39. Kapitel

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"Ich hab Angst, dass ihm was passiert ist. Ich will nicht auch noch meinen geliebten Sohn verlieren!"
Olivias Worte ließen mich inne halten und die Gabel, mit der ich zuvor eine kleine Tomate aufgespießt hatte, stoppte auf halben Weg zu meinem Mund. Mein Kopf fing wieder an zu dröhnen, als ich daran dachte, wie Alex irgendwo verletzt, verschollen oder gar tot sein könnte. Dabei bemerkte ich, dass ich tief im Inneren die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte. Noch immer bestand die Möglichkeit, dass er zurück kommen oder sich wieder melden könnte. Ganz tief drinnen wünschte ich es mir so sehnlich, doch schon die letzten drei Tage waren die reinste Qual für mich. Wie sollte es dann in ein paar Monaten sein? Hätte ich ihn dann einfach vergessen? Kann ich das jemals?
Alex hatte mich gebrochen, mich hilflos gemacht und zurückgelassen. All die Tränen, all die Schmerzen, die ich ertragen musste. Könnte ich ihm das wirklich einfach so verzeihen, wenn er sich eines Tages wieder melden würde? So wie ich ihn kannte würde er so tun, als wäre nichts geschehen und sein Verhalten als absolut nachvollziehbar bezeichnen. Ich war hin und her gerissen und konnte keine wirklich klaren Gedanken fassen was ich täte, wenn in naher oder ferner Zukunft eine Nachricht von ihm auf meinem Display erschiene. Wieso hatte er es nicht schon längst getan? Was ist bloß mit ihm passiert?
Hmh.
Manchmal sollte man Menschen wohl wirklich aufgeben. Nicht, weil sie dir egal sind - sondern weil du es ihnen bist.

"Magst du nicht mehr?", fragte Sebastian als ihm auffiel, wie ich abwesend in meinem Salat rumstocherte.
"Nein, danke.", entgegnete ich und schob meinen Teller zu ihn herüber, woraufhin er genüsslich meine Vorspeise fortsetzte. Immer wieder erhaschte ich einen Blick zu Alexanders Mutter, die daraufhin mit gerunzelter Stirn zurück starrte. Ihr hellblondes Haar, welches an einigen Stellen schon grau wurde, hatte sie glatt und streng zu einem Knoten im Nacken zurückgebunden. Ihre großen Perlenstecker und die dazu passende Kette um ihren Hals passten perfekt zu ihrer Kombination aus cremefarbener Bluse und olivfarbenen Blazer darüber. Ich vermutete, dass sie einen Bleistiftrock oder eine Anzughose dazu trug. Sie sah genauso aus, wie man sich das Idealbild von einer Frau eines reichen Architekten eben vorstellte. Ihr nahezu perfektes Erscheinungsbild schüchterte mich ein. Während sie mich immer noch ansah, flüsterte sie ihrer deutlich älteren Sitznachbarin etwas zu, woraufhin sie sich ebenfalls zu mir wandte. Ich fühlte mich verdammt unwohl und richtete meinen Blick schnell wieder auf die Tischkante. Kopfschüttelnd schloss ich kurz die Augen.
"Ich würde gerne gehen."
"Was ist los?"
"Bitte antworte auf meine Bitte.", bat ich Sebastian.
"Ich kann hier jetzt nicht weg, Josefine. Wieso willst du gehen? Liegt es an Olivia? Ich hab dir doch gesagt, dass du sie einfach ignorieren sollst."
"Nein, daran liegt es nicht. Also, nicht wirklich. Es ist einfach nur ...-"
Da verspürte ich einen leichten Druck auf meiner Haut. Jemand tippte mir auf die Schulter.
"Wir können dich nach Hause bringen.", bot Ben an.
Peter nickte mir lächelnd zu. Mich freute es, wie aufmerksam die beiden doch waren. Dennoch konnte ich ihr Angebot nicht annehmen.
"Ich möchte keine Umstände machen. Der Hauptgang kommt doch gleich.", erinnerte ich ihn und spielte nervös an meinen Knöcheln. Schon wieder war ich der Mittelpunkt - beziehungsweise das kleine Problem - und ich hasste es. Ben ignorierte, was ich sagte. Ein sturer Typ, aha. Er erhob sich (so auch Peter), streckte mir die Hand entgegen und forderte mich auf aufzustehen.
"Komm. Wir fahren dich nach Hause."
Sebastian stand ebenfalls auf und begleitete mich zum Ausgang.
"Wir reden später.", versuchte ich ihn zu beruhigen. "Tut mir Leid, aber ich muss wiedermal etwas egoistisch sein."
"Ich wollte dir nicht das Gefühl geben, dass du unerwünscht bist! Ich hätte mich mehr um dich kümmern sollen. Tut mir leid, dass ich solch eine schlechte Begleitung für dich war, ich ... -"
"Pssssch!", unterbrach ich ihn und legte ihm meinen Zeigefinger auf die Lippen. "Irgendwann werde ich mit dir darüber sprechen können, was mich bedrückt. Nur gerade muss ich erst einmal selber damit klar kommen. Ich hoffe du hast Verständnis dafür. Vielen Dank für die Einladung, Sebastian."
Ich trat noch näher an ihn heran, umarmte ihn flüchtig und folgte Peter und Ben nach draußen. Schweigend verließen wir das Lokal und ich ließ Sebastian allein.

Notiz an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt