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,,Gönül? Du bist nicht traurig oder? Alles wird wieder gut. Glaub mir. Vergiss nicht, du hast uns, als deine zweite Familie. Meine Eltern, meine Geschwister und mich. Wir sind immer bei dir. Du darfst das nie vergessen. Außerdem darfst du nicht mehr alleine sein. Entweder du ziehst bei mir ein oder ich bei dir! Such dir eine Möglichkeit aus!"

,,Erstens, danke für alles nochmal. Ich weiß, dass ihr immer für mich da seid und hinter mir steht. Ich sehe deine Eltern genau wie meine, deine Geschwister wie meine. Weißt du ich bin eigentlich gar kein Einzelkind. Ich habe noch fünf Geschwister. Fünf! Du und deine Geschwister, seid auch meine Brüder und Schwestern.
Außerdem bin ich nicht mehr so traurig. Das ist halt mein Kader (Schicksal). Und ich bin wirklich nicht traurig. Guck ich kann sogar lächeln."

Mit einem Grinsen guckte ich sie an. Zumindest drehte ich mein Kopf in ihre Richtung, weil ich ja nicht sehen konnte.
Ihr fuhr fort...

,,Und...Ich finde es besser, dass du bei mir einziehst, weil du weißt..."

Sie wusste schon warum, denn darüber hatten wir schonmal geredet. Erstens war deren Haus nicht groß genug, um mich auch noch aufzunehmen, denn Gönül hatte noch vier weitere Geschwister. Außerdem noch eine Schwägerin. Ihr älterer Bruder war schon verheiratet. Aber er war wirklich ein Muttersöhnchen. Er wollte nicht woanders umziehen, weil er, wie gesagt, ein Familienkind war. Deshalb wäre es mir auch unangenehm. Denn Gönül sagte auch immer, dass ihre Schwägerin sehr eifersüchtig wäre. Es wäre halt besser, dass wir beide bei mir wohnen würden, dachte ich. Gönül freute sich schon und war sehr zufrieden mir dieser Entscheidung von mir. Ich spürte ihre Wärme an mir. Sie umarmte mich und kicherte.

,,Was ist Gönül?"

Ich musste auch kichern. Es war schon immer ansteckend, wenn Gönül lachte.

,,Wir wohnen ab heute zusammen! Du kannst mir nicht entkommen Eflin! Muhahahaha!"

Sie war wirklich verrückt. Als ob ich nicht mit ihr wohnen wollen würde, lachte sie schadenfroh. Ich war so glücklich in dem Moment. Nicht jeder könnte an so einem Tag glücklich sein. Also ich meine, ich war ab dem Zeitpunkt blind und das war erst vor paar Stunden passiert. Aber ich war glücklich.

,,Gönül?"

,,Hmm?"

,,Wir müssen noch beten, weißt du oder? Also können wir jetzt reingehen?"

,,Upps. Stimmt ja. Schnell, schnell Eflin. Wir haben nur noch eine halbe Stunde Zeit, bis wir das Nachmittagsgebet verrichten, dann ist es Zeit für das nächste Gebet."

,,Kannst du mir bitte helfen, auszusteigen?"

Gönül begleitete mich, bis zu der Couch in meiner Wohnung.

,,Eflin. Ich nehme schnell die Gebetswaschung, dann können wir deine machen."

,,Okay"

Sie ging ins Badezimmer, während mich Müezza begrüßte, indem sie auf meinen Schoß kam. Ich wartete auf Gönül und dabei streichelte ich Müezza und kuschelte mit ihr. Dann kam auch schon Gönül aus dem Bad und führte mich auch dahin. Sie half mir die Gebetswaschung zu machen und wir beteten zusammen. Sie half mir immer bei allem. Ich liebte sie einfach. Nach dem wir auch etwas gegessen hatten, setzten wir uns auf die Couch und redeten gemeinsam.

,,Eflin, willst du die Ärzte vielleicht anzeigen oder so? Weil es ist schließlich deren Schuld, dass du jetzt bind bist."

,,Nein Gönül. Ich bin ja nicht traurig mit meinem Leben. Außerdem werde ich ja bald wieder sehen können, Inşallah. Ich werde es nicht tun."

Später gingen wir schon schlafen, doch davor machte ich noch meine Augentropfen. Besser gesagt, Gönül machte es in meine Augen.
Das verging jetzt eine Woche so. Gönül hatte in dieser Zeit auch schon fast ihre ganzen Sachen von zu Hause mitgebracht. Der Arzt hatte mir gesagt, dass ich einmal in der Woche, zur Kontrolle gehen muss. In der zweiten Woche brachte mich Gönül, am Montag zum Arzt und ich bekam neue Tropfen, weil die erste schon leer war. Es müsste relativ klein sein, weil es genau für eine Woche ausreichte. Gönül konnte in dieser Zeit auch nicht zur Arbeit gehen. Ich hatte Schuldgefühle deswegen. Doch Gönül sagte immer, dass ich diese Gefühle nicht haben soll, weil es für sie wohl auch gut war, nicht zu arbeiten. Sie wollte die Zeit ausnutzen, sich auszuruhen. In der dritten Woche, beim Arzt, sagte er uns, dass ich ab nächste Woche, nicht mehr dorthin für die Tropfen gehen sollte. Denn ich brauchte wohl ab der vierten Woche, neue, stärkere Tropfen, die es nur in einer speziellen Krankenhaus in Deutschland gab. Und das lag in einer anderen Stadt. Ich nickte nur und wir fuhren zurück nach Hause. Nächste Woche fuhr mich Gönül in dieses Krankenhaus und wir klärten das Ganze mit einem Arzt, der sich noch relativ jung anhörte. Ungefähr so alt wie wir vielleicht? Oder vielleicht etwas älter. Es ging drei Monate so weiter. Gönül fing schon an mich zu nerven, dass er sehr gut aussieht und so, doch ich schlug ihr jedesmal auf den Oberarm, natürlich wenn ich es treffen konnte. Meistens schaffte ich das auch nicht leider. Ich redete mit dem Arzt immer über meine Familie. Und er erzählte auch etwas über sein Leben, weil es war hier nicht so, dass ich jedesmal neue Tropfen bakam, sondern auch erstmal eine Stunde untersucht werden musste. Die Zeit nutzte er immer aus, mit mir über bestimmte Themen zu sprechen, was mir ehrlich gesagt sehr gut tat. Ich vertraute ihm irgendwie schnell, sodass ich in einer kurzen Zeit anfing, ihm über mein Leben zu erzählen, obwohl ich mich am Anfang nicht getraut hatte. Es war manchmal unangenehm, weil es ein Mann war. Ich hätte gerne eine Ärztin, statt ein Arzt, doch die Ärzte hier, die sich mit blinden beschäftigten waren glaube ich alle Männer.
Er erzählte mir, dass er auch ein Moslem war und etwas über seine Familie. Er hatte wohl eine Zwillingsschwester, die auch Kopftuch trug, wie ich. Gönül meinte auch, als sie im Krankenhaus mal auf dem Weg zur Toilette war, sah sie ihn in einem Raum beten. Außerdem befand sich wohl ein kleines Koran auf seinem Schreibtisch. Immernoch schwärmte sie von ihm. Und ich hörte ihr nicht mal zu und nickte nur, weil sie nicht aufhören wollte. Obwohl ich sie mehrmals ermahnt hatte, erzählte sie immer wieder von ihm.

,,Aber ich hab ja schon einen, deshalb klären wir ihn für dich!"
Natürlich meinte sie das ironisch.

,,Gönül! Was sagst du da! Hör auf. Außerdem...Wer ist denn deiner? Warum weiß ich nichts davon? Sag es mir sofort?!"

,,Şaka yaptım sadece, sakin ol! (Ich hab nur ein Scherz gemacht, beruhige dich!) Aber... egal. Sag mal ich hab Müezza vermisst. Wir müssen jetzt sofort zu ihr!"

Und sie raste los. Was hatte sie? Sie wollte was sagen, aber hat abgebrochen und das Thema gewechselt. Sie hörte sich komisch an. War sie etwa verliebt oder so? Ich wollte nichts mehr sagen, weil ich bemerkte, dass sie es aus versehen angesprochen hatte. Sie hatte ja einfach ein neues Thema angefangen. Ich war mir aber sicher, dass ich später näher in dieses Thema eingehe.

In der nächsten Woche, fragte der Arzt, ob ich arbeiten würde. Ich erzählte ihm, dass ich und Gönül ein Büro zusammen führten, doch es seit ich blind bin, geschlossen ist, weil Gönül ständig bei mir ist. Er schlug etwas vor. Er sagte, dass er eine Wohnung besaß. Am Anfang wusste ich nicht, wovon er sprach und was er damit erreichen wollte. Doch später bemerkte ich, dass er nichts schlimmes damit meinte. Er meinte, dass Gönül lieber mit dem Arbeiten anfangen sollte und ich mit seiner Zwillingsschwester in seinem Haus leben sollte, weil die Stadt sowieso weit weg, von meine Stadt war und es wichtig war für meine Augen, jede Woche zur Kontrolle zu kommen. Außerdem würde er in dieser Zeit, bis sich meine Augen verbessern, bei seinen Eltern wohnen. Was wenn Gönül plötzlich kein Auto mehr hätte? Oder was anderes passieren würde? Wenn ich einmal nicht zur Kontrolle kommen würde, würde es schlimm enden. Allah korusun (Gott soll beschützen), ich würde für immer nichts mehr sehen können. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ich fand es einerseits eine gute Idee, anderseits könnte es sein, dass er mich anlog. Ich und Gönül redeten über dieses Thema und wir beide wussten nicht so ganz, was wir machen sollten. Ich wollte ja auch unbedingt, dass Gönül wieder anfängt zu arbeiten, doch sie konnte mich nicht alleine lassen. Wie würde ich ohne sie die Gebetswaschung nehmen, oder mich umziehen, oder duschen? Beim Duschen half sie mir natürlich auch, doch meine Unterwäsche zog ich dann natürlich nicht aus und duschte mit Unterwäsche. Es klingt vielleicht komisch, weil Gönül ja eigentlich meine aller beste Freundin ist und ich mich nicht von ihr schämen sollte, aber trotzdem schämt man sich. Also ich zumindest. Der Arzt schlug auch vor, dass Gönül auch eine Zeit lang mit mir und seiner Schwester leben sollte, damit sie beobachten konnte, wie de Familie so ist. Die Idee fanden wir super und wir entschieden uns, dort einzuziehen. Wir packten beide unsere Sachen und bekamen die Erlaubnis von Zehra Teyze (Tante) und Haluk Amca (Onkel). Gönüls Eltern. Schlussendlich zogen wir dort ein und waren erstmal natürlich sehr, sehr schüchtern gegenüber die Schwester von...von... Wie hieß er überhaupt? Egal, das war ja nicht so wichtig. Wie wir dort ankamen? Wir wir das Haus fanden? Er hatte vor dem Bahnhof auf uns gewartet, damit er uns den Weg zeigen und uns seine Schwester vorstellen konnte. Ich und Gönül waren gerade auf dem Weg dorthin und waren schon sehr gespannt, wie die Schwester wohl sei. Als wir am Bahnhof ankamen, sagte Gönül, dass sie ihn gesehen hatte und er ein Handzeichen gemacht hatte, was deutlich machte, dass wir ihm folgen sollen.

Er schloss uns die Tür auf und eine zuckersüße, nette Stimme begrüßte uns. Er stellte uns kurz vor und ging danach schon wieder. Gönül führte mich ins Wohnzimmer, wie ich merkte, denn ich saß auf irgendwas weichem. Wir redeten sehr viel gemeinsam und verstanden uns sofort gut mit Azelya. Azelya hieß sie. Seine Schwester. Ein wunderschöner Name finde ich. Zusammen beteten und aßen wir später. Danach gingen wir auch schon schlafen. Zwei Wochen verliefen sehr schön miteinander. Einmal in der Woche kam Aytaç. Ja er hieß Aytaç. Seine Schwester hatte uns ihn schon vorgestellt, bevor er es selbst machte. Er kam, um mir neue Tropfen zu bringen und meine Augen zu kontrollieren. Dann ging er wieder, was ich total gut fand, aufgrund meiner Religion. Er war ja auch ein Moslem, deshalb wollte er bestimmt selber nicht neben uns bleiben. Es wurde Zeit für Gönül, wieder mit der Arbeit anzufangen. Sie wollte es selber und musste ja auch. Das Büro konnte ja nicht für immer geschlossen bleiben. Sie musste schließlich auch Geld verdienen. Außerdem gab es da noch ein Ehepaar, mit denen ich schon sehr, sehr lange ein Termin vereinbart hatte. Doch mit denen hatte ich gesprochen und erzählt, was mir alles passiert ist. Sie akzeptierten es, doch wollten trotzdem mit uns arbeiten und vereinbarten einen neuen Termin. Der Termin war nach einem Tag und Gönül musste sich natürlich jetzt auch noch mit meinen Kunden beschäftigen und auch dies war ein Grund, weshalb sie gehen musste. Für mich war es natürlich schwer, aber Azelya war inzwischen auch schon eine sehr gute Freundin von uns geworden. Deshalb sagte Gönül, sie vertraut ihr, dass sie auf mich gut aufpassen würde und verließ auch schon das Haus, nachdem wir uns sehr fest umarmt hatten.

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