Kapitel 35

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"Hä, das ist doch klar, wir haben ihn gestern gesehen!"

"Ja, ihr wusstet doch, dass ich einen Freund habe."

"Aber nicht, dass er es ist!"

Ninas Stimme gleicht mittlerweile fast einem hysterischen Kreischen, doch ich habe keine Ahnung, wovon sie redet.

"Wer er? Es ist einfach Leon, er ist attraktiv, keine Frage, aber- "

"Warum wolltest du uns nicht erzählen, dass dein Freund Model ist?", schaltet sich Marie nun mit einer etwas ruhigeren Stimme ein.

"Er ist was?!", fragen Laura und ich gleichzeitig verdutzt, wohl etwas zu laut, denn schon wieder drehen sich alle nach uns um.

"Sagt nicht, dass ihr dass nicht wisst!"

Ninas und Maries Blicke sind gleich fassungslos und sie sehen uns mit großen Augen an.

Mittlerweile bin ich verzweifelt.

"Ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet, Leon und ein Model?"

Die Vorstellung ist so absurd, dass ich wider Willen anfangen muss zu lachen.

Es ist einfach zu komisch.

Doch die Blicke der beiden bleiben ernst und Marie sagt: "Leon ist Model in der einen Sportmarkenwerbung, dort joggt er oberkörperfrei durch den Wald und präsentiert eine eng anliegende Sportshorts, die durch seine durchtrainierten Beine gut betont wird. Du solltest unbedingt mit ihm darüber reden, es ist nämlich eindeutig er."

Diese Aussage beschert mir einen lang anhaltenden Lachanfall, auf keinen Fall würde Leon für eine Fernsehwerbung modeln.

Wir sind hier in keiner Großstadt wie Paris, Berlin oder New York, wie groß ist bitte die Chance, als Model entdeckt zu werden?

Außerdem, wenn es so wäre, hätte er es mir erzählt, davon bin ich überzeugt.

"Elena, schau, alle Mädchen auf dem Schulhof haben ihn erkannt, es ist ein Wunder, dass ihr es noch nicht gesehen habt, diese Werbung wird in letzter Zeit ständig gebracht, ich schicke dir später den Link, dann kannst du dich selbst überzeugen", erstickt Nina mir das Lachen im Hals.

Was, wenn es doch wahr ist?

Mein Handy klingelt, eine Nachricht von Nina.

Der Link.

Den ganzen Tag konnte ich mich nicht richtig konzentrieren, weil mir die Blicke der anderen Schüler im Kopf herumgespukt sind, immer wieder habe ich sie vor meinem inneren Auge gesehen.

Es würde alles mehr Sinn ergeben.

Es ist ja nicht das Schlimmste der Welt, er ist ja nicht nackt.

Laut Nina ist er zwar oberkörperfrei, aber er kann es auch zeigen.

Das Schlimmere daran ist, dass er es mir nicht gesagt hat.

Wir sind jetzt schon einige Wochen zusammen und haben eigentlich alles über uns erzählt, was im Moment wichtig ist und diese Werbung ist es ja eindeutig, wenn sie zurzeit im Fernsehen ausgestrahlt wird.

Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet habe, öffne ich die Seite und sehe zuerst das Logo der sehr bekannten Sportmarkenfirma.

Dann beginnt der kleine Werbefilm und man sieht einen Wald.

Alles friedlich, die Blätter sind grün, Eichhörnchen klettern die Stämme hinauf und auf den Ästen zwitschern die Vögel munter um die Wette und die Sonne blitzt zwischen den Baumkronen hervor.

Dann verändert sich die Kameraeinstellung und ein kleiner Trampelpfad ist zu sehen, auf dem ein Jogger daher kommt.

Die Haare sind wild durcheinander und werden weiterhin vom Wind zerzaust, die Kopfhörer führen von den Ohren zu einem Handy in der Hosentasche der Shorts, auf dem Oberkörper sieht man kleine Schweißtropfen und die Füße stecken in Sportschuhen derselben Firma wie die Hose.

Dann erst sehe ich mir das hübsche Gesicht des Läufers genauer an.

Es ist Leon.

Eindeutig.

Ich stoppe das Video, mache einen Screenshot und schicke ihn Leon.

Dann lege ich mein Handy weg und warte.

Nach unerträglichen Minuten mache ich mir was zu essen, um mich abzulenken.

Das Handy habe ich immer dabei, falls Leon die Nachricht endlich mal lesen sollte.

Nach dem Essen schalte ich den Fernseher ein und nach einer weiteren halben Stunde klingelt mein Handy.

Leon ruft an.

Ich atme ein letztes Mal tief durch und gehe ran.

"Elena, gut, dass du rangehst, ich kann das erklären."

"Du kannst erklären, dass du mich vier Wochen unserer Beziehung belogen hast? Na, dann schieß mal los."

Meine Stimmme ist sehr kühl und vorwurfsvoll, weshalb Leon seufzt und beginnt zu erzählen.

"Also, es tut mir echt Leid, dass ich dir nichts gesagt habe, aber das mit dem Modeln war eigentlich nur eine Art Ausrutscher. Es war eigentlich nur eine Art Wette, mich bei so etwas zu bewerben und wie das Schicksal so wollte, haben sie mich genommen. Wenn ich das nicht gemacht hätte, hätte ich ein Auto kaufen müssen, als Wetterlös. So bekomme ich jetzt selbst Geld für die Werbung, sehr viel, wie du dir denken kannst. Aber wieder zurück, ich hab es dir nicht gesagt, weil ich es schön fand, ein Mädchen kennenzulernen, das mich nicht wegen der Werbung mag. Es ist zwar nicht so wie bei Superstars oder so, aber hier kennt man sich meistens und du hast die Reaktion auf dem Schulhof ja gestern gesehen. Wahrscheinlich hat es dir wer erzählt, der es wusste, oder?"

Ein Sommer ohne ErwartungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt