30. Kapitel

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Ich errötete und lächelte. Sebastian sah mich überrascht an.
"Da freut sich aber jemand!", lachte er endlich wieder.
Mein Grinsen wurde breiter. Alex liebte mich also. Wow. Ich fand keine Worte dafür, was dieses Wissen in mir auslöste. Ich glaube, meine Schmetterlinge haben sich soeben verdoppelt!
"Genug davon.", stoppte ich ihn, bevor er weiterreden konnte. "Themawechsel!"
Danach sprachen wir den Rest des Nachmittags über alles Mögliche, was momentan so abging. Uni, Lernstress, Georg Krevitz (der übrigens wieder gesund war), über Konzerte, die wir beide gerne besuchen würden und unsere Lieblingsjahreszeit. Es war total toll jemanden zu haben, mit dem man über solch alltägliche Banalitäten reden konnte. Auch, wenn ich eigentlich auch Alex dafür hätte.
Gemeinsam schauten wir uns noch den Sonnenuntergang durch sein Fenster an, bis ich mich dann schließlich auf den Heimweg machte.
"Bis dann!", rief ich ihm zu und verschwand die Treppen hinunter nach draußen.

1 Tag zuvor
Das Schwierigste an dem Notizbuchschreiben ist tatsächlich die Art und Weise, wie man es letzten Endes schreibt - nicht immer weiß man so genau, wie man bestimmte Ereignisse und Dinge am besten zu Papier bringen sollte, ohne dass man wichtige Details dabei auslässt. Gleichzeitig auch noch darauf achten, nicht um den heißen Brei herumzureden. So wie ich es zum ab und zu gerne tat, wenn ich nachdenklich oder traurig war. Oder poetisch. Oder glücklich. Oder ganz normal gelaunt. Eigentlich brachte ich es nie sofort auf den Punkt. Ich liebte die kleinen Einzelheiten, die einen bestimmten Moment ganz besonders machten.
Oft fragte ich mich, wie Mama wohl geschrieben hatte. Ich hatte ihre Aufzeichnungen nie zu Gesicht bekommen. Generell habe ich sie nie dabei beobachten können, wie und wann sie schrieb. Ich zum Beispiel setzte mich jedes Mal auf mein Bett, knipste meine Nachttischlampe an und schrieb alles in Ruhe in mein Notizbuch. Soviel Zeit musste auf jeden Fall immer sein! Mittlerweile ist es schon zur Routine geworden und absolut nicht mehr unangenehm für mich. Als meine Mutter mir damals gesagt hatte, dass ich alles aufschreiben solle, dachte ich nur daran, wie langweilig und eintönig jeder Tag sein würde. Schließlich steckte ich noch im Studium fest, war an mein kleines Gehalt gebunden und konnte nicht großartig etwas erleben, was sich wirklich zu notieren lohnte. Wer hätte da bloß gedacht, dass ich auf jemanden treffen würde, der soviel Farbe und Schwung in mein Leben bringt. Die letzten Wochen steckten voller Momente, an die ich mich später bestimmt gerne zurückerinnern würde - da war ich mir sicher. Dann könnte ich meinen zukünftigen Kindern zeigen, wie ich ihren Vater damals kennengelernt hatte. Moment mal. So sollte ich aber noch nicht denken! Die einzige Familie die ich je hatte war mein Bruder und meine Mutter. Vielleicht sehnte ich mich deshalb einfach nur nach einem geordneten und angenehmen Familienleben?

Es war furchtbar kalt draußen. Der Winter schlug an diesem Donnerstagmorgen noch einmal so richtig zu. Schnee, Glätte und eisige Temperaturen luden förmlich zum drinnenbleiben und Tee trinken ein. Ich wollte gerade rüber in die Küche gehen, um mir einen aufzugießen - und dann sah ich sie wieder. Die Kiste. Sie stand immer noch in der Ecke. Ich hatte sie nicht mehr angerührt, seitdem ich sie das letzte Mal fast geöffnet hätte. Ein Teil von mir wollte begierig wissen, was wohl drin war. Vielleicht würde ich die Notizen meiner Mutter endlich lesen können! Grund genug um sie zu öffnen! Andererseits hatte ich trotzdem Angst. Alex hatte sich heute Morgen noch nicht gemeldet und war vermutlich immer noch damit beschäftigt, seinem Kumpel beim Umzug zu helfen - also könnte ich ihm nicht schreiben, falls ich doch unter Tränen zusammenbrechen würde (wovon ich stark ausging). Eigentlich müsste ich das auch alleine schaffen! Ich sollte niemanden mit meiner Mutter belasten und einfach stark sein. Ich bin so lange stark gewesen. Ich bin eine starke Frau! Jedenfalls redete ich mir das so gut es ging ein. Pling.

Von: Annika
Wie war's?!

Stimmt. Annika gab es ja auch noch! Die hatte ich zugegebener Weise bei all dem „Krevitzstress" total vergessen.

An: Annika
Romantisch und einzigartig! Er hat wirklich den perfektesten Ort ausgesucht!

Von: Annika
Wo wart ihr denn?

Mist. Jetzt hatte ich Dummkopf natürlich ihr Interesse geweckt. Dabei hatte ich Alex versprochen, dass der Ort ein Geheimnis bleibt. Obwohl – hatte ich das? Ich wusste es um ehrlich zu sein gar nicht mehr so genau. Trotzdem wollte ich nicht, dass irgendjemand von dem alten Kino erfährt. Schließlich vertraute er mir.

An: Annika
Tja, hihi! Aber ich kann dir versichern, dass es gefunkt hat!

Von: Annika
Das freut mich mega für dich! Lust mich nachher auf 'nen Kaffee am Jungfernstieg zu treffen?

An: Annika
Ich muss heute ziemlich viel Unikram machen und für Brighton muss ich auch noch packen. Wann anders gern!

Annika antwortete mit einem ‚thumbs up' und ich schob mein Handy zurück in die Hosentasche und wandte den Blick wieder zur Kiste. Ich trat auf den Pappkarton zu, hob ihn hoch und wunderte mich, dass er so unglaublich leicht war. Getragen hatte ich ihn zuvor noch nie. Der Bestatter stellte die Kiste damals genau dort hin und danach hatte ich sie keinen Zentimeter mehr bewegt. Ich rüttelte ein bisschen und der Inhalt raschelte leise. Papier. Sehr viel Papier.
Ich brachte Mamas Sachen in den Abstellraum, welcher ein klitzekleiner Raum war, der an die Küche grenzte. Ich schob den Karton unter ein Vorratsregal - bis in die hinterste Ecke und gefühlt noch ein kleines bisschen weiter. Kaum noch zu erreichen. Ich hielt für einen kurzen Augenblick inne. Die Kammer war ziemlich dunkel. Nur das Tageslicht aus dem Flur spendete etwas Helligkeit, sodass ich wenigstens grobe Umrisse erkennen konnte. Ich verdrängte die Tatsache, dass spätestens bei meinem nächsten Auszug ich mich wieder mit dem Teil auseinander setzen müsste. Oh Gott. Ich stresste schon so rum, wie Alex es immer tat. Er hatte definitiv Einfluss auf meine charakterliche Entwicklung genommen. Mit einem leichten Tritt stellte ich sicher, dass der Karton vollständig aus meiner Sichtweite verschwand. Hätte ich ihn nicht selbst dort hingestellt und wüsste nicht exakt wo, würde ich ihn definitiv nicht mehr finden. Aber das Wissen würde natürlich bleiben. Ich seufzte laut auf. Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich biss mir auf die Lippe. Ich vermisste sie besonders jetzt. Wäre es daher nicht noch logischer, die Kiste zu öffnen? Es war das einzige, was ich noch von ihr besaß. Und dann war es schon fast zu spät.
„Nicht weinen!", ermahnte ich mich. „Es sind nur die Sachen deiner Mutter, Fine. Was ist so schlimm daran?!"
Dass sie nicht hier ist.

Notiz an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt