Kapitel 26

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„Ich will ihn nochmal schauen!"

Wieder einmal riss mich Ben an diesem Tag unsanft aus meinen Gedanken. Der Kleine war heute aber auch wirklich nicht müde zu bekommen, während ich mich zusammenreisen musste, um nicht auf dem schmalen Krankenhausbett einzuschlafen.

„Wollen wir nicht lieber einen der anderen Filme schauen, Benjy?"
Ich hob die drei anderen Disney-Streifen in die Höhe, die ich noch vor meinem Besuch im Krankenhaus ausgeliehen hatte.

Ben schüttelte energisch den Kopf und startete zum dritten Mal an diesem Tag Aristocats. Weshalb ich eigentlich überhaupt andere Filme ausgeliehen hatte, war mir ein Rätsel. Schließlich entschied er sich jedes Mal für genau diesen. Nicht, dass mir Aristocats nicht gefiel, ganz im Gegenteil, es war eindeutig mein liebster Disney-Streifen, doch nachdem ich ihn allein in diesem Jahr mindestens 50mal hatte sehen müssen, hing er mir so langsam zum Halse raus. Sowohl Ben, als auch ich, konnten mittlerweile den Text und vor allem die Lieder mitsprechen, weshalb wir praktisch ein kleines Schauspiel aufführten, sobald wir ihn gemeinsam schauten.

Mit den Gedanken eigentlich ganz woanders sang ich leise die Titelmusik mit. Ich konnte die Ereignisse der letzten Nacht einfach nicht aus meinem Kopf bekommen.

Was war nur in mich gefahren?
So betrunken war ich nun auch wieder nicht gewesen, dass ich den Alkohol als Ausrede nutzen konnte. Ich hatte tatsächlich mit meinem Boss geschlafen!

Doch ich wusste nicht, ob das überhaupt das Schlimmste in den letzten 24 Stunden gewesen war.

Kaum war ich am nächsten Morgen an Jaydens nackte Brust geschmiegt aufgewacht, hatte mich der Schlag getroffen. Plötzlich war jede Minute, jede Sekunde der letzten Nacht auf mich herabgeprasselt und hatte mich erdrückt. Schließlich hatte ich mich aus Jaydens Umarmung befreit, mich angezogen, meine Sachen gepackt und war in die Hotellobby verschwunden. Von dort aus hatte ich ihm die Nachricht übermitteln lassen, dass ich mich schon einmal zum Flughafen aufgemacht hatte.

Ich hatte die klischeehafte Flucht vor dem Frühstück ergriffen. Im Nachhinein war mir das furchtbar peinlich. Ich war eine erwachsene Frau und brachte es nicht einmal auf die Reihe mit dem Mann zu reden, der mir noch wenige Stunden zuvor die glückseligsten Geräusche entlockt hatte.

Als Jayden schließlich auch am Flughafen angekommen war, war er wieder der arrogante Idiot gewesen, der nicht vor mir versteckte, wie angepisst er von mir war.

Zu allem Übel musste ich auch noch zugeben, dass er alles Recht hatte, sauer auf mich zu sein. Warum hatte ich nicht einfach mit ihm geredet und ihm erklärt, dass es für mich eine einmalige Sache gewesen war?! Dass ich keinesfalls seine nächste Liebschaft in der Firma werden würde und ihm auch nicht, wie ein verliebter Teenager hinterherlaufen würde.

Alles, was ich wollte war mein Job. Ich konnte ihn einfach nicht verlieren!
Der Heimflug war schließlich die Krönung des ganzen Schlamassels gewesen. Wir hatten kein einziges Wort miteinander gewechselt, nicht einmal verabschiedet hatten wir uns. Ich hatte mich nicht gewagt auch nur einen Ton von mir zu geben und Jayden war einfach zu wütend auf mich, um etwas zu sagen.

Zum keine Ahnung wievielten Mal versank ich am heutigen Tag tief in meine Erinnerungen. Dem Film schenkte ich keinerlei Bedeutung mehr.

Am liebsten hätte ich meinen Kopf so lange gegen die Wand gedonnert, bis ich die Ereignisse der letzten Nacht vergessen hätte.

Obwohl das schade um den guten Sex wäre!, flüsterte eine Stimme im letzten Winkel meines Gehirns.

Zu allem Übel musste ich ihr Recht geben. Die letzte Nacht war tatsächlich alles andere als schlecht gewesen.

Alles, was ich geben kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt