Meister Hase

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Meister Lampe:
der Fabelname des Hasen. Seine Eigenschaften sind zwar Ängstlichkeit und Vorsicht, er gilt aber auch als übermütig und vorlaut

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„Hast du eine Heizungs- oder Klimaanlagenallergie? Oder Inkontinenz? Brauchst du einen speziellen Schlafplatz?"

Pascal rammt Roman seinen Ellbogen in die Rippen. Also bitte, sieht er so aus, als wäre ein Weichei? Und Inkontinenz... Wie kommt dieser Idiot darauf?

„Vollkommen beschwerdefrei. Aber ich will die Fensterseite."

Nun ist er derjenige, der angerempelt wird. Roman macht das mit so viel Schwung, dass Pascal gegen Julian stößt. Ist ziemlich eng hier im Aufzug für vier Männer inklusive Gepäck und wenn zwei der Meinung sind, raufen zu müssen, wird es noch ungemütlicher.
Dementsprechend genervt ist Julians Blick. Erik, der vierte Passagier, lacht noch.

„Ich will ans Fenster."
„Vergiss' es, Roman."

Aus Prinzip beharrt er auf seine Wunschseite. Hauptsächlich deshalb, weil er sich sicher ist, dass Roman nur aus Prinzip die gleiche Seite für sich beansprucht.

„Ihr könnt euch auch die Fensterseite teilen."

Auf Eriks Kommentar hin verdreht Julian noch mehr die Augen. So langsam weiß Pascal nicht mehr, ob er nur so genervt tut oder ob ihn die Reise, die Zeitumstellung und jetzt die Enge plus nervige Freunde wirklich aufregt. Wenn das Zweite der Fall ist... Pech gehabt. Gleich steigen sie aus, dann hat er seine Ruhe.
Sie – die Jungspunde und der im Geiste junge Roman – haben sich in den ersten Tagen der neuen Saison angefreundet. Julian ist wie Pascal und Roman ein Neuzugang und Erik ist einer der wenigen Alteingesessenen, der sich mit ihnen abgibt. Pascal will den anderen da keinen Vorwurf machen, sie haben halt schon ihre Freunde gefunden und feste Grüppchen gebildet, so wie auch sie ihre Gruppe gebildet haben. Dass Erik bei ihnen mitmischt, ehrt ihn und er passt ja auch gut dazu.

Auch die Angesprochenen sind nicht begeistert von dem Vorschlag.

„Nix da."
„Neben dem Dickerchen habe ich doch gar keinen Platz."

Um sein Gegenargument zu unterstreichen, verpasst Pascal Roman erneut einen Hieb in die Seite. Klar, das sind alles Muskeln, das möchte er gar nicht leugnen – aber unter den Teppich kehren schon und dass Roman breiter ist als er, ist unübersehbar.

„Wenn es nach mir ging', würdet ihr beide unter dem Bett schlafen."

Charmant wie eh und je, der Herr Weigl. Und gleichzeitig bietet er Pascal damit eine Vorlage für den nächsten Schlag – wenn das so weitergeht, haben sie beide unzählige blaue Flecken, bis sie oben angekommen sind.

„Ich würde ja nicht derjenige sein wollen, der auf dem Bett schlafen muss, unter dem Roman liegt. Das Bett hängt ja dann in der Luft."

Roman öffnet schon den Mund, setzt zu einer Erwiderung an, doch der Fahrstuhl hält ihn davon ab. Erst signalisiert er mit einem 'Pling', dass sie das gewünschte Stockwerk erreicht haben, dann öffnet er die Türen. Endlich Freiheit für den armen, gequälten Julian.
Jeder greift nach seinem Gepäck, es ist noch einmal eine große Herausforderung, sich aus dem Lift zu schieben. Vor allem, wenn man eine Playstation transportieren muss – Pascal und Roman haben diesen wichtigen Teil der Inneneinrichtung von zuhause mitgebracht und sich nach einer Weile so arrangiert, dass sie die Tasche gemeinsam tragen.
Sie bekommen es alle hin. Kurz darauf laufen sie den Gang entlang und tatsächlich sieht Julian ein bisschen erleichtert aus. Erst recht, als sich ihre Wege trennen, weil sie ihre Zimmer erreicht haben – Julian teilt sich mit Erik ein Zimmer und seiner Miene nach ist das für ihn wesentlich erträglicher als die Alternative in Form von einem von ihnen beiden.
Tzz, Banause. Der weiß ja nicht, was er verpasst. Aber Pascal beschwert sich nicht, Roman ist auch – trotz... okay, zugegebenermaßen gerade wegen der Kabbeleien – sein liebster Zimmerpartner. Auch wenn er sich vor allem mit den anderen beiden inzwischen echt gut angefreundet hat, versteht er sich mit Roman immer noch am besten.

Roman sperrt die Türe auf, dann sind sie endlich angekommen. Das ist ihr erstes Zuhause auf der Asienreise – ihr Hotelzimmer in Tokio. Und kaum haben sie ihre Taschen abgestellt, nehmen sie die Diskussion aus dem Fahrstuhl wieder auf.
Nur diesmal nonverbal.

Pascal reagiert als erster. Ein paar große Schritte, dann ein Sprung und er wirft sich auf das Bett an der Fensterseite. Dabei hat er jedoch nicht mit einkalkuliert, dass Roman richtig gut hechten kann. Sie kommen gleichzeitig auf der Matratze auf, fallen fast aufeinander. Und dann beginnt eine Rauferei, in deren Verlauf sie versuchen, sich gegenseitig vom Bett zu drängen.
Leider hat auch hier Roman klare Vorteile. Schon alleine seine Masse würde ihn überlegen machen, dann ist er zugegebenermaßen etwas kräftiger als Pascal... Es dauert nicht lange, bis Pascal beinahe aus dem Bett fällt und das ist das Zeichen für ihn, aufzugeben.

Schmollend tritt er den Rückzug an. Er steht auf, geht hinüber zum anderen Bett und lässt sich dort auf die Matratze fallen. Doch als er den Kopf zur Seite dreht, um Roman anzupampen, sieht er neben seinem Auge etwas glitzern.
Seine Stimmung schlägt augenblicklich um, er richtet sich triumphierend auf.

„Okay, dann nimm' doch die Fensterseite. Hier gibt es Schokolade."

Mit diesen Worten hebt Pascal das in glitzernde Papier eingewickelte Stückchen Schokolade, das auf seinem Kopfkissen lag, hoch. Romans Augen weiten sich, er gibt ein erschrockenes Japsen von sich.
Und dann...
Pascal hätte es ahnen können. Schweizer Schokolade, Schweizer, Schokolade. Plötzlich stürzt sich Roman auf ihn, drückt ihn ohne Rücksicht auf Verluste auf die Matratze und versucht, das Willkommensgeschenk zu erhaschen.

Damit beginnt Rauferei Nummer zwei. Julian kann echt froh sein, dass er nicht in diesem Zimmer untergekommen ist – das hätten seine Nerven niemals ausgehalten.

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Triumph.
Zumindest ein kleiner Triumph. Natürlich war Roman wieder überlegen, aber Pascal hat es geschafft, sich so sehr unter ihm hin und her zu winden, dass er keine Chance hatte, die Schokolade zu erwischen. Selbst dann nicht, als Pascal sie aus der Verpackung geholt und sich in den Mund geschoben hat.
Er hat die Schokolade bekommen. Dass Roman immer noch auf ihm liegt und langsam ziemlich schwer wird – er ist beleidigt und das soll wohl seine Rache sein -, ist Nebensache.

Wieder einmal räkelt sich Pascal unter ihm. Abwerfen kann er den dicken Schweizer damit nicht, das ist ihm klar – das hat er schon oft genug vergeblich versucht. Aber zumindest sorgt er so dafür, dass es für Roman nicht allzu gemütlich ist.

„Wann müssen wir wieder unten sein?"

Widerwillig rollt sich Roman etwas zur Seite, so dass er auf den Wecker, der auf dem Nachttisch zwischen ihren Betten steht, sehen kann.

„Gut 'ne halbe Stunde haben wir noch."
„Dann können wir ja endlich auspacken."

Unzufriedenes Brummen von Roman.

„Muss das wirklich sein?"

Allmählich glaubt Pascal das, was Roman ihm bei seinem ersten Besuch in seinem Haus gesagt hat – er ist scheinbar doch ordentlich. Zumindest ordentlicher als Roman. Der würde am liebsten alles herumliegen lassen, während Pascal immer einen Hang dazu hat, sein Zeug zu verstauen. Egal wie unordentlich verstaut es ist – Hauptsache, es ist eine Türe davor.

„Muss sein. Steh' auf, Dickerchen."

Zum Glück gehorcht Roman. Da ist es ihm auch egal, wie widerwillig er seinen Platz verlässt – er sieht endlich etwas anderes als Romans Nacken und das ist eine echte Erleichterung. Von seinem Gewicht ganz zu schweigen...
Roman bleibt noch auf dem Bett sitzen, Pascal nutzt seine neu gewonnene Freiheit und krabbelt an ihm vorbei, um zu seiner Tasche zu gelangen. Wie er es angekündigt hat, beginnt er, seine Habseligkeiten in den Schrank zu räumen. Allzu viel haben sie eh nicht dabei, die meiste Zeit werden sie in Trainingsklamotten herumlaufen.

Nach einer Weile kommt Roman nach. Er kniet sich neben ihn auf den Boden, öffnet ebenfalls seine Tasche. Sie ist erstaunlich ordentlich eingeräumt – bei Romans Motivation hätte er ihm auch zugetraut, dass er einfach alles kreuz und quer in die Tasche pfeffert. Andererseits hätte er dann weniger mitnehmen können und das ist garantiert nicht in seinem Sinne, verdammte Eitelkeit.
Etwas anderes ist jedoch viel interessanter. Auf der Kleidung liegt eine Tafel Schokolade und eine Karte. Roman nimmt beides heraus, sein Blick wird abwesend und er lächelt leicht. Klarer Fall von 'Freund hat den Koffer gepackt' oder zumindest 'Freund hat unbemerkt ein Andenken eingepackt'.

Pascal gibt Roman noch ein paar Augenblicke, in Erinnerungen zu schwelgen, dann hakt er nach.

„Von Yann?"
„Ja."

Roman streicht mit dem Zeigefinger über die Schrift in der Karte – inzwischen hat er sie geöffnet und den Inhalt gelesen. Um seine Lippen spielt sich immer noch dieses feine Lächeln. Dann geht ein Ruck durch ihn und er legt beides zur Seite, neben die Tasche. Sentimentalität abgehakt, jetzt kann er weiter seine Tasche auspacken.
Und Pascal kann ebenfalls Tacheles reden.

„Und dann verprügelst du mich wegen einem Ministück Schokolade?"
„Ich wusste ja, dass du das gewinnst."

Na klar. Deshalb hat er sich nach dem Kampf erst mal auf ihm breit gemacht. Weil es absolut absehbar und in Ordnung war, dass er seine Schokolade bekommt.
Offensichtlich merkt Roman selbst, wie unüberzeugend das war. Er lenkt ein und klingt gleich viel versöhnlicher.

„Kriegst auch was ab."
„Wow, danke."
„Bist eh viel zu dünn."
„Kann nicht jeder so dick sein wie du."

Ein gezielter Schlag gegen die Schulter und Roman verliert fast das Gleichgewicht. Zum Glück verzichtet er auf Revanche. Er lacht nur und fährt damit fort, seine Tasche auszuräumen. Nun wandert endlich der erste Stapel Klamotten in den Schrank.
Pascal ist schon wesentlich weiter. Er hat nur noch die Dinge in seiner Tasche, die nicht in den Kleiderschrank gehören.
Sein Blick wandert hinüber zu Romans Gepäck und dann zu seinen Geschenken.

„Hast du schon Heimweh?"
„Wir sind gerade eben erst angekommen."

Kurz grinst Roman ihn an, doch dann verschwindet das Grinsen ganz langsam. Das zeigt, dass Pascal mit seiner Frage gar nicht so daneben lag.

„Es ist halt schade. Die letzten Tage waren echt gut... Yann jeden Tag sehen zu können, endlich keine Fernbeziehung mehr zu führen... Und schon ist es wieder vorbei. Nur für ein paar Tage, aber trotzdem schade."

Sie halten für einen Moment Blickkontakt, bis Roman sich wieder seiner Tasche zuwendet.
Vielleicht hätte er das Thema doch nicht ansprechen sollen. Nicht deshalb, weil es Roman unangenehm ist, darüber zu sprechen, sondern weil er vielleicht bis gerade eben verdrängt hat, dass er etwas in der Heimat zurücklassen musste, was er gerne bei sich gehabt hätte.
An solchen Kleinigkeiten merkt man, dass sie sich nun gerade mal eine Woche kennen. Sie haben sich von Anfang an gut verstanden, haben seitdem recht viel Zeit miteinander verbracht, aber die Feinheiten kann Pascal noch nicht einschätzen.

Er muss seinen Freund wieder aufmuntern, das weiß er. Und als auch Roman endlich seine Wäsche weggeräumt hat, tut sich eine Gelegenheit dafür auf. Als nächstes holt er nämlich ein Stofftier aus seiner Tasche – einen Hasen. Sieht nach einem ganz gewöhnlichen Hasen aus, ungefähr halb so lang wie sein Unterarm, braunes, wuscheliges Fell.

„Oooh, ist der niedlich. Ist das auch ein Andenken von Yann?"

Romans Blick ist ganz kurz verlegen, Pascal meint sogar, dass sich seine Wangen rot färben. Doch dann hat er sich wieder gefangen und in seiner Stimme schwingt ein gewisser Stolz mit.

„Nein, der ist meiner. Hab den schon von klein auf. Er war mein erster bester Freund und er kommt überall mit hin."

Es ist irgendwie echt lustig, dass Roman – der große, muskulöse Roman, der mehr nach Playboy als nach Kuscheltierbesitzer aussieht – einen Stoffhasen auspackt. Aber seine Erzählung und der Blick, mit dem er den Hasen ansieht – eben wie einen langjährigen Freund – sind sehr niedlich.

„Hat er auch einen Namen?"
„Klar. Herr Hase. Ich war jung, als ich ihn benannt habe, okay?"
„Und nicht besonders kreativ."
„Ja. Aber immerhin passt der Name."

Er hat die Kurve gekriegt, Roman ist wieder gut gelaunt. Als er mit dem Hasen in der Hand aufsteht, ist seine Miene entspannt und die Sehnsucht aus seinem Blick gewichen.
Roman geht hinüber zu seinem Bett, dort setzt er den Hasen – Herrn Hase – auf das Kopfkissen. Das kann Pascal natürlich nicht einfach so hinnehmen.

„Na super, der Hase hat einen besseren Platz als ich."
„Jeder, wie er es verdient."

Und dann beweist Roman, dass er die Reife eines Fünfjährigen hat. Er unterstreicht seinen miesen Kommentar, indem er die Pfote seines Hasen hebt.

„Ey, zeigt mir Herr Hase gerade den Mittelfinger?"
„Ja. Siehst du das nicht?"

Unverschämt, so was von unverschämt. Aber auch Pascal kann unverschämt sein. Er beugt sich hinüber zu Romans Kleiderschrank, nimmt ein Paar Socken heraus und wirft es Roman an den Kopf.
Dann, bevor Roman sich rächen kann und es mal wieder zu einer Prügelei kommt, hakt er weiter nach.

„Darf er immer bei dir schlafen?"
„Ja, er gehört einfach dazu."

Der Heimwehanfall ist offensichtlich überstanden, Pascal kann wieder das Thema 'Yann' ansprechen. Eigentlich hätte er das noch ruhen lassen, aber wenn es sich so anbietet...

„Und wenn du es mit Yann treibst? Muss er sich dann umdrehen?"

Sie grinsen sich an und damit ist endgültig klar, dass Romans Freund kein Tabuthema mehr ist. Zumindest nicht in diesem Zusammenhang.

„Ohne Scheiß – ja. Reicht ja schon, dass er mit uns im Bett ist, zuschauen muss er nicht auch noch."

Das ist sein Ernst, das meint er wirklich so. Oh.
Pascal fängt sich recht schnell wieder. Nur kurz ungläubig lachen, dann geht es weiter mit der Fragerunde.

„Verknotest du ihm dann auch die Ohren, damit er nichts hört?"

Ein entrüstetes Schnauben von Roman.

„Sag mal, kennst du dich auch nur ansatzweise mit Hasenanatomie aus? Erstens kannst du einem Hasen doch nicht einfach die Ohren verknoten, das tut ihm doch weh! Und zweitens bringt das doch nichts. Sein Gehörgang liegt trotzdem noch frei."
„Natürlich kenne ich mich da nicht aus. Ich bin nicht seit meiner Kindheit mit einem Hasen befreundet."

Die Socken, die er vorher auf Roman geschmissen haben, machen sich auf den Rückweg. Sie verfehlen Pascal nur deshalb, weil er es gerade noch schafft, sich zu ducken.

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Zwei Hasen(jahre)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt