9. Kapitel

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Das Erste was mir auffiel, war das große Panoramafenster am Ende des Raumes, welches das Zimmer unglaublich grell erscheinen ließ. Die weißen Wände reflektierten das Sonnenlicht von allen Seiten und ich musste blinzeln um überhaupt etwas sehen zu können. Nachdem sich meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, wanderte mein Blick nach links zum Krankenbett – das Einzige in Zimmer 214. Doch es war leer. Die Bettdecke lag aufgeschlagen auf der Matratze und der verknitterte Schlafanzug verriet mir, dass hier vor kurzem noch jemand geschlafen haben musste. Ich drehte meinen Kopf ein kleines bisschen weiter und sah nun eine Tür, welche wohl zum angrenzenden Badezimmer führen musste. Sie war nicht geschlossen, sondern nur angelehnt und ich konnte eine Frau hören.
„Ganz langsam, Herr Krevitz. Lassen sie sich Zeit."
Vermutlich war es eine Krankenschwester – sehr wahrscheinlich sogar. Eigentlich war es mir sogar ganz Recht, dass Alexanders Vater nicht in direkter Reichweite war und ich mich weder vorstellen noch erklären musste, was ich von ihm wollte. Ein unangenehmes Gespräch blieb mir also erspart.
Ich bewegte mich langsam Richtung Nachttisch und platzierte die Vase mit den Rosendarauf. Penibel zupfte ich den Strauß ein bisschen auseinander und richtete ihn ansprechend an. Keine Ahnung warum, aber irgendwie musste ich anfangen zu lächeln.
„So, dann gehen wir wohl mal wieder zurück, in Ordnung? Oder möchten Sie sich noch rasieren?", fragte die weibliche Stimme.
„Nee, das bleibt so. Interessiert hier doch eh keinen.", antwortete Georg schroff.
Das komplette Gegenteil von Alex. Keine weiche, angenehme Stimme, sondern eine raue, sehr tiefe, die fast schon unheimlich klang. Die Badezimmertür begann sich zu öffnen und ich huschte hinaus. Raus aus dem Zimmer, das Treppenhaus hinunter und nach draußen. Niemand hätte mich jetzt sehen können, ich kam mir vor wie ein Geheimagent auf Mission. Und eigentlich hatte ich ja tatsächlich eine Mission – Herrn Krevitz wissen lassen, dass sein Sohn sich Sorgen um ihn macht.

Mein Ritual von ‚ein Tee am Nachmittag, wenn alles für die Uni erledigt ist' wurde von einem Anruf gestört. Aber im Grunde genommen war es für keine richtige Störung – eher ein Lichtblick nach all dem Papierkram, den ich heute erledigt hatte. Denn es war Alex.
„Ich zitiere Fräulein Langner 'Ich wünschte ich könnte nun bei Dir sein und Dich in deiner schwierigen Lage unterstützen, doch leider ist das zurzeit nicht möglich. Ich hoffe wirklich, dass es Dir gut geht. Ruf mich an, sobald du das liest!' Bis dahin, alles schön und gut, aber musste das ‚Hab dich lieb' am Ende wirklich sein?!", lachte er.
„Dir auch einen schönen guten Tag!", wünschte ich ihm.
„Ich finde es wirklich toll, dass du so etwas für mich tust und ich bin dir echt dankbar!"
„Merke ich."
„Bloß konstruktive Kritik für nächstes Mal! Take it easy, Darling!"
Darling. Er hatte mich ‚Darling' genannt. Okay, ich konnte ihm nicht böse sein.
Ich riss mir eine Tüte Apfelchips auf, setzte mich wieder auf mein Bett und schob mir einen nach dem Anderen in den Mund.
„Du schmatzt.", stellte er in diesem Moment fest.
Ich hörte auf zu kauen und merkte wie ich wieder einmal rot anlief. Mir ist nie zuvor aufgefallen, dass ich mit offenem Mund kaute.
„Wieder eine Gemeinsamkeit!", verkündete Alex anschließend und jubelte in seinTelefon.
„Gut gerettet. Dachte mir schon, dass du wieder provozieren willst."
„Ich provoziere gerne!"
„Gemeinsamkeit.", sagte ich dieses Mal.
Auch ich konnte manchmal ein richtiges Arschloch sein. Zum Beispiel um Leute auf die Folter zu spannen oder einfach nur um zu nerven. Meinen Bruder habe ich schließlich auch früher immer genervt.
„Darf ich dich was fragen?"
„Natürlich, was ist?", antwortete ich höflich.
„Wie läuft's bei dir eigentlich so mit den Typen?! Das würde mich ja nun wirklich Mal interessieren!"
„Ehm.. nun ja..", setzte ich an.

28 Tage zuvor
Ich habe eine gute Erklärung, wieso ich die letzten Tage nicht geschrieben habe – es ist schlicht weg einfach nichts passiert, wofür es sich zu schreiben lohnte. Alex und ich haben natürlich dauerhaft miteinander geschrieben und es verging logischerweise keine Minute eines jeden Tages ohne ihn. Ich bin die eine Nacht sogar extra wegen ihm bis vier Uhr wach geblieben, da er nicht schlafen konnte und wir daher telefonierten. Dass ich allerdings am nächsten Morgen um 6:30Uhr aufstehen musste, hatte ihn dabei eher wenig interessiert. Wir haben über alles Mögliche diskutiert, so zum Beispiel auch über David Bowies und Alan Rickmans Tod, unsere Lieblingspizza und wieso Pizza einfach das Beste auf der Welt ist und auch über unsere leider vorhandene Entfernung. Der Stimmungskiller schlecht hin. Jedes Mal, wenn wir zu dem Punkt kamen, wobei wir über die Distanz zwischen uns geschrieben haben, wurde es unangenehm. Wieso leben die liebsten Menschen entweder zu weit weg oder in einem anderen Zeitalter?

Heute Abend jedoch ging ich mit Annika und ihren Eltern essen. Diesen Anlass nutze ich außerdem, um ihr endlich ihren Laptop wiederzugeben – den sie bis dato eigentlich auch noch nicht vermisst hatte. Chatroom und „Talking to Strangers" war gestern.

An: Annika
Du sag mal, wie schick wird das denn heute? Gibt's nen Dresscode oder ist das mehr so ein entspanntes Abendessen?

Von: Annika
Wir gehen zu Henny's, also bitte nicht zu underdressed! Ist ein Geschäftsessen!

Ein Glück kannte ich den Ort schon mal. Ein schickes, aber kein „Los-kram-dein-schönstes-Abendkleid-raus" Restaurant. Jedoch war nie von einem Geschäftsessen die Rede! Viel zu viel Verantwortung – ich musste mich jetzt als die vorbildlichste Musterfreundin ausgeben, die ich eigentlich nicht war.
Ich wusste sofort was ich anziehen würde. Ein schwarzer, knielanger Bleistiftrock kombiniert mit einem weißen, mit Blüten bestickten Oberteil wäre sicherlich angebracht und nicht allzu sehr danebengegriffen. Allerdings wählte ich diesmal etwas höhere schwarze Schuhe aus. Haare offen und gewellt, die schwarze Clutch gepackt – jetzt fehlte nur noch ein Foto. Ich stellte mich vor meinen Spiegel im Flur, machte ein Bild und sendete es anschließend an Alex.

Von: Alex
Du bist wunderschön Fine, ich wünschte ich könnte diesen Anblick in Wirklichkeit genießen.

Ja, wir hatten sehr viel miteinander geschrieben und ja, eventuell auch etwas geflirtet. Ich schickte ihm ein Herz als Antwort und war ready to leave.

Annika wartete vor dem Eingang auf mich.
„Papa, Mama und Herr Janssen sind schon reingegangen. Schön, dass du kommen konntest!", fiel sie mir in die Arme.
„Klar, du hast mich bei meinem Laptopproblem schließlich auch nicht hängen lassen!"
Dabei dachte ich kurz nach und realisierte, dass ich ihn vergessen hatte. Naja, egal.
„Hör zu, bevor wir jetzt da rein gehen, muss ich dir etwas über Papas Geschäftspartner erzählen.", fing sie an.
Ich stellte mich innerlich schon auf eine Moralpredigt ein.
„Herr Janssen ist der wohl wichtigste Kunde meines Vaters. Er ist einer der bedeutendsten Bauingenieure in ganz Deutschland und es wäre eine Schande, wenn er nicht mit uns kooperieren würde. Ich habe extra dich mitgenommen, da ich weiß, dass du guten Eindruck hinterlässt – also vermassel es nicht!"
„Ich zeige mich heute ganz besonders von meiner Schokoladenseite!", sagte ich und knuffte ihr lächelnd in die Seite.
Sie zwinkerte mir zu und zog mich hinein.
„Da sind sie ja! Josefine! Schön, dass du hier bist!"
Annikas Vater stand auf um mich zu begrüßen und drückte mich ausnahmsweise sogar. Sonst ist es immer nur bei einem kühlen Händeschütteln geblieben. Auch seine Frau umarmte mich herzlich. Könnte ich mich wirklich dran gewöhnen.
„Guten Abend, sie müssen Herr Janssen sein, richtig?", streckte ich dem Unbekannten die Hand entgegen.
„Das stimmt, schön Sie kennenzulernen."
„Die Freude liegt ganz meinerseits."
Ich lächelte, setzte mich anschließend neben Annika und strich meinen Rock ein wenig runter. Hoffentlich ist er doch nicht zu kurz gewählt.
„Gut, kommen wir zurück zu Ihrem Projekt. Wie genau möchten sie vorgehen?", startete Herr Janssen das Gespräch.
Und was dann als Antwort kam, konnte ich nicht so richtig verstehen – zuviel Fachsprache, die nur ein Ingenieur entziffern könnte.
„Ich habe die Entwürfe für die Inneneinrichtung bereits von Herrn Krevitz anfertigen lassen. Wir könnten also theoretisch direkt loslegen."
Als ich an meinem Wasser nippte, blieb es mir fast im Halse stecken. Ich röchelte und musste anschließend husten.
„Geht's?", tätschelte mir Annika den Rücken.
Ich winkte ab und holte tief Luft.
„Entschuldigen Sie meine Neugier, aber habe ich richtig gehört, dass ein Herr Krevitz die Innengestaltung übernimmt?", fragte ich und stellte mein Wasser ab.
„Ja, kennen sie ihn? Wir sind sehr stolz ihn dafür beauftragen zu können. Seine Kreationen sind immer wieder einzigartig und dennoch raffiniert. Ein erfahrender Mann, der heute leider wegen einem Krankheitsfall verhindert ist", prahlte Annikas Vater und sprach anschließend einen Trost auf ihn aus.
Das konnte nicht wahr sein. Die Gläser klirrten zusammen und mein Kopf drohte zu zerbersten. Unglaubliche Kopfschmerzen machten sich hinter meiner Stirn breit. Ich stand ruckartig auf und lief auf dem Weg zum Ausgang, fast eine junge Kellnerin um. Ich musste an die frische Luft. So viele Innenarchitekten in Hamburg und ausgerechnet Alexanders Vater ist der Geschäftspartner von Annikas Vater. Ein unheimlicher Zufall? Oder ein Zeichen, dass Alex doch immer irgendwie bei mir ist? Pling.

Von: Alex
Wir müssen reden. Ich glaube ich kann das nicht mehr länger machen.

Notiz an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt