18. Kapitel

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21 Tage zuvor
Von: Sebastian
Hey! Alles gut bei dir?

20 Tage zuvor
Von: Sebastian
Lust nen Kaffee trinken zu gehen?

19 Tage zuvor
Von: Sebastian
Wieso antwortest du mir nicht?

18 Tage zuvor
Zwei verpasste Anrufe von Sebastian.

Von: Sebastian
Hey, geht's dir gut?! Bitte melde dich!

17 Tage zuvor
Von: Sebastian
Ich mache mir Sorgen um dich!

16 Tage zuvor
Von: Sebastian
Ich habe dich lange nicht mehr gesehen..

Von: Sebastian
Ich vermisse dich irgendwie.

15 Tage zuvor
Von: Sebastian
Hab ich dir irgendwas getan? Bitte schreib mir oder ruf mich an!

14 Tage zuvor
An diesem Morgen bin ich ausnahmsweise ganz ohne verpasste Anrufe oder SMS von Sebastian aufgewacht. Ich hatte ihm die letzten Tage so gut wie nie geschrieben und versucht mich soweit wie möglich von ihm zu distanzieren. Ich hatte sogar extra die Vorlesungen besucht, wo ich wusste, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht in der Uni sein würde. Ich war außerdem viel zu sehr mit Alex beschäftigt, der zwischendurch wieder einmal Anspielungen machte, dass das Ganze keine gute Idee wäre. Aber ich kann sehr überzeugend sein und mittlerweile ist er wieder absolut meiner Meinung – es kann funktionieren. Wir müssen es nur beide wollen.
An diesem Freitagnachmittag war absolutes Schietwetter, wie man in Hamburg sagte. Der Regen hatte den schönen, weißen Schnee in eklig, grauen Matsch verwandelt und auch wie mickrigen Äste der Bäume waren wieder deutlich zu sehen. An für sich mochte ich, wenn es regnet. Das Geräusch beruhigte mich sonst immer. Jedoch nicht an diesem Tag. Irgendwie war ich schlapp und träge. Das lag einerseits vielleicht an meinem konstanten Schlafmangel, den ich den langen Nachtgesprächen mit Alex zuzuteilen hatte. Anders konnte ich es mir nicht erklären. Vielleicht lag es aber auch tatsächlich an dem Wetter.

Ding dong.
Es klingelte an der Tür und ich fragte mich, wer das wohl sein mochte. Eigentlich erwartete ich niemanden und auch mit Annika hatte ich nichts abgesprochen, dass sie vorbeikommen wollte. Ich öffnete die Tür und staunte nicht schlecht.
„Hey.", sagte er.
Sebastian stand mit einem riesigen Rosenstrauß in der Hand auf der Fußmatte und schaute mich an.
„W-Was machst du denn hier? Woher weißt du meine..-", stotterte ich, doch da kam er auch schon auf mich zu um mich zu umarmen.
Ich konnte mich nicht an den Zeitpunkt erinnern, an dem ich ihm meine Adresse verraten hatte. Schließlich herrschte seit einer Woche Funkstille (meinerseits zumindest). Der Gedanke, dass er mir nachspioniert und dementsprechend über mich geforscht hat, war unheimlich.
„Darf ich reinkommen?"
Sehr lustig. Er stand regelrecht schon am Ende des Flurs und fragte dann, ob er eintreten dürfte. Wie charmant. Ich schloss die Tür, drehte mich zu ihm um und fand zunächst keine Worte dafür, dass er auf einmal in meiner Wohnung stand.
„Was zur Hölle machst du hier?!", raunte ich ihn an.
Ich klang alles andere als begeistert.
„Ich dachte dir wäre was passiert. Deswegen dachte ich, ich komme mal nachsehen, ob alles gut bei dir ist. Du hast auf keine Nachricht von mir reagiert. Hast mich einfach ignoriert.", erzählte er und machte sich mittlerweile auf den Weg in die Küche, um nach einer Vase zu suchen.
Klar, fühl dich wie zuhause.
„Erst als du gesund und munter die Tür aufgemacht hast, war ich erleichtert."
Sebastian kam einen Schritt näher und strich mit seinen Fingern über meine Wange. Unsere Blicke trafen sich und er verzog seinen Mund. Für einen kurzen Moment dachte ich wirklich, dass Alex mit seinem schiefen lächeln vor mir stand – auch wenn sich beide kaum ähnlich waren. Er neigte seinen Kopf und zog mich an sich. Seine Lippen kamen immer näher. Noch näher. Nur noch wenige Zentimeter. Zum Glück konnte ich mich im letzten Moment noch von ihm lösen und einen möglichen Kuss damit verhindern.
„Nein, das geht so nicht. Du kannst hier nicht einfach so aufkreuzen!", schimpfte ich. „Ich hatte meine Gründe, wieso ich mich nicht gemeldet hab!"
„Erzähl mir davon."
Seine Miene verhärtete sich. Er sah furchteinflößend aus, als sein Kiefer zu zucken begann. Keine Zweifel – er war wütend. Aber wieso? Weil ich mich nicht gemeldet habe oder weil ich ausgewichen bin?
„Ach dieser ganze Lernstress und.. und.."
Ich suchte wie verrückt nach guten Argumenten. Mein Kopf qualmte regelrecht. Doch da waren keine. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass ich lieber mit seinem Halbbruder als mit ihm abgab. Da kam mir eine andere Idee.
„Ich habe einen Freund.", log ich.
Er sagte nichts und seine Anspannung lockerte sich. Trotzdem sah er nicht weniger verzweifelt aus als vorher.
„Oh."
Er kratzte sich am Hinterkopf und fuhr sich anschließend durch die Haare. So wie es Alex auch immer tat, wenn ihm etwas unangenehm war. Ich unterdrückte ein Schmunzeln.
„Wieso hast du das nicht früher gesagt?", fragte er und stütze sich an den dem kleinen Holztisch ab.
„Das hat sich erst letzte Woche ergeben, tut mir Leid, wirklich."
Im Grunde genommen hatte ich ihn nicht wirklich angelogen. Vor einer Woche stellte sich ja tatsächlich heraus, dass Alexander und ich uns wirklich mochten. Ich erinnerte mich an seine Nachricht zurück, in der er schrieb, dass ich ihm gehörte. Jemandem gehören grenzt doch schon so gut wie an einer Beziehung oder? Wieso also die Situation nicht ein wenig überspitzen?
Sebastian sah mich nicht mehr länger an und blickte verlegen durch den Raum.
„Ich verstehe schon."
Er setzte sich in Bewegung und ging entschlossen zur Tür.
„Na dann..", setzte er an.
Doch er beendete den Satz nicht, sondern drückte die Türklinke und ging das Treppenhaus hinunter raus aus meinem Wohnblock. Ich glaube ich hatte ihn soeben wirklich verletzt. Dabei hatte ich fast die Wahrheit gesagt. Aber nur fast.  Erst jetzt fiel mir auf, dass er weiße Rosen für mich gekauft hatte. Als würde er mich wirklich kennen.

Schuldgefühle. Als ich in meinem Bett lag und versuchte einzuschlafen, verweigerte mein Gedankenchaos mir jegliche Ruhe. Ich stellte mir die ganze Zeit über nur eine Frage; Gibt es Liebe auf den ersten Blick?
Als ich Alex zum ersten Mal im Chatroom gesehen habe, fühlte ich definitiv etwas. Kaum zu beschreiben. Trotzdem waren dort unerklärliche Gefühle, die ich so noch nie zuvor gespürt hatte. Und danach wurde es nur noch „schlimmer". Keine Sekunde verging ohne ihn. Obwohl er nicht wirklich hier war, war er dennoch bei mir. Alles erschien so schön. Ständig krampfte mein Bauch und zog sich jedes Mal zusammen, wenn er sich meldete. Wurde das etwa als Schmetterlinge im Bauch bezeichnet? Ich wusste es nicht.
Daraufhin fragte ich mich, wie es Sebastian wohl ging. Durchlebt er gerade das Gleiche wie ich? Diese Verliebtheit? War es bei ihm etwa auch Liebe auf den ersten Blick? Angenommen es würde stimmen – was für ein Monster wäre ich dann bitte?! Wie schlimm muss es sein, wenn jemand deine Gefühle nicht erwidert? Kaum auszudenken was ich tun würde. Ich war froh nicht in seiner Lage zu sein.
Schuldgefühle – die ganze Nacht über. Ich drückte kein Auge zu. War ich ein schlechter Mensch, weil ich eventuell „den Falschen" liebte und Sebastian zu wenig Aufmerksamkeit schenkte? Pling.

Von: Alex
0:00Uhr – ich wünsche mir, dass ich dich bald in die Arme schließen kann!

Sich etwas um Mitternacht zu wünschen soll Glück bringen. Außerdem gingen diese Wünsche so gut wie immer in Erfüllung. Vielleicht war es nur ein Aberglaube, aber ich glaubte fest daran. Deshalb war ich auch so froh, dass er anscheinend ebenfalls daran glaubte. Bevor die Uhr auf 0:01Uhr schaltete, tippte ich noch hastig eine Antwort.

An: Alex
0:00Uhr – ich wünsche mir, dass sich alles zum Guten wenden wird.

Und mit diesem Wunsch meinte ich nicht nur unsere Komplikationen, sondern auch die Sache mit Sebastian. Ich ertrug es nicht, dass er enttäuscht und vermutlich auch zutiefst traurig wegen mir war. Nein, ich war eigentlich nicht so. Meine Mutter hatte mich anständig erzogen.

Von: Alex
Nur noch 11 Tage! Ich kann es kaum erwarten!

An: Alex
Ich auch nicht!

Von: Alex
Das wird mit Abstand der beste Tag meines Lebens.

An: Alex
Meiner auch! Gute Nacht.

Von: Alex
Träum süß.

Ein traumloser Schlaf wäre viel angebrachter. Aber es sollte wohl nicht sein. Das Leben meint es nachwievor nicht gut mit mir. Wie gerne hätte ich in dieser Nacht nicht von Sebastian geträumt.

Notiz an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt