Kapitel 12

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Zehn nach Acht!
Ungeduldig ließ ich meine Fingernägel auf die Plastiklehne des Sitzes klappern, an dem ich mich festhielt.

Ich war doch tatsächlich in meiner Hektik in die falsche U-Bahn gestiegen. Nicht, dass es nicht schon schlimm genug war in meinem Aufriss mit der Bahn durch die halbe Stadt zu fahren, nein, ich hatte auch unbedingt die falsche Linie nehmen müssen.

Mr. Carstairs würde mir den Hals abreisen!
Er hatte extra betont, dass ich pünktlich sein sollte und jetzt verspätete ich mich mindestens 15 Minuten. Unprofessioneller ging es kaum.

Als die Bahn endlich an meiner Zielstation hielt, eilte ich hastig nach draußen und achtete nicht auf die anderen Menschen. Dafür erhielt ich die ein oder anderen bösen Rufe, doch diese ignorierte ich gekonnt.

Ich hätte mir am liebsten die hochhackigen Schuhe von den Füßen gestreift, um den restlichen Weg rennend zurückzulegen, doch einen Riss in meiner Feinstrumpfhose würde ich keines Falls riskieren. Außerdem war die Gefahr zu hoch, dass Livs Kleid durch eine Wasserpfütze oder Wiederwertigeres verschmutzt wurde.

Zum Glück befand sich das Restaurant lediglich zwei Straßen von der U-Bahnstation entfernt. Schon von Weitem konnte ich meinen Chef vor dessen Türen stehen sehen. Ungeduldig tippte er mit der Spitze seines Fußes auf den Boden und starrte auf die Armbanduhr an seinem Handgelenk.

Sicherlich war er stinksauer.

„Tut mir leid, tut mir leid.", begann ich ihn zu besänftigen, kaum, dass ich in seiner Hörweite war.

Mr. Carstairs hob ruckartig den Kopf, als er meine Stimme hörte. Sein Blick wanderte prüfend über meinen Körper. Anscheinend war mein Aufriss für seine Begriffe hübsch genug, denn er sagte nichts zu meinem Aussehen. Die erste Hürde war also gemeistert, ich hatte mich passend gekleidet.

„Was tut ihnen denn leid?"

Das Lächeln, welches er mir schenkte, verunsicherte mich. Es wirkte freundlich und einladend, erreichte allerdings seine Augen nicht. Bisher hatte ich außer sein scheußliches förmliches und das herablassende süffisante Lächeln noch keines auf seinen Lippen gesehen.

„Ähm..., dass ich... äh... zu spät bin.", antwortete ich zögerlich.

„Ach, sie sind zu spät, das wäre mir überhaupt nicht aufgefallen."
Sein Lächeln wurde auf unheimliche Weise breiter, seine Worte klangen allerdings alles andere als freundlich.

Ich runzelte verwirrt die Stirn, denn an seinen Worten zweifelte ich stark. So wie er gerade noch seine Uhr hypnotisiert hatte, war ihm durchaus aufgefallen, dass ich viel zu spät gekommen war.

„Ähm...", erwiderte ich sehr einfallsreich, da mir einfach nichts anderes einfallen wollte.

Doch Mr. Carstairs schien keinen Kommentar meinerseits zu erwarten, denn er begann sofort seiner Wut Luft zu machen.

„Das war Ironie!", herrschte er mich an.

Hmpf... die Sache mit der Ironie hatte ich noch nie wirklich drauf gehabt...

„Ich habe ihnen mehr als deutlich gemacht, dass sie pünktlich zu erscheinen haben!"
Sein Tonfall wurde immer harscher. Ich hatte Recht gehabt, er war wirklich stinksauer. Klasse, das fing ja schon mal super an. Ich bereute wirklich nicht einfach abgesagt zu haben. Seine Worte verursachten, dass ich immer kleiner wurde und in mich zusammenschrumpfte. Da war sie wieder, die kleine Kassia Parker, die sich von ihrem Chef runtermachen und einschüchtern ließ.

„I-Ist... ist Mr. Wayne schon h-hier?", stotterte ich sichtlich eingeschüchtert.

Mr. Carstairs bedachte mich noch einige weitere Sekunden mit steinerner Miene, bis er mir endlich antwortete:
„Nein, ich habe ihn erst auf halb neun hierher bestellt."

Alles, was ich geben kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt