8. Kapitel

424 23 5
                                    

36 Tage zuvor
Zwei Tage ist es nun her, dass ich das letzte Mal mit Alex gesprochen habe. Nach unserem kurzen Videochat habe ich mich nicht mehr gemeldet. Nicht, weil ich kein Interesse mehr hätte oder Sonstiges, sondern wie er schon sagte, übernahm ich in diesem Moment die Kontrolle über unsere „Beziehung". Teilweise ein tolles Gefühl, auf einmal die Macht über Etwas zu haben. Aber es ist eine Qual ihn zappeln zu lassen – wenn ich meinem Herzen gefolgt wäre hätte ich Alexander, direkt nach unserem Gespräch, regelrecht zugetextet. Mein Kopf hat sich in dieser Angelegenheit allerdings durchgesetzt und ich beschloss, erst einmal zu warten. Bloß nichts überstürzen. Im Nachhinein fragte ich mich allerdings, ob das überhaupt Sinn machte. Denn schließlich hat er mir ja seine Nummer gegeben und nicht umgekehrt.

Nachdem ich alles für die Uni erledigt und mich auf mein Bett gepflanzt hatte, nahm ich mein Handy zur Hand und fügte seine Nummer endlich zu meinen Kontakten hinzu. Ich öffnete den Messenger und begann zu schreiben.

An: Alex
Ja, ich lebe noch. Und nein, ich habe dich nicht vergessen. Wie sieht's mit dir aus? Fine

Sonst setze ich nie meinen Namen unter eine Nachricht, dies war also eine reine Ausnahme. Ich legte mein Handy, mit dem Display nach unten, auf meine Bettdecke und streckte mich in Bauchlage daneben aus. Jetzt heißt es warten – und hoffen, dass er nicht super angepisst von meiner „Aktion" ist. Aus lauter Langweile begutachtete ich meine Haarspitzen. Vielleicht sollte ich sie mal wieder – Pling.

Von: Alex
Die letzten Tage waren die reinste Folter, aber Danke der Nachfrage!

Ich antwortete sofort, amüsiert darüber, dass es ihm genauso ging wie mir.

An: Alex
Ging mir auch so, haha! Hast du dich die letzten Abende in den Schlaf geweint deswegen?

Von: Alex
Ja natürlich, ganz bitterlich.. Ein Wunder, dass ich nicht an meinen Tränen erstickt bin!

Sehr gut, ich konnte also „Sarkasmus" ebenfalls zu der 'Alex Liste' hinzufügen. Es ist so wichtig, dass vor allem der Humor auf einer Wellenlänge liegt! Ansonsten würde ich überhaupt nicht mit einer Person klar kommen.
Wie eine Kurzschlussreaktion wählte ich seinen Kontakt aus und rief ihn daraufhin an.
„Fine, schön dich zu hören.", begrüßte er mich. Ich liebte es, wenn er meinen Namen aussprach. Er sprach es mit einer Mischung aus englischer und deutscher Aussprache aus, was ich sehr süß fand.
„Ich hatte das Gefühl, ich müsse deine Tränen trocknen."
Er lachte leise und ich fing an zu lächeln. So wie immer, wenn er lachte.
„Wie geht es dir?", fragte ich ihn – Smalltalk geht immer.
„Gut, aber das sagt ja sowieso jeder. Die Gesellschaft verlangt es nicht anders."
Wieder einmal überrascht über seine Antworte stimmte ich ihm zu.
„Neunundneunzig Prozent lügen bei dieser Frage und neunundneunzig Prozent interessiert die Antwort nicht.", versuchte ich ein wenig Fachwissen zu verbreiten. Um ehrlich zu sein hatte ich diesen Fakt aber nur von Instagram. „Also nochmal – wie geht es dir?"
„Nicht gut. Wirklich nicht."
Seine Stimme klang heißer.
„Bist du krank?"
„Nein."
„Deine Stimme hört sich nicht gut an.."
„Ich weiß."
Hatte er geweint? Ich wollte nicht fragen.
„Mein Vater ist im Krankenhaus.", sagte er leise. „Es steht nicht gut um ihn. Wahrscheinlich ein Herzinfarkt – genauere Infos habe ich nicht."
„Oh nein, das ist ja schrecklich Alex! Kannst du ihn besuchen oder irgendwie zu ihm kommen?", fragte ich.
„Er liegt im Marienkrankenhaus. Also theoretisch bei dir um die Ecke, aber für mich deshalb leider unwahrscheinlich ihn besuchen zu können."
„Distanz ist einfach nur grauenhaft. Ich weiß gar nicht was ich dir nun raten könnte."
Es herrschte für einen Moment Stille.
„Kannst du dir denn keinen spontanen Flug nach Deutschland leisten? Ich kann dir gerne Geld leihen wenn du welches brauchst, daran soll es nicht liegen!", log ich, im Klaren darüber, dass ich selber kaum über ausreichend finanzielle Mittel verfügte.
„Nein, Geld ist nicht das Problem. Nur ich habe mich für vier Jahre bei der Marine verpflichten lassen, was bedeutet, dass ich immer Einsatzbereit sein muss. Ich kann hier nicht einfach so weg, so blöd es auch klingt."
Mir kam eine Idee.
„Wie heißt dein Vater?"
„Georg Krevitz."
„Gut, ich werde mich um alles Weitere kümmern. Ich verspreche dir, dass Alles wieder gut wird und er deine Anwesenheit nicht missen muss."
Ich hörte wie er Anstalten machte etwas zu sagen – wahrscheinlich wollte er mich davon abbringen. Doch ich redete einfach weiter.
„Mach dir keine Sorgen. Leg dich schlafen, ruh dich aus, komm ein bisschen runter und morgen Abend sieht die Welt wieder ganz anders aus. Ich melde mich bei dir, wenn ich alles erledigt habe."
„Josefine, du bist unglaublich."
„Schlaf gut!"
„Du auch. Danke. Wirklich – danke!"
Und ich legte auf, bewegte mich aus dem Bett und setzte mich an meinen Schreibtisch. Ich riss ein kleines Blatt aus meinem Notizblock heraus, nahm mir einen Stift und begann eine Kleinigkeit zu schreiben.

35 Tage zuvor
Wenn ich richtig nachgeschaut hatte, standen für heute weder Kurse noch irgendwelche Vorlesungen an. Nachdem ich mir beim Bäcker eine Brezel gekauft hatte, machte ich mich auf den Weg zur U-Bahn. Ich fuhr bis zum Hauptbahnhof und machte dort an einem kleinen Blumenladen am Nordende halt.
„Guten Tag, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?", empfing mich eine ältere Dame, mit riesigen, azurfarbenden Creolen, die gerade einen Bund Rosen hinter dem Verkaufstresen kürzte.
„Hallo! Ich brauche einen prächtigen Blumenstrauß – nicht zu viel Schnickschnack, schlichte Eleganz. Am besten weiße Rosen, ich denke die würden gut passen.", erzählte ich ihr von meinen Vorstellungen.
„Ich verstehe. Gibt es einen besonderen Anlass?"
„Nein. Ich mag einfach nur weiße Rosen haben. Ich liebe sie.", schwindelte ich. Aber weiße Rosen waren wirklich meine Lieblingsblumen.
Sie fing an dreizehn weiße Rosen zu einem Strauß zusammenzubinden.
„Ist die Größe so in Ordnung? Oder mögen Sie es voller?"
„Das geht noch was!", lachte ich.
Die Verkäuferin fügte weitere Rosen hinzu. Ich nickte und vermittelte ihr, dass ich zufrieden war.
„Das macht dann 42,50€, bitte."
Oh. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es so teuer werden würde – ich kaufte ja sonst nie Blumen. Erst jetzt bemerkte ich das Preisschild vor dem Eimer mit den Blumen drin.
Nachdem ich bezahlt hatte und ich im wahrsten Sinne des Wortes rot sah, was meinen momentan Kontostand anging, machte ich mich auf zum Gleis, um anschließend bei ‚Lübecker Straße' auszusteigen.

Das Marienkrankenhaus lag nun direkt vor meiner Nase. Ich mochte noch die diese Atmosphäre, die Krankhäuser an sich hatten. Ein Ort, an dem man nicht weiß, ob lachen überhaupt angebracht ist, wenn eine Station über dir, eventuell gerade eine Person an ihren Verletzungen gestorben ist. Jedes Mal betrete ich solch ein Gebäude mit einem mulmigen Gefühl.
Am Empfang erkundigte ich mich nach dem Zimmer von Alexanders Vater.
„Schönen guten Tag, mein Name ist Josefine Langner. Ich bin auf der Suche nach Georg Krevitz, dem Vater eines Freundes von mir.", teilte ich der Mitarbeiterin mit, welche Kaugummi kauend (mit offenem Mund!) auf ihren Computer sah.
„Sie haben Glück, er wurde heute Morgen auf die Normalstation verlegt.", schmatzte sie mir entgegen.
Wie gerne hätte ich ihr in diesem Moment ihr verdammtes Kaugummi in die Haare geschmiert. Bei dem Gedanken kicherte ich in mich hinein.
„Zimmer 214.", fuhr sie fort.
„Dankeschön!"
Ich nahm die Treppe und mit jedem weiteren Schritt umklammerte ich den Strauß fester. Da fiel es mir ein - fast hätte ich es vergessen! Ich zog den kleinen Zettel von gestern Abend aus der Jackentasche und steckte ihn in den Strauß. Nachdem ich die zweite Station erreichte und Zimmer 214 noch nicht in Sicht war, tätigte ich noch einen kurzen Ausflug zum Schwesternzimmer am anderen Ende des Ganges. Ich erkundigte mich nach einer Vase, welche mir dann von der Oberschwester lächelnd in die Hand gedrückt wurde. Jetzt war es soweit. Die Tür von Zimmer 214 lag nun direkt vor mir. Ich drückte die Türklinke herunter und trat ein.

Notiz an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt