Kapitel 31

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Es war Mittwochmorgen und ich saß seit geschlagenen zwei Stunden in dem langweiligsten Meeting der Welt. Ich hatte wirklich Mühe, meine Augen offen zu halten. Nach meiner gestrigen Schicht im Diner war ich noch zu Ben ins Krankenhaus gefahren und hatte bis mitten in die Nacht hinein an seinem Bett gesessen. Der Kleine war zwar kurz nach meinem Erscheinen eingeschlafen, aber es hatte mir gut getan, einfach neben ihm zu sitzen und seinem Atem zu lauschen. Die Angst, die sich als ständiger Begleiter in meiner Magengrube eingenistet hatte, war am erträglichsten, wenn ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen konnte, dass Ben am Leben war.

Kurz schüttelte ich meinen Kopf und hoffte damit auch meine Gedanken zu vertreiben, um mich wieder auf den gerade stattfindenden Vortrag zu konzentrieren. Wenn ich mich nicht ganz täuschte war mittlerweile die IT-Abteilung an der Reihe. Die Vorbereitungen für die Veröffentlichung der Frühjahrskollektion waren im vollen Gange, denn bald sollten die neuen Designs auf den Markt gehen. Das war auch der Grund für das Meeting, dem ich mit all meiner Kraft versuchte zu folgen. Mr. Miller hatte sich nach seinem Vortrag über die Fortschritte der Marketingabteilung bezüglich der neuen Kollektion verdünnisiert und mir aufgetragen an seiner Stelle den restlichen Abteilungsleitern zuzuhören, da er noch immer dabei war die Dinge aufzuarbeiten, die während seiner Abwesenheit liegen geblieben waren.

Nun saß ich hier seit zwei Stunden und hatte zugegebenermaßen bereits nach der dritten Abteilung abgeschaltet. Ava war als Leiterin des Designs als zweite, direkt nach Miller an der Reihe gewesen. Ihren Worten hatte ich tatsächlich noch sehr interessiert gelauscht, denn die neuen Stoffe waren wirklich ein Traum. Die Rechtsabteilung hatte mich schließlich komplett abschweifen lassen. Ich wollte ihre Arbeit auf keinen Fall abwerten, doch es war mir einfach nicht möglich den Aufzählungen über Plagiat- und Datenschutz zuzuhören.

Die Abteilungsleiterin der IT war gerade dabei, den Online-Katalog vorzustellen und ich startete einen letzten Versuch ihren Worten zu folgen. Doch es dauerte keine zwei Minuten, da redete sie über irgendwelche technischen Dinge, die ich beim besten Willen nicht verstand.

Zuhören Kassia!, ermahnte mich die kleine Stimme in meinem Kopf, als ich gerade wieder dabei war abzuschweifen.

Das Licht, welches aufgrund der PowerPoint-Präsentation ausgeschaltet war, machte es mir noch schwerer die Augen offen zu halten. Auch die große Fensterfront war durch Rollos verdunkelt worden, sodass das Strahlen des Beamers die einzige Lichtquelle darstellte.

So langsam kam mir der Gedanke, dass Miller seine aufgehäufte Arbeit lediglich als Vorwand genutzt hatte, um mir das Meeting zuzuschieben. Ihm war sicherlich bewusst gewesen, wie langweilig es war.

Eine Hand, die sich auf mein Knie legte, ließ mich heftig zusammenzucken. Beinahe hätte ich vor Schreck aufgeschrien, konnte mir allerdings gerade noch auf die Unterlippe beißen.

Mein Blick huschte ruckartig zu Jayden, der links von mir saß, doch er schrieb gerade etwas auf den Notizblock, der vor ihm lag. Würde ich seine Hand nicht mehr als deutlich auf meiner nackten Haut spüren, hätte ich geschworen, dass er seine volle Konzentration dem IT-Vortrag schenkte.

Ich versuchte Jayden unauffällig mit meinen Blicken zu töten, um ihm deutlich zu machen, dass er seine Griffel von mir nehmen sollte. Doch entweder bemerkte er meinen vernichtenden Blick nicht, oder er ignorierte ihn gekonnt. Ich tippte auf letzteres.

Jayden legte seinen Kugelschreiber beiseite und schaute interessiert auf die Folie, die gerade auf der weißen Leinwand erschienen war, dabei lehnte er sich lässig in seinem Stuhl zurück. Mit seiner linken Hand schob er mir seinen Block hin. Ich dachte wirklich für einen Augenblick, dass es um die Präsentation ging, aber als ich die wenigen Worte in seiner mehr als krakeligen Schrift entzifferte, wurde ich rot.

Alles, was ich geben kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt