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Nach einer Woche flog mein Onkel schon wieder zurück in die Türkei. Ich hatte jetzt eine Morgenroutine. Erst für das Gebet aufstehen. Dann weiter schlafen. Gegen acht Uhr wieder aufstehen, Zähne putzen, frühstücken, umziehen, zur Arbeit fahren. So verlief mein Morgen jeden Tag. Ungefähr drei Monate. Drei Monate war alles normal und verlief gleich. Ich war glücklich. Gönül war glücklich. Wir verdienten unser Geld, elhamdulillah. Meine Mutter war glücklich. Gönüls Eltern und Geschwister waren glücklich. Alle waren es, elhamdulillah.

Am Montag war wieder Zeit für die Arbeit. Im Büro, kam ein Ehepaar herein und sie setzen sich jeweils auf die beiden Stühle, vor meinem Schreibtisch. Gönül hatte auch Kunden.

,,Guten Tag! Was kann ich für sie tun?"

,,Wir haben ein neues Haus gekauft und wissen nicht, wie wir es einrichten und dekorieren sollen. Ich möchte etwas, was nicht viele haben. Eine sehr schöne, moderne Wohnung. Können Sie uns vielleicht erstmal ein paar Beispiele zeigen?"

,,Ja klar. Hier sind ein paar. Möchten sie lieber so etwas oder so vielleicht..."

Ich zeigte ihnen verschiedene Beispiele. Doch mit gar keinem konnte ich sie überzeugen. Schlussendlich schlug ich vor, selber ein neues Beispiel auf dem Computer zu zeichnen. Es gab sowieso keine anderen Beispiele mehr. Das, was ich grob entworfen habe, gefiel ihr dann endlich und wir vereinbarten ein Termin, damit ich ein Plan von der Wohnung hatte.

Als ich zu Hause war, begrüßte ich laut meine Mutter mit einem ,,Selamun aleykum", doch bekam darauf keine Antwort. Ich suchte sie und fand sie auf der Couch liegen. Sie war wahrscheinlich eingeschlafen, während sie wieder mal ihre Lieblingsserie guckte. Ich küsste ihr auf die Stirn und deckte ihren Körper mit einer dünnen Decke zu. Ich nahm die Gebetswaschung und betete anschließend. Um nachzufragen, ob meine Mutter schon gebetet hatte und hungrig war, ging ich sie aufwecken. Aber dann... Dann erlebte ich eines meiner schlimmsten Tage. Sie wachte nicht auf! Ich habe alles versucht, damit sie aufsteht, aber sie tat es nicht! Ich wusste nicht was geschah.

,,Anne? Anne? Anne! Mama, wach auf , Mamaaaaa! Wach auf Mama! Ist nicht schwer. Wirklich Mama. Du musst nur deine Augen öffnen. Aber nicht geschlossen halten. Bitte Mama. Wach auf!"

Ich weinte, schluchzte und schluchzte. Was war passiert. War sie jetzt wirklich tot und lässt mich allein? Hatte ich jetzt in Deutschland außer Gönül niemanden? Ich versuchte meine Mutter hochzukriegen. Ich war ein starkes Mädchen. Das würde ich schaffen. Alleine sie zu tragen und dafür sorgen, sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu bringen, weil ich wusste, wenn ich dort anrufen würde, dass es länger dauern würde, dass ein Krankenwagen kommt. Doch in dem Moment war ich schwach. Sehr schwach. Ich schluchzte immernoch. Schnell rief ich ein Krankenwagen und wir brachten sie zum Krankenhaus. Die Sanitäter sagten, dass ich die Hoffnung nicht aufgeben soll, weil ihr Herz noch pochte. Im Krankenhaus rief ich Gönül an, während ich darauf wartete, dass die Ärzte endlich fertig und mit einer positiven Nachricht raus kamen, aus dem Zimmer, wo meine Mutter lag. Nach ungefähr zwanzig Minuten kam Gönül mit ihrer Mutter und ihren Schwestern angerannt und umarmte mich sofort. Sie musste auch weinen und danach kamen die anderen dazu. Wir alle weinten. Alle beteten dafür, dass sie aufwachen soll. Gönüls Mutter hatte sogar ein kleines Koran dabei, indem sie die Sura Yasin las. Ich kannte die Sura auswendig, deshalb sagte ich es leise auf und betete wieder. Schon zwei Stunden mussten wir warten, als dann endlich der Arzt kam.

,,Frau Özalp..."

Fing er an.

,,Ihrer Mutter geht es nicht so gut. Zurzeit ist sie noch am Leben, aber seien sie auf alles schonmal bereit."

Ich merkte schon, wie mir schwarz vor Augen wurde. Gönül nahm schnell meine Hand und sorgte dafür, dass ich sitze. Ihre ältere Schwester brachte mir ein Glas Wasser, von dem ich nichts trank, weil ich es sowieso nicht runter bekommen würde.

Eyes of LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt