Epilog

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Es war beinahe schon zu einem Ritual geworden, dass ich mitten in der Nacht aus meinem Schlaf schreckte und in sein Zimmer kam. Jedes Mal pochte mein Herz eine Spur schneller, bis ich endlich seinen regelmäßigen Atem hören konnte und sah, wie sich seine schmale Brust leicht hob und wieder senkte.

Wie jede Nacht stiegen mir Tränen in die Augen, während ich gleichzeitig überglücklich war, Ben leben zu sehen. Drei Jahre war es her, seit man uns alle Hoffnung genommen hatte. Vor drei Jahren hatten wir die Schweiz verlassen und waren zurück nach New York gekommen, um Ben ein normales Leben zu schenken. Die Ärzte hatten gesagt, dass sie ihm im besten Fall zwei Jahre verschafft hatten, im schlimmsten einige Monate.

Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, Ben die schönsten zwei Jahre zu bereiten, die ein Kind nur haben konnte.

„Sein Atem ist die schönste Musik, die es gibt."

Erschrocken zuckte ich zusammen, als Jayden seine Arme von hinten um meinen Bauch schlang und mich fest an seine Brust zog. Sofort entspannte ich mich und ließ mich erschöpft gegen ihn sinken.
Jayden hatte Recht, Ben atmen zu hören glich jede Nacht einem Wunder. Es war mir beinahe unwirklich vorgekommen, als Jayden mir irgendwann Broschüren einiger Schulen vor die Nase gehalten hatte. Wir waren uns vor drei Jahren nicht einmal sicher gewesen, ob Ben seinen fünften Geburtstag erleben würde und nun hatten wir uns Gedanken über seine Einschulung machen müssen. Bens siebter Geburtstag vor einigen Tagen, erschien mir noch immer wie ein fantastischer Traum. Obwohl ich wusste, dass jeder Tag sein letzter sein könnte, wurde ich von Tag zu Tag glücklicher und die Angst, Ben zu verlieren wurde geringer. Denn jede weitere Stunde, jede Minute mit dem Kleinen war ein Geschenk, das wir uns nicht zu erträumen gewagt hatten.

„Kommst du mit zurück ins Bett?", hauchte Jayden.

Ich konnte seine Lippen direkt an meinem Ohr spüren. Ich nickte, verharrte allerdings einen kurzen Augenblick und betrachtete Ben noch einmal eingehend, bevor ich mich von Jayden aus dem Kinderzimmer ziehen ließ.

Leise schloss Jayden die Tür hinter uns und zog mich daraufhin an seine warme Brust. Seufzend kuschelte ich mich in seine Arme und genoss für einen Moment seinen Geruch und die Wärme seines Körpers. Er wusste genau, wie schwer es jedes Mal für mich war, Ben zu verlassen. Jedes Mal durchfuhr mich der Gedanke, dass ich den Kleinen niemals wieder würde atmen sehen.

Ich hob meinen Kopf und verschloss Jaydens Mund mit meinen Lippen. Er erwiderte meinen sanften Kuss mit so viel Gefühl, dass ich beinahe zerflossen wäre.

Ich war Jayden so dankbar für alles, was er für Ben und mich getan hatte. Ich verdankte ihm nicht nur Bens Leben, sondern auch das meine.

„Danke.", flüsterte ich an seine Lippen, als wir uns schließlich voneinander lösten. „Du bist das Beste, was Ben und mir passieren konnte."
Jayden schaute mir dermaßen intensiv in die Augen, dass ich glaubte, er könne mein Innerstes lesen. Langsam schüttelte er den Kopf.
„Nein, du bist das Beste, was Ben und mir passieren konnte.", widersprach er mir schließlich, „Du gibst so vieles für uns, für die Menschen, die du liebst."
Ich ließ meine Stirn gegen seine sinken, schloss die Augen und atmete noch einmal seinen Geruch tief ein.

„Alles, was ich geben kann.", bestätigte ich ihn.

Alles, was ich geben kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt