na da, wo du die ganze Zeit hingeschaut hast."
"Achso, ne, ich war in Gedanken."
"Bist du fertig?"
Leon deutet auf meinen leeren Eisbecher und ich erhebe mich nickend.
Mit den Krücken habe ich keine Hand frei und so nimmt Leon die kleine Tasche mit meinem Handy und den Wertsachen, die ich immer bei mir habe, wenn wir Eisessen gehen oder so.

Wir gehen zu dem Platz der Jungs, wo wir auch Laura antreffen.
Ich setze mich umständlich hin und Leon redet irgendwas mit Laura.
Ich denke nicht weiter darüber nach, sondern mache mich mit Laura nach einer Weile auf den Weg in unsere Wohnung.
Wir duschen beide und setzen uns auf den Balkon.
Ich nehme mein Handy raus und schaue die Bilder durch, die ich den Tag über gemacht habe.
Die Bilder von der Rutsche, von den anderen im Wasser, von den Quallen...
Dann wische ich weiter über den Bildschirm und ich sehe ein Bild, das ich nicht gemacht habe.
Ich, schlafend in Leons Armen und Leon, der strahlend in die Kamera grinst.
Das nächste Bild ist wieder dasselbe, nur, dass Leon mir auf den Kopf küsst und die Augen geschlossen hat.
Weitere dieser Art folgen und sie sehen echt süß aus.
Leons Augen leuchten sogar hier aus dem Handybildschirm raus und seine Haare sehen einfach nur richtig gut aus, wenn sie so nass verstrubbelt sind.
Dann noch sein Grinsen...

"Laura, hast du diese Bilder gemacht?", frage ich sie und zeige ihr den Bildschirm.
"Ja, ihr habt so süß ausgesehen! Dann ist dein Handy so passend dagelegen und ich dachte mir, warum nicht? Dann hast du wenigstens eine schöne Erinnerung an den Tag."
Ich bedanke mich bei ihr und umarme sie, bevor mir das Thema vom Nachmittag wieder einfällt.
"Ähm Laura, was habt ihr da eigentlich so als Begründung gesagt bei dieser Wette?"
Sie wird etwas verlegen und verunsichert.
"Naja, ich hab halt gesagt, dass du einen Freund hast und die Jungs haben über Leons Vergangenheit erzählt... Wir haben so rumgespunnen, ist wirklich nicht wichtig."
"Hmm, meinst du, es ist eine gute Idee, mit Finn nochmal zu reden zuhause?"
"Ich glaube schon, pass nur auf, dass du nicht seinen grünen Augen genauso verfällst, wie es jetzt bei Leon ist, dann kannst du nicht mehr klar denken", antwortet sie mit einem Zwinkern.
Ja, das ist bei mir wirklich so, das erste, auf das ich bei einem Menschen achte, sind die Augen.
Wenn ein Junge schöne Augen hat, kann ich für nichts garantieren.
"Ne, so wie er mit mir geredet hat, werde ich mich beherrschen können", erwidere ich mit einem schiefen Grinsen.
"Ach komm, das Thema hatten wir doch schon, das musst du verstehen. Du wärst auch nicht begeistert gewesen, so etwas von einer Freundin zu erfahren."
Sie hat ja so Recht, wie eigentlich immer.
Wenn ich mich in ein Thema zu sehr reinsteigere, holt mich Laura immer auf den Boden zurück und legt die Tatsachen dar.

"Ähm, wie spät ist es?", fragt sie wenig später und ich sage ihr die Uhrzeit.
19:21.
"Gut danke, dann werde ich mich so langsam fertig machen."
"Hä wofür, gehen wir essen?"
"Ne, ich übernachte heute bei den Jungs."
"Und ich?!", frage ich sie empört.
"Leon kommt zu dir."

Bitte was?!

Ein Sommer ohne ErwartungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt