KAPITEL 4

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"Aufstehen, Lady Rose", flüstert Ava und rüttelt sanft an meiner Schulter. Ich hingegen drehe mich grummelnd um und vergrabe meinen Kopf in dem weißen, weichen Leinenkissen. "Ich werde schon mal ihr Bad einlassen", meint Ava und geht in das anliegende Badezimmer.

Derweil richte ich mich langsam auf und streiche mir die Haare aus dem Gesicht. Auf meinem Nachttisch steht ein Glas Wasser und ein Teller mit Obst, von dem ich mir einen frischen Apfel angle und in ihn beiße. Er schmeckt lecker und lässt mein unangenehmes Magenknurren verschwinden.

Mit dem Apfel in der Hand stehe ich auf und laufe zum Fenster, dessen Vorhänge leicht im Wind wehen, da es bereits von Ava geöffnet wurde und mir die Chance gibt, die morgendliche Luft einzuatmen. Meine Kopfschmerzen von gestern Abend sind auch wie weggeblasen.

„Das Bad ist eingelassen." Ich nicke Ava zu und folge ihr ins Badezimmer. Dort entkleide ich mich, steige in die Wanne und entspanne mich ein wenig, während Ava meine Kleider für den Tag vorbereitet. Ich werde sie bestimmt sehr vermissen.

Ava ist so ruhig und still. Ich mag keine Zofen, die immer mit mir reden wollen oder irgendetwas von ihrem Stallburschen erzählen, darum ist Ava ein echter Glücksgriff für mich.

„Lady Rose, Lord Istriana ist vor der Tür und bittet um ein Gespräch", ruft Ava plötzlich und kommt zu mir in das Badezimmer. Mir entfährt ein kleiner Schrei, dann halte ich verunsichert meine Hände vor meinen Mund.

„Du bist die Beste, Ava", murmele ich dankbar und steige aus der Wanne.

Mein Morgenmantel liegt, wie Ava bereits sagte, auf einem kleinen Hocker neben der Badewanne. Ich trockne mich unordentlich ab und ziehe mir den Morgenmantel an. Ich mache mit der rosafarbenen Kordel vorne eine feste Schleife, damit auch nichts verrutscht.

Ich höre, wie sich Stimmen dem Badezimmer nähern, und fahre mir noch geschwind durch mein nasses Haar. Erleichtert stelle ich fest, dass es nur Ava ist.

"Der Lord wartet in ihrem Gemach. Er möchte mit ihnen über die Weiterreise in den Norden sprechen", sagt sie und rubbelt meine Haare notdürftig trocken. Erleichtert atme ich tief aus und verkrafte erstmal den kurzen Schrecken.

Ich nicke und laufe aus dem Badezimmer in mein Gemach, wo der Lord auf einem Stuhl sitzt und sich mein Zimmer ansieht.

"Guten Morgen, sie wollten mit mir über die Reise sprechen?", begrüße ich ihn und trete zu ihm. Er steht augenblicklich auf, mustert mich erst einmal gründlich und fängt dann müde zu reden an.

"Wir werden gleich nach dem Frühstück aufbrechen, damit wir so schnell wie möglich in den Norden kommen. Die Reise wird ein paar Wochen dauern; vielleicht auch etwas länger. Das kommt darauf an, wie schnell wir vorankommen. Genau aus diesem Grund bin ich auch hier. Um schnell und möglichst unabhängig zu sein, reise ich allgemein immer ohne Kutschen, weshalb ich wissen wollte, ob Sie auch über solch lange Strecken reiten können. Ich würde nämlich nur sehr ungern eine Kutsche mitnehmen."

Ich nicke und antworte zurückhaltend: "Ich kann auch längere Strecken ohne Probleme reiten." Auf keinen Fall will ich für ein Problem werden. Das gehört unter gar keinen Umständen zu meiner Rolle als Ehefrau. Auch wenn eine leise Stimme in mir sagt: „Eine Kutsche wäre das eigentliche Angemessene."

"Sehr gut.", seufzt er und fährt sich gestresst durch sein glänzendes, dunkelblondes Haar. "Geht es Ihnen gut, Lord Istriana?", frage ich besorgt und trete etwas näher. "Mir geht es blendend. Achten Sie lieber darauf, dass Sie sich schnell fertigmachen.", grummelt er und schaut mich böse an. Ich will ihm gerade noch etwas sagen, doch da ist er schon wieder draußen.

"Ava, bitte bring mir mein grünes Wildlederkleid mit den braunen Stiefeln.", befehle ich und setze mich nachdenklich an den Frisiertisch, der schon mit einigen Kosmetikartikeln bestückt ist. "Ich bringe es Ihnen sofort.", antwortet sie und sucht im Kleiderschrank nach der gewünschten Bekleidung.

Zu gern würde ich wissen, warum der Lord so unfreundlich zu mir war. Gestern war er noch so fürsorglich – und jetzt? Vermutlich kenne ich ihn noch nicht lang genug, um über sein Verhalten urteilen zu können.

"Lady Rose, ihre gewünschten Kleider.", ruft Ava mich aus meinen Gedanken, woraufhin ich mich zu ihr umdrehe und widerspruchslos nicke, sodass Ava mich vollständig einkleiden und frisieren kann.

Fertig gerichtet mache ich mich auf den Weg zum Frühstück, doch da ich etwas zu spät bin, muss ich durch die Gänge zum Saal rennen, weshalb mir die Wachen nur verdutzt nachschauen. Vor dem Saal bremse ich mich und lasse mir die Türe von den Dienern öffnen.

Meine Familie und der Lord mit seinen wichtigen Beratern sitzen schon alle drinnen und richten nun ihre Aufmerksamkeit auf mich, woraufhin ich schnell knickse und zu dem freien Platz neben dem Lord husche.

Er würdigt mich keines Blickes, als ich mich hinsetze. Sobald ich mich niederlasse, reden auch zum Glück wieder alle. Alles andere wäre mir auch sehr unangenehm gewesen. Der Lord unterhält sich mit meinem Bruder und ich sitze stumm mit meinem Glas Orangensaft da.

Meine Mutter kümmert sich um meine Geschwister, ganz die perfekte Ehegattin. Ob ich mich wohl auch eines Tages um die Kinder sorgen muss, während mein Mann sich um Wichtigeres kümmert?

Ich finde die Vorstellung von eigenen Kindern wunderbar, da ich meine Geschwister liebe, doch ich hätte nicht die Lust, mich jederzeit um meine Kinder zu kümmern. Dazu sind die Kindermädchen da, ich will lieber hören, über was die Männer sprechen. Es ist so viel interessanter, als immerzu nach den Kindern zu schauen.

"Lady Rose, würden sie mir bitte den Brotkorb reichen?", tönt Lord Istriana und sieht mich flüchtig an. "Natürlich.", entgegne ich und reiche ihm wortlos den Brotkorb.

Er nimmt ihn ohne ein Wort des Dankes entgegen. Ich fühle mich wie eine Magd, der man keine Beachtung schenkt, obwohl ich doch von ihm beachtet werden wollte. 

Während des restlichen Frühstückes verhalte ich mich recht ruhig und bin in meine Gedanken versunken; auch bei der Verabschiedung bleibe ich still und verzichte auf großes Weinen oder sonstiges.

Dazu bin ich nicht in der Stimmung, obwohl ich fast geweint habe, als ich meine kleinste Schwester Esther im Arm gehalten habe. Dann habe ich mich aber zusammengerissen und Esther schnell wieder meiner Mutter gegeben, ohne unfreundlich zu wirken.

So schnell wird man vom Kind zur Erwachsenen.

GoldsternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt