Kapitel 36

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Als ich heute ganze vierzig Minuten zu spät zu meiner Schicht im 24/7 Diner kam, schmiss Liv den Laden alleine. Wahrscheinlich hatte Madison, deren Ablöse ich eigentlich war, genug vom Warten gehabt.

Rasch warf ich meine Sachen unter den Tresen und begann an die Arbeit zu gehen. Dabei behielt ich Liv die ganze Zeit aus dem Augenwinkel im Blick. Ihr schien es tatsächlich gut zu gehen. Den blauen Schatten um ihr Auge hatte sie mit reichlich Make-Up überschminken können und die dunklen Augenringe versteckten sich unter einer dicken Schicht Concealer, die einer Person, die nicht wusste, was ihr gestern Nacht passiert war, überhaupt nicht auffiel.

Doch auch ihr Verhalten war völlig normal.

Wie gewohnt leerte sich das Diner gegen acht Uhr. Wir hatten bereits unsere Tische abgewischt und alle restlichen Aufgaben erledigt, als wir uns an den Tresen setzten, um unseren Füßen eine kurze Auszeit zu verschaffen.

„Liv, wenn du möchtest, dann kann ich heute Nacht bei dir schlafen.", bot ich meiner besten Freundin nach einer kurzen Weile der Stille an.

Ihr Blick, der zuvor verträumt auf der Tischplatte geklebt hatte, schoss auf einmal in die Höhe. Ich meinte für einen Moment etwas wie Angst in ihren Augen schimmern zu sehen, konnte allerdings nicht sagen, ob ich mir das nur eingebildet hatte.

„Das wäre ganz gut.", hauchte Liv, während sie mit ihren Fingern die Maserung des Tisches nachfuhr.

„Als ich vorhin dort gewesen bin... da... da hat es sich irgendwie anders angefühlt, nicht mehr, wie mein Zuhause.", offenbarte sie mir schließlich.

Ich legte Liv einen Arm um die Schulter und drückte sie kurz.

„Das ist doch völlig verständlich. Du musst erst wieder anfangen, dich in deiner Wohnung wohlzufühlen. Ich will heute Abend nur noch kurz zu Ben ins Krankenhaus, danach komme ich sofort zu dir und wir kuscheln uns zusammen in dein Bett.", schlug ich ihr aufmunternd lächelnd vor.

Ich konnte nur hoffen, dass es tatsächlich so einfach war, wie ich ihr versprochen hatte.

„Könnte ich vielleicht auch mit, den Kleinen besuchen kommen? Ich habe ihn schon ewig nicht mehr gesehen und wir könnten danach zusammen zu mir fahren."
Schnell nickte ich. Ich wusste, dass es ihr dabei nicht nur um Ben ging, viel mehr vermutete ich, dass sie einfach nicht alleine in ihrer Wohnung sein wollte, doch das konnte ich mehr als verstehen. Ben würde sich sicherlich freuen, endlich einmal wieder jemand anderen als mich zu sehen.

„Ich mach das am Freitag übrigens trotzdem.", wechselte Liv so abrupt das Thema, dass ich für einen kurzen Moment völlig verwirrt war, bis mir endlich einfiel, über was sie gerade sprach. Ihre Geburtstagsparty.

„Bist du dir sicher, dass es dir dafür wirklich gut genug geht?", fragte ich besorgt nach.

So langsam kam ich mir vor, wie eine übervorsichtige Mutter, die ihr Kind am liebsten in eine Sicherheitsblase einpacken würde. Ich musste wirklich aufhören Liv ständig zu fragen, ob es ihr gut ging.

Liv schien den gleichen Gedanken zu haben, wie ich.

„Ich sage das zum letzten Mal! Mir geht es gut! Wir lassen uns unser Leben von Logan nicht versauen!"
Das war schon längst geschehen, nervte mich meine innere Stimme, doch ich schob sie rasch fort. Es war nicht der richtige Zeitpunkt negative Stimmung zu verbreiten, denn Liv begann bereits über ihren Geburtstag zu schwärmen.

Wie sie mich dazu gebracht hatte, bei der ganzen Sache mitzumachen, war mir noch immer ein Rätsel. Klar war sie meine beste Freundin und ich würde für sie durchs Feuer gehen, aber die Aktion am Freitag, kam meiner Meinung nach der Hölle ziemlich nahe.

Alles, was ich geben kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt