27. Kapitel

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„Nein.", murmelte ich.
Er stützte sich mit seinen Händen ab und war somit direkt über mir. Ich stemmte meine Faust sanft gegen seinen Brustkorb und schob ihn zurück. Alex sah mich verdutzt an.
„Du hast gesagt, du willst was unternehmen. Im Bett rumsitzen ist da wohl nicht unbedingt das Beste.", sagte ich und grinste schadenfroh.
Ich bemerkte wie enttäuscht er über meine Aussage war. Doch es war mir irgendwie egal, denn schließlich hatte er den Moment im Kino zerstört und nicht ich. Er schaute auf seine Armbanduhr.
„Es ist fast acht – was willst du da noch groß unternehmen?"
Ich überlegte nicht lange, sondern stand einfach auf, griff nach meinem Trenchcoat und wickelte mir meinen grauen Schal um den Hals.
„Na los, wir gehen!", forderte ich ihn auf, während ich wieder in meine weißen Schuhe schlüpfte.
Langsam schlurfte er zu mir rüber und zog sich ebenfalls seine Jacke wieder an.
„Ich hätte auch nichts dagegen einfach nur mit dir zu kuscheln und einen gemütlichen Abend zu verbringen.", gestand er dann kleinlaut.
Währenddessen kramte in meiner Kommode herum, wobei mein Blick wieder auf die Kiste in der Ecke des Flurs fiel. Hoffentlich erinnerte er sich nicht an sein Versprechen. Ich wollte sie nicht öffnen. Nicht heute. Ich wusste, dass es mich traurig machen und mir den ganzen Tag versauen würde. Daher musste ich so schnell wie möglich mit ihm weg von hier. Ein anderes Mal, aber nicht jetzt.
„Das sah vorhin aber noch ganz anders aus.", warf ich ein und ging mit einer Decke über dem Arm hinaus.

Die Wolken vom Nachmittag hatten sich verzogen und boten somit freie Sicht auf den sternenreichen Nachthimmel. Ich war Alex um einige Schritte voraus, weshalb er ein kurzes Stück laufen musste um wieder mit mir mitzuhalten.
„Wo willst du hin?", wollte er wissen.
„Wirst du gleich sehen."
Ich nahm seine Hand und er folgte mir. Er war eiskalt – ein Glück hatte ich noch an eine Decke gedacht. Von mir aus waren es nur wenige Minuten zu Fuß, bis wir die Binnenalster erreichten. Bei der Kreuzung am Ballindamm, machte ich mit ihm halt. Ich ging auf die fünf Bänke zu, die nun direkt vor unserer Nase waren. Wir waren die Einzigen dort – was mich zugegeben ein wenig verunsicherte. Dann erinnerte ich mich allerdings wieder daran, dass es mitten in der Woche war und ein Großteil der Bevölkerung morgen früh wahrscheinlich wieder zur Arbeit musste.
„Ich komme gerne hier her.", erklärte ich ihm. „Man sitzt zwar direkt an einer Hauptstraße und ruhig ist es hier auch nicht unbedingt immer, aber ich mag das Panorama."
Ich ging auf eine Bank, die einigermaßen in der Mitte lag, zu. Alexander setzte sich neben mich und ich breitete die Decke über uns aus. Uns wurde eine atemberaubende Sicht auf die Hamburger Innenstadt geboten, dessen Lichter sich im Wasser spiegelten. Am Jungfernstieg saßen noch ein paar Jugendliche rum (soweit ich es erkennen und hören konnte) und die Boote am Steg trieben ruhig vor sich hin. Ich liebte diesen Anblick. Als ich mich dann zu Alex drehte, wurde mir jedoch klar, dass ich diesen Anblick noch mehr liebte. Die Haare wie James Dean, die Augen so leuchtend, wie die Lichter der Stadt gegenüber. Sein Ausdruck war so zufrieden und gelassen. Bei ihm war alles so komplett. Ja, ich hatte mich innerhalb von wenigen Wochen in ihn verliebt. Ich wusste, dass ich mich nicht mit Liebe auskannte, aber genau dieses Gefühl, das ich bei ihm hatte, war meine Vorstellung davon. Abwesend fing ich einfach nur an zu lächeln.
„Was ist?", fragte er.
„Nichts. Ich bin einfach nur glücklich."
Ich lehnte mich wieder bei ihm an und schloss die Augen. Plötzlich spürte ich, wie seine Lippen langsam aber sicher meine Kopfhaut berührten. Alex küsste meinen Kopf und sagte: „Ich bin auch glücklich."
Gemeinsam schauten wir in die Ferne. Ab und zu wanderte unser Blick in den Himmel um sie Sterne zu beobachten. Da war der „große Wagen" zusehen. Und war das dort drüben der Polarstern? Er leuchtete hell und klar und befand ich dabei direkt über uns. Ein gutes Zeichen – schätze ich.
Nach einiger Zeit setzte ich mich wieder auf und sah ihn an. Er grinste nur und holte sein Handy aus der Tasche. Der wohl unpassendste Moment, seine Nachrichten zu checken. Aber er schrieb nicht, sondern er machte lediglich Musik an. Und nicht irgendeine Musik. Er spielte unser Lied. Das Lied, welches uns beide irgendwie von Anfang an miteinander verband. Heroes von David Bowie. Erleichtert fing ich an zu lachen.
„Und weißt du was Fine?"
„Was?"
„Heute Nacht sind wir unendlich.", hauchte er in mein Ohr und ich bekam wieder eine Gänsehaut.
Jetzt hatte er auch noch unser Lieblingsbuch zitiert. Wie perfekt konnte es noch werden?!

„We can be heroes
just for one day"

Der Vers ließ mich nachdenklich. Und dann kam mir eine vollkommen leichtsinnige Idee. Ich stand auf, legte meinen Schal auf der Bank ab und zog meine Jacke aus. Ich ging zu dem Flussgeländer und kletterte hinüber.
„Tust du das, was ich denke, was du tun wirst?!", brüllte er.
„Vielleicht!", rief ich ihm zu und schwupps – da sprang ich.
Das Wasser war eisig kalt. In dem Moment, in dem ich eintauchte, hatte ich das Gefühl, aus einer monatelangen Trance wieder aufzuwachen. Mein Kopf leerte sich und ich lebte einfach den Moment. Es fühlte sich an, als wäre ich endlich wieder im hier und jetzt angekommen. Als ich die Oberfläche wieder erreichte, rang ich nach Luft und hörte Bowie dabei nur noch dumpf. Alexander lehnte am Geländer und sah mich grinsend und kopfschüttelnd an.
„Du bist verrückt.", sagte er, zog dann aber ebenfalls seine Jacke aus und hüpfte zu mir ins Wasser.
Er tauchte neben mir auf und ich fiel ihm um den Hals. Ich drückte mich fest an ihn und wir gingen dabei zwei Mal unter, was uns aber nicht sonderlich störte. Wir lachten nur noch umso lauter.
„Wir sind soeben mitten in der Stadt in die Alster gesprungen!", jubelte er und ich schrie auf vor Freude.
„Jetzt sind wir unendlich.", flüsterte ich und presste meine Stirn an seine.
Alex atmete schwer und ich konnte nicht aufhören zu grinsen. Da war sie wieder! Die Spannung zwischen uns - noch penetranter als im Lichtspielhaus. Ein Wassertropfen hing an seiner Nasenspitze und ich erlaubte es mir, ihn sanft wegzuwischen. Er hob daraufhin seinen Kopf und schaute mir tief in die Augen. Jetzt. Wenn nicht jetzt, wann dann?
„Hauptsache nur, dass wir uns nicht erkälten.", sagte er dann und ich war schockiert darüber, wie er doch jedes Mal erneut die Stimmung kaputt machen konnte.
„Na, das ist natürlich am Wichtigsten!", entgegnete ich stur und schwamm zurück zum Ufer.
Alex gefiel das anscheinend nicht, denn er hielt mich am Fußgelenk fest und zog mich mühelos wieder zu sich.
„Wo will die Dame denn hin?"
„Zurück. Sonst werden wir noch krank!", meckerte ich, worüber er sich sichtlich amüsierte.
Er nahm meinen Kopf zwischen seine Hände, wie er es bei unserer Begrüßung tat. Einen Moment lang sagten wir beide nichts. Er starrte mich nur an und schien sich dabei wirklich zu konzentrieren. Sein Gesicht wirkte angespannt und sah nahezu schon böse aus, was mir irgendwie Angst machte. Ich fragte mich, was er nun vorhatte – auch wenn mein Unterbewusstsein sich schon auf einen Kuss einstellte.
„Obwohl, du hast Recht. Wir sollten zurück."
Und damit war es eindeutig, dass es wohl nicht sein soll.

Notiz an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt