22 - Oma

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Alex lacht auf.
„Da war Alkohol drin?" frage ich ihn mit piepsiger Stimme. Ich glaube mir wird schlecht. „Ein Schuss Wodka hat doch niemandem geschadet!" zwinkert er. Oh Fuck. Das gibt es nicht. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Ich muss kotzen. Ich halte mir die Hand vor dem Mund, befreie mich aus Bens Umarmung und renne so schnell ich kann zu unserer privaten Toilette, direkt hinter dem Büro. Sie werden Fragen stellen. Fuck, Fuck, Fuck. Ich glaube ich habe noch nie so viel innerlich geflucht.

Während ich mir also mal wieder die Seele aus dem Leib kotze, höre ich schnelle Schritte, die immer lauter werden. Und als die Tür geöffnet wird, dauert es nicht lange bis mir jemand die Haare aus dem Gesicht hält und ich weiter kotzen kann. Als ich mein Essen von heute wieder los bin, lasse ich von der Toilettenschüssel ab und lehne mich (heute schon zum zweiten Mal) gegen die kalten Fliesen. Nach einiger Zeit wird mir ein Glas Wasser hingehalten und erst jetzt schaue ich auf. Vor mir sitzt Ben, ebenfalls an die Fliesen gelehnt und schaut mich aufmunternd an. Ich nehme das Glas entgegen und trinke es aus. Ben bricht das Schweigen.
„Geht's wieder?" Ich nicke nur. „Alex hätte dir kein Alkohol gegeben, wenn er gewusst hätte, dass du nicht darfst." sagt er leise. „Ich weiß, ich hätte es ja auch sagen können. Alles gut!" versuche ich zu lächeln. Eigentlich geht es mir ja ganz ok. Merkt man vorher, wenn man einen Herzinfarkt erleidet? Ich habe nämlich keine Ahnung.
„Sophie wollte uns nicht sagen, warum du keinen Alkohol darfst. Erzählst du es mir? Ich meine es muss ja wichtig sein!" Verdammt! Aber ich kann es ihm nicht verübeln. Aber ich kann ihm nicht die Wahrheit sagen. „Naja. Ich war letztens krank und ich muss immer noch Tabletten nehmen. Das heißt kein Alkohol während dieser Zeit." sage ich und habe direkt ein schlechtes Gewissen. Ich sage es noch einmal, das ist erbärmlich. Ich bin erbärmlich.
Ben scheint mir auch nicht ganz zu glauben, denn er steht auf und streckt mir seine Hand entgegen. Ich lege meine in seine und er hilft mir auf zu stehen. Dann sagt er: „Ich hoffe du sagst mir irgendwann die Wahrheit!" dabei lächelt er gequält. „Ben-ich- kann noch nicht. Ich kann noch nicht darüber reden. Es tut mir leid!" Ich schaue bedrückt zu Boden. Er umarmt mich und gibt mir einen kurzen Kuss auf den Kopf und will gehen aber ich halte ihn fest. „Ich liebe dich" flüstere ich und mir läuft eine kleine Träne über die Wange. Er wischt sie mir mit den Daumen weg. „Ich liebe dich auch!" Lässt er mich jetzt alleine? Bitte nicht. „Bist du sauer?" frage ich und schaue ihn aus großen Augen an. „Nein" lächelt er. Ich kann nicht anders, ich muss ihn einfach umarmen. Ich schlinge meine Arme um seine Hüfte und drücke mich immer enger an ihn. Nach einiger Zeit legt er auch seine Arme um mich. Und so stehen wir da, eng umschlungen im Büro meines Cafés. Die Tränen kann ich leider auch nicht aufhalten, weshalb Bens Oberteil nachher einen fetten Wasserfleck aufweist.
Gerade als wir nach Vorne gehen wollen, um uns zu verabschieden, höre ich mein Handy klingeln. Wer will denn so spät noch etwas von mir? Ich beeile mich schnell ran zu gehen.

„Mein Gott, Mila. Endlich gehst du ran." höre ich Tom erleichtert, aber auf Grund der Tatsache, dass seine Stimme zittert, werde ich panisch. „Tom? Was ist los? Ist etwas passiert?" frage ich ihn. Er atmet hörbar aus bevor er spricht. „Kannst du ins Krankenhaus kommen?" „Tom, was ist passiert?" „Oma-Sie hatte einen Herzinfarkt." „Was?! Wie geht's ihr?" „Verdammt Mila, komm einfach ins Krankenhaus!" „Ich beeile mich!" und damit lege ich auf, schmeiße mein Handy in die Tasche, schnappe mir meine Jacke und habe Ben völlig vergessen.
Erst als er mich fragt was passiert sei, registriere ich ihn wieder. Ich bin völlig fertig. Ich hatte Glück und meine Oma dafür Pech, das ist doch nicht fair. Ich fange wieder an zu weinen. „Ich muss ins Krankenhaus, Oma sie-" ich breche ab. Meine Stimme zittert zu sehr, um weiter zu reden.
„Was machst du da?" frage ich ihn als er auf seinem Handy herum tippt. „Jonas bringt uns ins Krankenhaus. Komm." Er hält mir die Hintertür auf, damit wir in die kalte Nacht treten können. Ich zittere wie am Spieß und die Tränen verwandeln sich schon in richtige Sturzbäche. Mehrere Schluchzer erschüttern meinen Körper. Ben legt mir einen Arm um die Schultern und als der schwarze Geländewagen vorfährt, hält er mir auch diesmal die Tür auf. Ich klettere auf den Rücksitz und Ben nimmt sofort neben mir Platz. Nach wie vor hält er meine Hand, die er immer wieder aufmunternd drückt.

***

„Mila!" kommt meine Mutter weinend auf mich zu und fällt mir sofort um den Hals. „Wie geht's ihr?" frage ich ebenfalls aufgelöst. „Ich weiß nicht, die Ärzte sind noch nicht wieder da!" sagt sie an meine Schulter. Als sie sich von mir löst, umarmt sie auch Ben, der nicht ganz weiß, was er sagen soll. Mein Bruder kommt zusammen mit Lena ebenfalls auf uns zu. Man kann beiden ansehen, dass es sie Nerven gekostet hat. Wie lange sind sie wohl schon hier? Toms Augen sind leicht gerötet und auf seinen Wangen sind leichte Tränenspuren vor zu finden. So kenne ich ihn gar nicht. Papa ist der einzige, der sitzen geblieben ist, dabei hat er sein Gesicht in seinen Händen vergraben.
Ich setzte mich leise neben ihn und lehne mich an seine Schulter. „Hallo mein Spatz." flüstert er, jedoch sagt er danach nichts mehr, da ihm wahrscheinlich die Kraft dazu fehlt. Ich sage auch nichts und erst als Ben sich neben mich setzt und meine Hand festhält, rege ich mich und schaue ihn müde an. Der Rest meiner Familie hat sich auch wieder gesetzt.

Wir warten und warten und warten. Im Krankenhaus selbst, herrscht reges Treiben, wir sind die einzigen die in der Mitte sitzen und kein Wort über die Lippen bekommen.

Ben habe ich zwar gesagt, er könne nach Hause und sich hinlegen aber er hat darauf bestanden bei mir zu bleiben. Bis jetzt haben wir immer noch keine Informationen über den Zustand meiner Oma und ich werde schier verrückt. Nach einer Weile höre ich eine bekannte Stimme hinter mir. „Mila? Was machst du denn hier? Alles in Ordnung?" fragt er und blickt auf meine Familie. „Ah, Hallo Dr. Kamp. Ja, alles in Ordnung. Ähm ich meine nein, gar nichts ist in Ordnung. Meine Oma wurde eingeliefert und keiner sagt uns etwas." Er atmet einmal erleichtert aus, ehe er sich meinen Eltern vorstellt. „Seine Tochter war bei mir in der Parallelklasse." antworte ich schnell, als meine Eltern fragen, woher wir uns kennen. Tom wirft mir einen enttäuschten Blick zu. Ich weiß, Bruderherz, ich habe es ihnen immer noch nicht gesagt. Und ich fühle mich auch schlecht deswegen, aber es geht nicht anders.
„Ich werde mich mal kurz erkundigen" sagt Dr. Kamp als mein Vater nach seiner Mutter fragt. Als er gehen will, stehe ich kurz auf, um mit ihm kurz leise unter vier Augen zu reden. „Dr. Kamp, ist Dr. Kole (Dr. Max) da?" „Er ist in seinem Büro, wieso stimmt etwas nicht, Mila?" „Doch, doch" antworte ich und er dreht sich mit einem kurzen Lächeln in Richtung der OP- Räume.

***
Als ich von der Toilette wieder komme und gerade einmal 5 Minuten sitze, kommt Dr. Kamp zusammen mit einem Assistenzarzt auf uns zu. Er sieht mich kurz mitleidig an und ich weiß schon was er jetzt verkünden wird. Das ist nicht fair. Das kann nicht. Was habe ich denn in meinem früheren Leben verbockt?! Ich will hier raus. Ich will das nicht hören. Ich will nicht wissen, wie es für meine Familie sein wird, wenn die Ärzte ihnen sagen müssen, dass ich es aufgrund des Herzfehlers nicht geschafft habe.
„Es tut mir wirklich sehr leid ihnen mitteilen zu müssen, dass Frau Summer an den Folgen eines Herzinfarktes gestorben ist. Man hat sie vergebens versucht wieder zu beleben." Ich glaube Dr. Kamp ist noch am reden aber ich höre ihm nicht zu. Das ist alles nur ein dämlicher Alptaum. Bitte, lass das ein Alptraum sein. Jedoch ist es das nicht, es ist die harte Realität.

Eine Stille umhüllt uns, als mein damaliger Arzt den Monolog beendet hat. Niemand weiß was er sagen soll. Oder viel mehr niemand will dazu etwas sagen. Die Stille dauert an, bis man einen von schmererschütterten Schluchzer hört und erst nach ein paar Sekunden realisiere ich, dass dieser aus meiner Kehle drang.
Meine Oma ist tot.

So,der letzte Teil für heute 😅
Das Ende ist vielleicht nicht das Beste, aber mehr als 4 Teile habe ich leider nicht geschafft.
Danke für die vielen Reads, denn um ehrlich zu sein, habe ich damit nicht gerechnet 😅😘
Vergesst das ⛤ nicht, wenn euch die Geschichte gefällt.
Einen wundervollen Abend
Lost_hope17

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