KAPITEL 27

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Gegen Abend hält unsere Kutsche an, unserer Unterkunft für die Nacht. Beatrix ist schon halb am Schlafen, während Palina und ich uns leise unterhalten haben. Aber durch das abrupte Stehenbleiben, wacht auch Beatrix verschlafen auf.

"Sind wir schon da?", fragt sie müde und sieht aufgeregt aus dem Fenster. Wie sie innerhalb von wenigen Sekunden plötzlich wieder hellwach ist. "Ja.", antworte ich und lächele sie an. "Das ist deine erste Reise, richtig?", meine ich grinsend.

"Merkt man es mir so sehr an?", will sie nervös wissen. "Wenn man dich kennt. Kommt, lasst uns aussteigen.", sage ich und stehe wegen der doch niedrigeren Kutschendecke gekrümmt auf. Palina und Beatrix stimmen mir zu und ich öffne uns die Kutschentüre.

Als der Kutscher bemerkt, dass wir aussteigen, springt er augenblicklich von seinem Kutschbock herunter und hilft uns aus der Kutsche. Ich suche in der Menge nach Aramis, kann ihn jedoch nicht finden.

"Kutscher, wo ist mein Mann?", will ich von ihm wissen. "Er ist etwas weiter hinten, müsste aber jeden Augenblick eintreffen.", antwortet er mir und verbeugt sich. Ich lächle ihn dankbar an und laufe mit Beatrix und Palina im Gefolge zu unserer restlichen Truppe.

Leider kenne ich überhaupt niemanden, der hier mit uns reist. Jeder verbeugt sich trotzdem ehrfürchtig vor mir. Etwas zu sehr in den Mittelpunkt gedrängt, gehe ich schnell wieder raus aus der großen Masse von Menschen.

Aramis sollte mir schleunigst unser Gefolge bekanntmachen. Beatrix scheint sich auch nicht vollkommen wohl zu fühlen. Sie hält sich nahe bei mir und weicht bei keinem Schritt ab, während Palina sich wie immer der Etikette entsprechend verhält. Insgeheim bewundere ich sie für ihre selbstlose und durchdachte Art.

"Rose, was machen wir jetzt?", will Beatrix unsicher von mir wissen und sieht mich unruhig an. "Wir können uns doch die Beine vertreten.", schlage ich vor und sehe sie abwartend an.

"Gute Idee.", meint Palina und lächelt mich warmherzig an. "Und was ist, wenn Aramis gleichkommt und du nicht da bist?", hakt Beatrix unentschlossen nach.

"Wir werden in Sichtnähe bleiben, mach dir keine Sorgen.", beruhige ich sie und werfe einen Blick auf meine Wachen, die ein paar Schritte von uns entfernt stehen und uns achtsam beobachten. Irgendwie löst das ein vertrautes Gefühl in mir aus.

Wenigstens ein paar Menschen kenne ich hier. Sie wirken wie immer recht distanziert, kontrollieren aber ständig die Umgebung um uns herum. "Uns wird nichts passieren.", füge ich noch hinzu, als ich merke, wie Beatrix immer noch recht unsicher ist.

Sie nickt und sagt: "Wir können ja zu dem Baum dort laufen.", und zeigt auf eine große Linde, die auf einer großen Wiesen steht. Um sie herum stehen vereinzelt ein paar ärmliche Hütten, aber sonst sieht es sicher aus.

"Das machen wir.", bestimme ich und gehe voran. Palina folgt mir und Beatrix fragt: "Werden wir unser eigenes Lager aufschlagen oder in einem Gasthaus schlafen?"

"Ich weiß es nicht.", gebe ich offen zu und schäme mich dafür. Aramis und ich sollten uns dringend heute Abend darüber beratschlagen. Ich komme mir schon wieder vor, wie die dumme Ehefrau, die nichts kann. Auch wenn ich eigentlich keinen berechtigten Grund dafür habe, regt es mich auf.

Was denkt jetzt das Gefolge von mir? Ich will es mir gar nicht ausmalen. Vermutlich werden in diesem Moment bereits bösartige Gerüchte über mich verbreitet.

Ich bleibe stehen und Beatrix läuft fast in mich hinein. Sie murmelt eine Entschuldigung und sieht mich überrascht an. "Was hast du?", will Palina fürsorglich wissen und sieht mich kritisch an. "Ich muss dem Gefolge zeigen, dass ich mehr kann als nur schön aussehen. Was denken sie nur von mir? Ich laufe hier rum, obwohl ich schon mal das Nachtlager planen könnte.", rege ich mich herb auf.

Palina sieht mich mit unveränderter Miene an, während Beatrix mich geschockt ansieht. "Das ist doch die Aufgabe der Männer.", stammelt sie verunsichert. "Wer bestimmt das?", will ich von ihr wissen, aber sie hat keine Antwort darauf. "Wachen, wer führt dieses Gefolge an?", rufe ich ihn fragend zu und warte auf eine Antwort.

"Sie.", antwortet einer der beiden schlicht. "Hat er das angeordnet?", will ich wissen und komme näher zu ihnen. "Ja, hat er heute Morgen. Er und Sie führen das Gefolge an und sonst keiner, hat er gesagt.", sagt er neutral. Ich nicke und meine: "Wissen Sie, ob es einen Ortkundigen hier im Gefolge gibt?", will ich von ihnen wissen.

"Ja, sollen wir Sie zu ihm bringen?", bestätigt er meine Vermutung. "Sehr gerne.", entgegne ich freundlich und will ihnen schon folgen, als ich an Beatrix und Palina denke. "Wollt ihr hier bleiben?", frage ich sie höflich.

"Ja, ich glaube, das ist besser.", meint Palina kontrolliert und wirft Beatrix einen Blick zu, die nur stumm nickt. Bei Beatrix bin ich mir nicht sicher, aber Palina ist ja bei ihr. Ich sehe zu den Wachen und sie führen mich durch das Gefolge, bis sie vor einem recht attraktiven Mann stehenbleiben.

"Das ist er, Lady Istriana.", sagt einer der Wachen und sie ziehen sich ein paar Schritte zurück. Der junge Mann grinst mich charmant an, aber ich bleibe unbeeindruckt. "Sie sollen sich hier auskennen, stimmt das?", will ich wissen. "Da liegen Sie vollkommen richtig.", antwortet er immer noch mit einem selbstsicheren Grinsen in seinem markanten Gesicht.

"Sehr schön, dann können Sie mir bestimmt sagen, ob es hier eine Unterkunft gibt.", meine ich ruhig, auch wenn mich seine Mimik stört. Mehr als eine nervige Fliege in einem Zimmer. "Hier?", er lacht auf und ich sehe ihn ungeduldig an. "Also, nein?", sage ich und überlege, ob wir die Materialen hätten, um hier ein Lager aufzuschlagen.

"Hier finden Sie nichts als ein paar arme Bauern. Das nächste Gasthaus ist über eine Stunde entfernt und wäre auch zu klein für eine solche Menge an Menschen.", fügt er nachdenklich hinzu.

"Dann dürfen wir eine Nacht im Freien verbringen.", meine ich höchst erfreut und stelle mir vor, wie ich heute Nacht auf einem trockenen Boden schlafen muss. Wenn ich nur an die ganzen Krabbeltiere hier draußen denke, schüttelt es mich.

"Da schläft wohl jemand nicht so gerne unter dem Himmelszelt.", stellt er amüsiert fest. "Das ist kein Grund, über mich zu lachen. Wer sind Sie eigentlich? Müsste ich Sie kennen?", lenke ich von der bevorstehenden Nacht ab. "Ich, Lady Istriana, bin Henry, einer Ihrer Kämpfer. Womöglich einer der besten.", stellt er sich selbstbewusst vor.

"Da scheinen Sie ja ziemlich überzeugt von sich zu sein.", meine ich kritisch und fange an zu grübeln. Habe ich meine eigenen Kämpfer oder ist er ein Kämpfer für Aramis? Und wo bleibt der eigentlich?

"Hätten Sie vielleicht die Güte und würden mir helfen, das Lager aufbauen zu lassen?", fordere ich mehr, als dass ich frage, und sehe ihn abwartend an. "Dieses Angebot kann ich doch nicht verneinen."

"Dann lasst uns das Lager aufbauen.", meine ich euphorisch.

GoldsternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt