28 - Ohrenbetäubendes Geräusch

10.2K 524 60
                                    

Ich sitze in meinem Auto und fahre durch die Innenstadt. Nach und nach verschwimmt meine Sicht. Immer mehr Tränen schaffen den Weg aus meinen Augenwinkeln.

Ich muss an den Straßenrand fahren, damit ich nicht noch einen Unfall baue. Meinen Kopf stütze ich in meinen Händen auf dem Lenkrad und es dringen mehrere Schluchzer über meine Lippen. Nach einigen Minuten verpufft meine Traurigkeit und Wut nimmt ihren Platz ein. Ich weiß gar nicht warum ich sauer bin.

Eilig wische ich meine Tränen weg und atme einige Male tief ein und aus, bevor ich den Schlüssel im Zündloch umdrehe und mich wieder in den Verkehr einfädle.

Schon nach kurzer Zeit erreiche ich mein altes Zuhause. Sobald ich stehe, nehme ich mir meine Handtasche, um meinen Handspiegel heraus zunehmen. Ich fahre mir noch kurz über das Gesicht, damit man nicht sofort sieht, dass ich geheult habe. Meine Haare noch kurz richten, tief einatmen und langsam aussteigen.

Ich glaube, ich habe die Treppen zur Haustür noch nie so langsam bestiegen, wie jetzt.
Schon nach 5 Sekunden meines Klingelns wird die Tür vor mir geöffnet. Für einen kurzen Augenblick denke ich an den Moment als Oma die Tür aufgerissen und Ben und mich beim Küssen erwischt hat. Aber vor mir steht nicht meine Oma, sondern meine Mutter, die mir ein herzliches Lächeln schenkt. Was jedoch sofort bricht, als sie mein Gesicht sieht. Ich schüttel den Kopf. Darüber reden will ich garantiert nicht.

Sie schließt mich Widerwillen in ihre Armen und mir steigt der vertraute Geruch meiner Mutter in die Nase. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich ihre Umarmung nicht gut heißen würde. Ich liebe ihre Umarmungen und ich habe sie schon immer geliebt. Sie sind herzlich und man fühlt sich sofort geborgen, auch wenn sie manchmal nur auf das Äußere von uns achtet.

Im Wohnzimmer angekommen, sehe ich schon Tom, Lena und meinen Papa am Tisch sitzen. Jeder auf seinem üblichen Platz und der von Oma wird frei gelassen. Es zeigt, dass wir sie nicht einfach vergessen, dass sie manchmal noch in den Alltag mit eingebunden wird.

Gerade als ich sitze, stellt Mama den Kuchen auf den Tisch und gießt allen außer Lena und mir Kaffee ein. Meine Mutter bricht als erste das Schweigen, das sich um uns herum aufgebaut hatte.

„Also Tom. Was gibt es so besonderes, dass du alle hier her berufen hast?" fragt sie leicht belustigt, denn normalerweise ist sie es, die alle zusammen trommelt.

Mein Bruder räuspert sich kurz und lächelt Lena aufmunternd zu. Ich kann sehen, wie er ihre Hand in seine nimmt. Und diese dann so auf dem Tisch dreht, dass der glitzernde Ring nicht zu übersehen ist. Mama lässt die Gabel mit einem klirrenden Geräusch auf den Teller fallen. Ihre Augen werden groß.

„Ihr wollt heiraten?" fasst Papa dann als Erster erfreut zusammen. Tom nickt begeistert und ich sehe das Funkeln in seinen Augen. Lena hingegen schaut auf ihren Teller. Ich dachte sie wäre zu schüchtern, um in unsere Gesichter zu sehen, bis zu dem Augenblick, in dem sie aufspringt und Tom ihre Hand entreißt. Die Verwunderung übernimmt die Freude in dem Blick meines Bruders. Und als Lena die Sätze „Ich kann das nicht. Ich kann das nicht mehr!" murmelt, kann man die pure Verzweiflung erkennen.

„Lena, alles in Ordnung?" fragt er und seine Stimme zittert leicht. Ich bin baff, will sie jetzt allen Ernstes die Verlobung vor unseren Augen auflösen?! „Ich kann das nicht mehr vor dir geheim halten, Tom. Ich kann es einfach nicht mehr. Es tut mir so leid. Ich wollte es dir sofort sagen, konnte es aber nicht." Sie ignoriert uns, achtet nur auf Tom, der mittlerweile vor ihr steht und sie besorgt mustert. Ich glaube die Stimmungsschwankungen liegen in der Familie.

Mehr als mein LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt