12. Kapitel

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24 Tage zuvor
Irgendwie war es nicht mehr dasselbe, wenn er mir schmeichelte. Immer wieder zweifelte ich daran, ob er es tatsächlich ernst meinen würde oder ob er es nur schrieb, um mich nicht zu verletzen. Ich hatte ihm seine fragwürdige Aktion zwar verziehen, aber irgendwie konnte ich seine Worte nicht aus meinen Gedanken verbannen.
Nachdem ich ihm gestern von meinem Fund in der Kleiderboutique berichtet hatte, war es für einen kurzen Moment so wie „früher". Doch ein Hintergedanke redete mir ein, dass er nachwievor denken würde, ich wäre nicht real für ihn und er nicht für mich. (Bah, das hört sich so fremd an) Meine Vermutung stimmte höchstwahrscheinlich auch. Meine SMS machte ihm vielleicht klar, dass es klappen könnte, aber die Denkweise einer Person lässt sich niemals durch eine Meinung oder geschweige denn durch eine Nachricht ändern. Allein schon die Meinung zu beeinträchtigen ist eine Kunst. Ich konnte nicht bestreiten, dass ich mich trotzdem freute, wenn er wieder etwas Niedliches geschrieben oder gesagt hatte und selbstverständlich lächelte ich nach wie vor jedes Mal. Aber mein Misstrauen blieb komischerweise.

An diesem Tag hatte ich unglaublich viele Bücher mit mir rumzuschleppen. Da ich die Uni in der letzten Zeit nicht unbedingt ernst genommen hatte – wobei hauptsächlich Alex zu beigetragen hatte – musste ich nun einige Vorlesungen und Kurse nachholen. Und heute war es soweit. Nachdem ich den ersten Hörsaal verlassen hatte und mich auf dem Weg zum Nächsten machte, dachte ich wieder einmal an Alexanders Worte. So langsam bemerkte ich, wie viel er mir jetzt schon bedeutete und wie leicht es für ihn war mich zu verletzen und aus der Bahn zu werfen.
Ich wirbelte herum als ich gegen einen starken Oberarm prallte. Ich achtete kaum auf den Weg und hatte dabei die Studenten um mich rum völlig ausgeblendet. Meine Notizen der vorherigen Lesung flogen zu Boden und ich tat es ihnen gleich. Auf den Knien herumkrabbelnd suchte ich mühselig meine Sachen zusammen, bis mir eine helfende Hand die fehlenden Zettel anreichte. Ich schaute auf und sah in wunderschöne braune Augen und verlor mich kurz in ihnen. Abgelenkt griff ich nach den Papieren und lächelte. Der junge Mann half mir anschließend auf.
„Danke.", brachte ich heraus.
„Pass das nächste Mal lieber auf wo du hinläufst.", schmunzelte er und schenkte mir ein schiefes Grinsen.
So wie Alex es immer tat..
Verlegen schaute ich nach unten und murmelte eine Entschuldigung. Der Typ bückte sich erneut um mir mein Notizbuch zu geben.
„Hier, nicht dass du es noch vergisst."'
„Danke, das wäre eine absolute Tragödie.", antwortete ich und stopfte es in meine Tasche zurück.
Erst dann musterte ich die Person, die nun direkt vor mir stand. Wir standen uns ungeheuerlich nahe. Seine Haare ähnelten dem Holz eines Walnussbaumes – dunkel und warm. Allerdings nicht so glänzend wie die Haare von.. – Stopp! Wieso wollte ich ihn ständig mit Alex vergleichen?! Zu meiner Verwunderung trug er einen Anzug, die Jacketjacke dabei lässig offen und die Krawatte locker gebunden. Doch durch seinen breit und maskulin gebauten Körper sah es sogar stylisch an ihm aus. Ich schätzte ihn auf Ende zwanzig, wenn nicht sogar auf Anfang dreißig Jahre. In der rechten Hand hatte er eine Aktentasche dabei, wie man sie aus den alten Filmen kannte. Er war wirklich attraktiv, auch wenn er eigentlich nicht meinem Beuteschema entsprach. „Beuteschema Alexander Krevitz" zum Beispiel.
„Haben Sie sich sonst etwas getan?", wollte er wissen. „Sie sind doch ziemlich heftig gestürzt."
„Nein, alles in bester Ordnung, danke.", versicherte ich ihm.
Ich streckte ihm die Hand entgegen und stellte mich vor.
„Ich bin Josefine."
„Sebastian, schön dich kennenzulernen.", erwiderte er meinen Händedruck.
Nach einem kurzen Smalltalk ging er auch direkt zur Sache.
„Wie sieht es aus? Darf ich dich heute Mittag auf einen Kaffee einladen? Als Entschädigung?", fragte er und ich zog überrascht die Augenbrauen hoch.
Sehr direkt und entschlossen, er gefiel mir.
„Aber ich habe sie doch angerempelt, also müsste ich sie doch theoretisch.."
„Theoretisch, ja. Die Praxis übernehme aber dann doch lieber ich.", unterbrach er mich.
Ich konnte nicht anders und stimmte zu.
„Gut, ich hoffe dich dann gegen 16:00Uhr hier anzutreffen.", sagte er und schob mir einen kleinen Zettel, mit einer hastig geschriebenen Adresse darauf, in meine (noch) freie Hand. Was würde Alex nur darüber denken? Ich war unentschlossen und unsicher, ob ich mich nicht soeben auf etwas Dummes eingelassen hatte. Doch da klopfte wieder ein stiller Gedanke bei mir an, der mir sagte, dass Alex bislang wirklich nur eine Internetbekanntschaft war und ich somit keinen Fehler machte. Ich gehörte ihm ja nicht. Auch, wenn mein Unterbewusstsein es sich so sehr wünschte. 
Und dann herrschte Stille und ich wusste nicht, was ich nun sagen sollte. Peinlich. Stattdessen schaute er auf die Uhr und strich mit seinem Handrücken über seine Stirn.
„Gut, dann bis nachher!", strahlte er mich an und setzte sich langsam in Bewegung.
„Bis dann!", rief ich ihm noch hinterher.
Und so gingen wir beide in entgegengesetzte Richtungen weiter.

Ich setzte mich auf einen Sitz ganz hinten in der letzten Reihe und dachte schon, ich käme zu spät. Doch niemand stand wie gewohnt schon am Rednerpult und auch Professor Seidenbach war nirgends zu sehen. Im Allgemeinen waren die Plätze eher sparsam belegt und mit mir inbegriffen waren es ungefähr nur fünfzehn Studenten, die sich diese Vorlesung anhören wollten. Ich rieb mir mein Schienbein, krempelte meine Hose ein wenig hoch und entblößte dabei einen großen blauen Fleck, der in seiner Form an ein Herz erinnerte. Wow, wie passend.
Da schwang plötzlich die Tür hinter mir auf und das kleine Plenum drehte sich um, als sie lautstark ins Schloss zurück fiel.
„Entschuldigen Sie meine Verspätung, ich bin aufgehalten worden."
Jemand stürmte die Treppen hinunter zum Pult, stellte seine Tasche daneben und stütze seine Hände in die Hüfte. Ich erkannte ihn sofort und erschrak innerlich ein wenig. Es war Sebastian, der mir vor wenigen Minuten noch im Hauptgang gegenüber stand und mich zu einer Verabredung eingeladen hatte. War er nicht in die andere Richtung gegangen?
„Professor Seidenbach ist aus gesundheitlichen Gründen verhindert und kann somit für die nächsten Wochen keine Vorlesungen mehr halten. Allerdings werde ich ihn in diesem Zeitraum vertreten und ich hoffe, dass sie mich genauso akzeptieren werden wie ihn. Jedenfalls würde mich das sehr freuen.", stellte er klar und verschaffte sich einen Überblick.
Die Mädchen vor mir richteten noch einmal ihren Ausschnitt zurecht, als er sie ansah und fingen dabei wie blöd an zu kichern. Anscheinend fanden auch sie den Professor wirklich attraktiv. So wie ich. Sebastians Blick verharrte auf mir und für einen kurzen Moment schien es so, als verlor er die Fassung. Auch ich konnte es nicht fassen, dass ausgerechnet er mein Professor sein würde. Ich versuchte ihm auszuweichen, griff mir daher einen Kuli und kritzelte wie wild etwas in die oberste, rechte Ecke meines Blattes. Endlich schien er den Fokus wiedergefunden zu haben.
„Wie dem auch sei – ich bin Professor Winkler und hoffe, dass Sie auch demnächst meine Vorlesungen besuchen werden. Eventuell können Sie ja sogar ein paar ihrer Freunde ermutigen hier zu erscheinen.", äußerte er sich und blickte erneut skeptisch durch den Saal.
Und dann begann er zu erzählen, versuchte meine Anwesenheit soweit es ging zu ignorieren und ich konnte ihm nur noch halbherzig dabei zuhören.

Notiz an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt