Kapitel 51

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"Puh, endlich", seufze ich und lasse mich in den Sitz des ICEs fallen.

Der Weg bis zum Hauptbahnhof war mehr als nur nervenaufreibend, die Lehrer haben uns durchgehend gehetzt, weil wir zu spät dran waren, dann mussten wir mit so einer großen Gruppe immer vollständig in eine U- oder S-Bahn, wegen Aufsichtspflicht und so, bla, bla, mehr als die Hälfte von uns ist schon über 18!

Die sollen nicht so ein Kindergartentheater machen.

Schließlich sind wir dann doch pünktlich und vollzählig angekommen, haben uns wieder die besten Plätze gesichert, die Koffer verstaut und treten die Heimfahrt an.

Mit den Kopfhörern in den Ohren schließe ich die Augen und lehne mich an die kühle Fensterscheibe.

In spätestens 7 Stunden bin ich wieder zuhause.

Ich werde meinen Eltern und meinem Bruder alles erzählen und es wird sein wie immer, wenn ich von einer Klassenfahrt zurückgekommen bin.

Nur werde ich im Gegensatz zu letztem Jahr keinen Freund haben, dem ich das alles begeistert schildern kann und der mir mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht zuhört.

Es wäre vor ein paar Tagen zwar ein anderer gewesen wie letztes Jahr, aber er wäre mir sehr viel lieber gewesen.

Tja, und jetzt habe ich den Salat.

Leon hat zwar nicht explizit Schluss gemacht, aber es sieht wohl stark danach aus.

Die Traurigkeit kommt wieder hoch und ich muss sehr aufpassen, um nicht loszuheulen.

Ich will ihn doch nicht verlieren!

Aber wie soll ich es ihm erklären, wenn er mich ignoriert?

'Hi, kannst du bitte Leon sagen, dass es mir unendlich Leid tut und ihm gerne alles erklären würde?', schreibe ich daraufhin Alex und warte ungeduldig auf seine Antwort.

In der Zwischenzeit wackele ich mit meinem Bein auf und ab, eine schreckliche Angewohnheit, die immer auftritt, wenn ich sehr nervös bin.

Nach fünfzehn grausamen Minuten spüre ich den Vibrationalarm meines Handys, das ich in der Hand halte und schaue hektisch darauf.

Von meinen Freundinnen bekomme ich zwar immer fragende Blicke, aber sie verstehen anscheinend meine schwierige Situation.

Ich gebe die Pin ein, die ich mir nach dem Vorfall eingestellt habe, und tippe auf Alex' Chat.

'Sorry, aber er sagt da gibt es nichts zu erklären und dass er nicht mit dir sprechen will :-('

Diese Nachricht ist der Anstoß, dass meine zu lange zurückgehaltenen Tränen wieder zu fließen beginnen.

Ich weine lautlos vor mich hin, als Laura mich zu ihr rüberzieht, sodass mein Kopf an ihrer Schulter liegt und ihrer auf meinem und mir sanft über den Kopf streichelt.

Sie weiß einfach, dass ich im Moment nur ihre Nähe brauche und von ihr getröstet werden will.

Nina und Marie reden auch beruhigend auf mich ein und nach einigen Minuten löse ich mich wieder von Laura, lehne mich wieder an die Scheibe und höre ausschließlich traurige Lieder, die meine aktuelle Stimmung perfekt wiederspiegeln.

Ich schaue unbeteiligt aus dem Fenster und lausche den Liedtexten, die teilweise so traurig gut passen, das sich ab und zu eine Träne meine Wange hinuntertraut.

Die restliche Fahrt schlafe ich ein bisschen, gehe schweigend mit den anderen zum Kiosk und esse etwas oder denke über meine so verhängnissvolle Dummheit nach.

Und wie ich Finn doch hasse.

Und wie ich Leon vermisse...

-

In Kürze erreichen wir den Hauptbahnhof Nürnberg. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.

Die Durchsage ertönt und wie auf Kommando packen wir alle synchron unsere Taschen zusammen und ziehen uns unsere Jacken an.

Wir nehmen die Koffer, steigen aus, melden uns bei den Lehrern ab und marschieren schweigend zu meinem Auto, das da steht, wo wir es hinterlassen haben.

Was Wunder, Ironie lässt grüßen.

Laura legt mir sanft die Hand auf den Arm, als wir das Gepäck verstauen und sagt leise: "Soll ich fahren?"

Ich kann nur nicken und lasse mich auf den Beifahrersitz fallen.

Die Musik aus dem Radio nervt mich und ist zu fröhlich, deswegen drücke ich kurzerhand auf den Aus-Knopf und lasse mich wieder in den Sitz zurücksinken.

"Willst du darüber reden, Elena?", fragt Nina mich, als sie den Kopf zwischen die beiden vorderen Köpfe steckt.

"Leon will nicht mit mir reden, das hat sogar Alex geschrieben", antworte ich monoton und muss mich beherrschen, nicht wieder in Tränen auszubrechen.

"Och, Süße, das kommt schon noch, er braucht einfach ein bisschen, aber dann klingt die Wut auch wieder ab und er merkt, wie sehr er dich vermisst. Alles wird wieder gut."

Ich kann nur nicken und schaue aus dem Fenster, um nicht loszuheulen.

Seit heute Morgen bin ich sehr nahe am Wasser gebaut.

Nach der schweigenden Fahrt bringt Laura erst Nina und Marie nach Hause, bevor sie in die Einfahrt meines Zuhauses fährt.

Wir steigen aus und sie umarmt mich noch einmal fest und murmelt mir beruhigende Dinge zu, dann nimmt sie ihren Trolli und macht sich auf den Weg zu ihr nach Hause.

Ich atme tief durch und sperre die Tür auf.

Der vertraute Geruch steigt mir in die Nase und Erinnerungen kommen hoch.

Wie ich Leon hier meinen Eltern vorgestellt habe.

Wie wir zusammen im Garten gesessen sind.

Wie ich vor Freude durch das Haus getanzt bin, als ich an ihn gedacht habe.

Ich will mich gleich auf den Weg in mein Zimmer machen, als meine Mum kommt und mich freudig zur Begrüßung umarmt.

Mit der Begründung, müde zu sein, mache ich mich dann auch gleich auf den Weg in mein Zimmer und lasse mich ins Bett fallen, wo ich auch sofort einschlafe.

Ein Sommer ohne ErwartungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt