11. Kapitel

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25 Tage zuvor
Ich hatte mich anscheinend getäuscht. Es war doch noch nicht das Ende.
Am nächsten Morgen wurde ich anstelle eines Weckers, von einer Nachricht geweckt – und drei Mal dürft ihr raten von wem.

Von: Alex
Ich weiß, du hasst mich jetzt. Und ich weiß, dass ich dich vorgestern Abend verletzt habe. Aber du hattest Recht, wieso nicht mal etwas riskieren und seine Comfort Zone verlassen?! Ich war blöd zu dir, tut mir Leid. Und das sage ich nicht nur so, sondern meine es wirklich ernst. Meine Gedanken waren wirr, ich habe unklug gehandelt und dabei nicht an die Konsequenzen gedacht. Fine, ich möchte dich auf keinen Fall verlieren, denn du bist mir schon irgendwie ans Herz gewachsen. Das hört sich zwar komisch an, aber wieso sollte ich dich anlügen? Ich will ehrlich zu dir sein und deswegen spreche ich auch dieses Mal wieder die Wahrheit aus: Es wird nicht leicht und das weiß du bestimmt auch - schließlich hast du mich wieder auf den richtigen Weg der Erkenntnis gebracht.. Aber wir schaffen das & ich werde keinen Rückzieher mehr machen! Versprochen!

Ich wusste nicht so Recht, was ich darauf antworten sollte. Ich las die Nachricht ein weiteres Mal durch und untersuchte jedes einzelne Wort und jeden Zusammenhang nach Hintergedanken. Doch da waren keine. Seine Entschuldigung war also tatsächlich aufrichtig gemeint. Trotzdem machte mich seine sich ständig ändernde Meinung irgendwie wütend. Dachte er, er konnte mit mir machen was er will? Da lag er falsch. Obwohl – nein. Ich glaube ich würde immer wieder zu ihm zurückkehren, egal was für einen Fehler er auch machte. So richtig böse sein könnte ich ihm einfach nicht. Dafür hatte er mich bereits zu sehr um seinen Finger gewickelt. Und ich konnte es nicht leugnen, dass er eine gewisse Anziehungskraft besaß, der ich nicht widerstehen konnte.
Ich setzte mich auf, strich meine Haare hinter die Ohren und widmete mich seiner Antwort.

An: Alex
Ich hasse dich nicht. Niemals.

Kurz, knapp und trotzdem würde er checken, was Sache ist. Ich verzieh ihm seine wirren Nachrichten und sagte ihm dabei gleichzeitig, dass ich ihn wirklich gern hatte. Ich wollte mich am liebsten selbst schlagen, da ich wieder einmal nachgegeben habe. Meine Naivität hatte mir bisher in meinem Leben nicht einmal einen Vorteil verschafft. Eher das Gegenteil. Ich hoffte, dass ich meine Entscheidung nicht bereute. Ein Blick auf die Uhr und mir wurde klar, dass ich gleich los musste. Zähne putzen, frisch machen, schminken und eine Kleinigkeit essen war schnell erledigt. Ich schlüpfte in ein Paar dunkelblaue Jeans, trug dazu einen grauen Pullover, meine weißen Sneaker und warf mir kurz bevor ich die Wohnung verließ noch meinen heiß geliebten Trenchcoat über (ich bin die Trenchcoat Göttin schlecht hin, ich trage fast nie eine andere Art von Jacke). Bevor ich mich auf den Weg machen konnte, musste ich Alexanders neue Nachricht noch lesen, die ich so eben erhalten hatte.

Von: Alex
Was hast du am 1. März vor?

An: Alex
Wahrscheinlich Uni, wieso?

Von: Alex
Markier diesen Tag rot in deinem Kalender – da komme ich dich nämlich besuchen.

Meine Kinnlade klappte herunter und ich stieß einen kurzen Freudenschrei aus. Läuft bei mir, vor ein paar Stunden war er noch ein unlogischer Idiot. Nichtsdestotrotz stand fest - ich würde ihn in 22 Tagen endlich sehen! Er kommt extra aus Brighton hier her – für mich! Und genau aus diesem Grund machte er mich wieder glücklich. Meine Vorfreude war nicht in Worte zu fassen, weshalb ich nur noch mit einem Haufen von "Herzaugen-Emojis" antwortete. Diese Ankündigung war aufweckender als jeder Espresso am Morgen. Ich huschte schwungvoll aus der Wohnung und startete mit einem breiten Grinsen in den Tag. Ich grüßte an diesem Morgen sogar den Postboten (den ich sonst, genauso wie José, ignorierte) und betrat hoch motiviert den Hörsaal. Auch die altbekannte Katzengeschichte von Professor Seidenbach erschien mir auf einmal interessant. Ich war wie ausgewechselt, nie zu vor gab es einen Menschen, der solch eine Kontrolle über meine Emotionen hatte.
Auf dem Rückweg machte ich mich noch einmal auf zum Blumenladen im Hauptbahnhof. Heute wäre der Geburtstag meiner Mutter gewesen, weshalb ich sie an ihrem Grab besuchen wollte. Auch dieses Mal entschied ich mich für weiße Rosen, der Preis spielte keine Rolle mehr - schließlich war meine Mutter mehr wert, als alle Blumensträuße dieser Welt. Mütter sind unbezahlbar!
Ich machte mich auf einen langen Weg bis nach Ohlsdorf. Etwa eine halbe Stunde außerhalb wurde meine Mutter beerdigt. Sie hatte ausdrücklich darauf bestanden, genau dort beerdigt zu werden, wo sie als Kind aufwuchs.
Als ich ihren Grabstein berührte fühlte es sich so an, als würde ich ihre Hand nehmen. Ach Mama, wenn du wüsstest wie sehr ich dich vermisse. Ich sang ihr ein Geburtstagsständchen, legte den Strauß vor den Stein und kniete mich zu Boden.
"Mama, ich muss dir was erzählen.", begann ich.
Ich erzählte ihr von der Uni, dem Lernstress, dem Internetcafé und dem Chatroom, dem Brand, Alexanders Vater, dem Geschäftsessen und natürlich von Alex selbst.
"Ich glaube ich weiß wieder wie es ist, glücklich zu sein. Ich genieße jeden Moment, den er mir schenkt. Ich wünschte du wärst jetzt hier und könntest mit mir über die Liebe sprechen. Ich kenne mich damit nicht aus, ich weiß nicht was Liebe ist. Aber ich habe das Gefühl, dass Alex es mir zeigen wird. Was denkst du?"
Wie sehr sehnte ich mich nach einer Antwort meiner Mutter. Ich verkniff mir einen erneuten Tränenausbruch - ich habe das letzte halbe Jahr viel zu sehr mit weinen verbracht. Ich richtete mich auf, küsste meine Fingerspitzen und presste diese anschließend auf den Grabstein.
"Mach's gut, Mami. Ich halte dich auf dem Laufenden."
Und genau in diesem Moment durchbrach ein Sonnenstrahl die Wolkendecke und schien mir ins Gesicht. Sie hatte mich gehört. Es wirkte so, als würde sie mir zustimmen, dass Alexander eine gute Wahl wäre um mein Glück wieder zu finden. Ich blinzelte in dem Himmel und nickte. Im nächsten Moment war die Sonne bereits wieder verschwunden. 

Am späten Nachmittag erledigte ich noch den üblichen Einkauf für die kommende Woche. Außerdem nutze ich meine freie Zeit, um endlich mal wieder nach schönen Dingen ausschau zu halten. Als ich nach meinem kleinen Einkaufsbummel am Jungfernstieg entlang ging und das Thalia Theater passierte, fiel mir ein Kleid im Schaufenster einer Boutique in der Ferdinandstraße ins Auge. Ich hielt einen Moment inne und begutachtete es. Es war perfekt. Ein knielanges rotes Abendkleid, oben eng geschnitten und am Nacken gebunden mit leicht ausgestelltem Unterrock. Das Kleid erinnerte an einen Petticoat aus den 50ern, was es für mich nur noch schöner machte. Bloß war es ohne Rüschen - generell ohne viel drum herum. Einfach pure Eleganz und rote Perfektion. Ein Mann schaute mich aus dem Laden heraus an und trat zu der Schaufensterpuppe, die das rote Kleid trug. Er zog es der Puppe aus, legte es über seinen Arm und winkte mich in den Laden hinein.
Eine Glocke über der Tür ertönte, als ich eintrat.
"Ich habe gesehen, wie Sie dieses Kleid angesehen haben."
Ein dünner und schmal gebauter Mann in Hemd und Anzugweste kam auf mich zu. Seine dunklen Haare waren akkurat nach hinten gebürstet und eine großzügige Menge an Haargel verlieh seinem Kopf einen komisch speckigen Glanz. Sein Gesicht erinnerte an eine hinterlistige Maus und trotzdem war er mir sofort sympathisch. Vielleicht lag es aber auch nur daran, weil er mein Verlangen dieses Kleid anzuprobieren bemerkte.
"Ich bin Luzifer und stehe Ihnen gerne zur Verfügung. Möchten sie diesen Traum aus Taft einmal anziehen?", fragte er höflich.
„Unbedingt, ja!", johlte ich.
Ich stellte meine Einkauftüten neben einen runden Sitzblock und folgte Luzifer in die Umkleide. Ich war die Einzige im Laden und bekam somit seine volle Aufmerksamkeit. Als er mich aufforderte mich auszuziehen, erzählte er mir, dass er glücklich mit einem Mann verheiratet ist und er mir nichts abgucken wolle. Was für ein charmanter Typ! Luzifer half mir in das Kleid, zog den Reisverschluss hoch und holte tief Luft.
„Wow. Das. Ist. Der. Absolute. Wahnsinn!"
Er schlug sich eine Hand vor den Mund und riss die Augen auf. Gleichzeitig trat er einen Schritt beiseite um mir freie Sicht auf den Spiegel zu geben.
Ich erkannte mich selbst nicht wieder. War das wirklich ich?! Ohne eingebildet zu klingen, aber ich sah wirklich extrem gut aus in diesem Kleid. Auch mir fehlten die Worte. Ich stand nur grinsend dar und genoss die Komplimente von Luzifer.
„Könnten Sie ein Foto von mir machen?", bat ich ihn und reichte ihm mein Handy.
„Also derjenige, der dieses Bild heute Abend noch zu sehen bekommt, sollte sich wirklich glücklich schätzen!", sagte er und drückte den Auslöser.

An: Alex
Bild - Ich hoffe du magst rot!

Von: Alex
Jetzt schon!

Notiz an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt