1. Kapitel

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41 Tage zuvor
Jetzt sitze ich hier an meinem kleinen Holztisch von Ikea, in meiner spärlich eingerichteten "Küche". Seitdem ich aus der chaotischen Wohngemeinschaft - bestehend aus zwei weiteren Mädels und einem Jungen - ausgezogen bin, kann ich mir einfach nicht mehr so viel leisten wie früher. Die Miete muss ich nun alleine zahlen und um Strom, DSL und Fernsehen muss ich mich mittlerweile auch selber kümmern. Und wie das Sprichwort so schön sagt "Geld regiert die Welt" - oui, ich stimme zu.
Tja - als hätte ich mich nicht schon genug beklagt, muss ich berichten, dass mein MacBook vor gut zwei Wochen nun endgültig den Geist aufgegeben hat und ich so langsam wirklich glaube, dass das Leben es momentan echt nicht gut mit mir meint. Um also für das erste Staatsexamen im April ansatzweise vorbereitet zu sein, muss ich mich jeden Tag erneut auf den Weg ins Internetcafé um die Ecke machen, um wenigstens für ein paar Stunden die Großzügigkeit des World Wide Web nutzen zu können (ist auch viel entspannter als Bücher zu wälzen). Jeden Tag begegne ich den selben Studenten, jeden Tag bestellen sie das selbe Getränk - darunter auch ich -, jeden Tag sitzt das rothaarige, laktoseintolerante Mädchen mit der Hornbrille gegenüber von mir und starrt mir auf die Hände und jeden Tag spüre ich den Blick des Barista in meinem Nacken der nur auf den geeigneten Zeitpunkt zu warten scheint, mir endlich meine Handynummer ab zu quatschen. Aber nein danke José, kein Interesse!
Generell sieht mein Liebesleben zur Zeit sehr schlicht und eintönig aus. Eigentlich war es das schon immer. Man könnte sich das Ganze wie eine große schwarze Fläche vorstellen - da ist einfach nichts. Nada. Null. Beziehungen sind mir viel zu anstrengend. Immer muss man Rücksicht auf den Partner nehmen, ob dieser nun Bundesliga oder doch The Big Bang Theory schauen will. Man redet nur noch im Plural und schiebt seine eigenen Bedürfnisse dabei in den Hintergrund, nur zum Wohle des Anderen. Na ob das so toll ist, weiß ich nun wirklich nicht..
Seit dreiundzwanzig Jahren Single und immer gut ohne Mann ausgekommen. Nicht einmal einen Vater hatte ich und um ehrlich zu sein bin ich auch sehr froh darüber. Das Arschloch hat meine Mutter verlassen, als er erfuhr, dass sie schwanger sei. Hat sich nie gemeldet und nicht einmal Unterhalt gezahlt, also ist er nur mein biologischer Vater, zu dem es keine konkrete emotionale Bindung gibt. Es gab immer nur Mama und mich und zugegeben waren wir ein wirklich tolles Team. Bis dann vor fünf Jahren die überraschende Diagnose von akuter Demenz an die Tür klopfte und mir meine Mutter aus den Armen riss. Nach etwa einem Jahr wusste sie nicht einmal mehr wer ich bin und sie selbst konnte sich nur noch wage an ihre eigene Identität erinnern. Es schmerzte sie so leiden zu sehen, denn ich wusste wie sehr ihr das zu schaffen machte. Ich weiß noch ganz genau, wie ich in ihren letzten Stunden an ihrem Bett saß und sie nur flüsterte "Sagen Sie meiner Tochter, sie möge meinen Rat befolgen." Und dann schloss sie seelenruhig die Augen, als wäre sie nach einem langen Arbeitstag nach Hause gekommen um sich endlich schlafen zu legen. Doch dieses Mal sollte sie für immer einschlafen.
Und nach einem kurzem Blick auf die Uhr wurde auch mir bewusst, dass es Zeit war schlafen zu gehen.

Notiz an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt