KAPITEL 2

2.5K 168 36
                                    

Denn ich verheddere mich im wallenden Saum meines Kleides und falle auf den Boden. Reflexartig versuche ich mich abzufangen und lande sehr undamenhaft auf dem harten Kastanienboden. 

Ich höre, wie jemand aufspringt, doch ich bin zu sehr mit mir selbst und den unzählig vielen Lagen meines Kleides beschäftigt, als dass ich dem dunklen Schatten in meinem Augenwinkel weitere Beachtung zolle.

"Dürfte ich Ihnen helfen, Lady Rose?", fragt mich Lord Istriana höflich und hält mir seine Hand hin, doch ich ignoriere sie stur. "Ich wäre mehr über Ihre Hilfe beim Richten meines Kleides erfreut." "Wenn ich Ihnen damit helfen würde, tue ich dies natürlich gerne. Was muss ich tun?", erkundigt er sich und sinkt zu mir in Richtung Boden.

"Sie könnten die Stofflagen zusammensuchen und mir dann gerne hochhelfen", antworte ich dem Lord, während ich ihn zum ersten Mal anlächle. Seine Mundwinkel heben sich ebenfalls und er lächelt zurück. "Ihre Augen sehen aus wie die ihrer Mutter", schmeichelt er mir und beginnt, die Stofflagen meines Kleides zu sortieren, sodass ich die Chance bekomme, meine Gedanken zu sortieren.

Er besitzt die schönsten Augen, die ich jemals gesehen habe. Sie sind eigentlich in einem durchschnittlichen Braunton, doch feine Goldspuren verleihen ihnen etwas Besonderes. Ich weiß nicht warum, doch mir gefällt es.

"Fertig, dürfte ich Ihnen nun hochhelfen?", meint Lord Istriana und klatscht zufrieden in die Hände. "Aber sehr gerne", erwidere ich amüsiert und reiche ihm meine Hand, woraufhin er mich hochzieht und ich wieder auf meinen eigenen Beinen stehen kann.

"Ich habe gehört, sie jagen gerne", erwähnt er, während wir zu meinen Eltern laufen. "Ah, von wem?", will ich neugierig wissen, da es würde mich wirklich interessiert, denn meine Eltern verdächtige ich nicht. "Ihr Bruder hat mir einiges über sie erzählt", antworte er grinsend. "Hoffentlich nur Gutes", rufe ich lachend. "Nur das Allerbeste", stimmt er mir charmant zu.

An der Sitzecke angekommen lässt er mir den Vortritt. Meine Mutter wirft mir einen enttäuschten Blick zu, während sich mein Vater schon wieder mit Lord Istriana über Politik und die aktuellen Streitereien unter den Lordschaften unterhält. Leider kenne ich mich mit solchen Dingen nicht so gut aus, wie ich es mir wünschen würde.

Ich kann meiner Mutter geradezu ansehen, dass sie mir jetzt am liebsten eine Standpauke über mein nicht damenhaftes Auftreten halten würde. Ich selbst habe ebenfalls gedacht, dass ich mich für meinen Sturz von vorhin schämen würde, doch das ist nicht der Fall. 

Glücklicherweise hat Lord Istriana sehr locker darauf reagiert, so dass es sich nicht mehr wie ein komplettes Versagen meinerseits anfühlt.

"Rose, möchtest du nicht mit Lord Istriana in den Garten gehen?", fragt meine Mutter suggestiv und grinst verschwörerisch. Um die gute Tochter zu mimen, antworte ich höflich, aber dennoch förmlich. "Gerne, würden sie mir die Ehre erweisen, Lord Istriana?" "Aber selbstverständlich, Lady Rose", antwortet mir Lord Istriana mindestens genauso höflich und bietet seinen Arm an.

Ich hake mich bei ihm unter und führe ihn zum Rosengarten meiner Familie. Während wir aus dem Saal laufen, kann ich Mutters Blicke auf meinem Rücken, die mich durchbohren, förmlich spüren. 

Ihr Getuschel mit Vater ist ebenfalls nicht gerade unauffällig. Vor dem großen Saal bin ich sehr darüber erleichtert, endlich mit dem Lord allein sein zu können, denn in der Gegenwart meiner Eltern fühle ich mich jederzeit beobachtet und kann nicht ich selbst sein.

"Sehr schön haben, sie es hier", versucht er krampfhaft, ein Gespräch in Gang zu bekommen. Freundlich wie ich bin, erwidere ich lächelnd: "Finden Sie? Ich stelle mir den Norden auch sehr schön vor. Alles soll so weiß sein, und wenn die Sonne auf den Schnee strahlt, glitzert es überall, oder?", woraufhin er in Lachen ausbricht.

"Soll ich Ihnen etwas über den Norden erzählen?" Ich nicke und schaue ihn begeistert an.

"Die Leute im Norden haben andere Beschäftigungen als Menschen von hier. Sie brettern zum Beispiel auf Schlitten von verschneiten Bergen. Oder sie fahren auf zugefrorenen Seen Schlittschuh." "Das heißt, sie laufen auf dem See?", frage ich voller Verwirrung und runzle die Stirn. "Richtig! Und es macht sehr viel Spaß", antwortet er mit vor Stolz strahlendem Gesicht.

"Die Menschen hier haben wirkliche andere Beschäftigungen als ihre Landsleute. Bei uns tanzt man oft und die Kinder spielen Himmel und Hölle. Wenn es abends dunkel wird, werden oft Feiern veranstaltet. Dann sieht man tausende kleine Glühwürmchen im Himmel herumschwirren", erzähle ich und schwelge lächelnd in Erinnerungen.

"Wir im Norden feiern ebenfalls Feste, doch sie finden selten im Freien statt, da es oft zu kalt ist", erwidert er, "Es ist aber nicht immer kalt bei uns. Manchmal liegt bei uns auch kein Schnee, das ist jedoch schon ungefähr fünf Jahre her." "Fünf Jahre lang Schnee!", murmele ich und blicke ihn beeindruckt an, sodass er über meinen Kommentar lacht.

Als wir draußen im Rosengarten angekommen sind, zeige ich ihm ein paar Rose, für die wir überall bekannt sind. Er hört mir gespannt zu und scheint sich dafür zu interessieren – oder er ist ein fantastischer Schauspieler. 

Ich will ihm gerade eine schöne Legende zu einer Rose erzählen, als ich Arden mit Fiona kommen sehe. Ohne auf den Lord zu achten, springe ich auf und laufe mit schnellen Schritten zu den beiden.

"Solltest du nicht bei Lord Istriana sein?", ruft Arden und sieht mich überrascht an. „Ja, aber ich muss euch doch noch zu eurem Glück gratulieren, Arden", meine ich und halte mir kopfchüttelnd eine Hand an die Stirn. Fiona lacht auf und ihr glucksendes Lachen, lässt mich grinsen. Hoffentlich erbt das Kind Ardens Lachen und nicht ihres.

"Wozu gratulieren?", will eine Stimme hinter mir wissen. Ich drehe mich um und entdecke Lord Istriana hinter mir. Fiona verbeugt sich wie eine wahre Dame und Arden begrüßt den Lord freundlich.

"Ich wollte Arden zu seinem gewonnen Kampf von heute Vormittag gratulieren. Gut gemacht, Arden. Sah dein Gegner schlimm danach aus?", lüge ich gekonnt und versuche, meine Stimme möglichst ruhig und gelassen klingen zu lassen. Es scheint zu klappen, denn der Lord unterhält sich nun mit Arden über den Kampf und ich bin diesem dankbar, dass er mitspielt.

"Fiona, dürfte ich dich bitte unter vier Augen sprechen?", frage ich Fiona und sie nickt.

Wir entfernen uns gemeinsam etwas von den Männern und stellen uns abseits hin. "Ich möchte euch ganz herzlich zu eurer Hochzeit und dem Kind gratulieren. Ihr werdet bestimmt tolle Eltern sein", flüstere ich freudig, worauf Fiona über beide Ohren strahlt und dann etwas getroffen meint: "Ich hoffe nur, das Arden nicht zu viel Ärger von eurer Mutter bekommt. Ich will nicht, dass er sich wegen mir mit seiner Mutter streitet."

"Ah, Fiona, unsere Mutter wird sich gewiss wieder beruhigen", beruhige ich sie und umarme die Schwangere. "Danke, Rose."

"Kommt ihr wieder? Das Fest beginnt gleich", ruft Arden uns zu.

GoldsternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt