KAPITEL 26

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Zwei Tage nach Quirins nicht vollzogener Hinrichtung brechen Aramis und ich heute mit Gefolge nach Nordstern auf. Clemens hat uns noch länger hierbehalten wollen, aber Aramis zieht es in seine Heimat zurück.

Mir gefällt es hier am Königshof mittlerweile recht gut. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, bald im Norden zu leben, und sobald ich einmal dort ankomme, werde ich nie wieder rauskommen. Für immer im Norden verdammt.

Palina hat mich heute Morgen zum letzten Mal fertiggemacht. Es ist irgendwie ein komisches Gefühl, sie jetzt schon wieder zu verlassen. Und auch Beatrix, meine Hofdame hier am Hofe, vermisse ich bereits.

Am liebsten hätte ich alle beide mitgenommen, aber sie gehören an den Königshof und ich werde sie nicht zwingen, mit mir zu gehen, auch wenn ich das könnte. Ich bin immerhin noch ein Mensch mit Herz.

"Rose, kommst du?", will Aramis wissen und dreht sich zu mir um. Bei dieser Reise werde ich in der Kutsche reisen, da Aramis es mir so angenehm wie möglich gestalten will. Ich war sehr überrascht, da ich dachte, dass wir wieder mit den Pferden reisen werden, aber wir haben dieses Mal vermutlich auch keinen so großen Zeitdruck.

"Ich komme!", rufe ich ihm zu und sehe mir noch ein letztes Mal das wunderschöne Schloss an. Ich werde es vermissen, ob ich möchte oder nicht.

Ich folge Aramis zur Kutsche, wo ich mir von der Wache, die dort steht, hineinhelfen lasse und einen kleinen Freudenschrei ausstoße, als ich Beatrix und Palina drinnen sitzen sehe. "Ihr reist mit? Und das erfahre ich erst jetzt?", rege ich mich gespielt darüber auf und schlage die Hände vor meinem Mund zusammen.

"Und? Ist mir die Überraschung gelungen, Rose?", will Aramis neugierig wissen und steckt seinen Kopf in das Innere hinein. "Ja, das ist sie.", antworte ich glücklich und gebe ihm einen Kuss. 

Fröhlich setze ich mich neben Beatrix und lehne mich entspannt und fröhlich zurück. Das gesamte Innere der Kutsche ist mit dunkelrotem Samt verkleidet und die Vorhänge an den Fenstern sind aus goldenen Borten.

"Wie fühlt es sich an, in die neue Heimat zu reisen?", will Beatrix wissen. "Das Gleiche könnte ich euch auch fragen.", entgegne ich gewitzt.

Palina lacht auf und widmet sich wieder ihren Stickereien. Beatrix stattdessen schwärmt mir vor, wie schön es im Norden sein muss und wie sehr sie sich freut, endlich auch in den Norden zu kommen.

Plötzlich setzt sich die Kutsche in Bewegung und innerlich mache ich einen Freudensprung. Jetzt geht es los, meine Reise in mein neues Leben. Auch Beatrix sieht gespannt aus dem Fenster. Draußen stehen überall Wachen und halten die Nordsterns Flagge hoch.

In mir kommt ein völlig neues Gefühl auf: Stolz. Es erfüllt mich mit Stolz, bald offiziell aus Nordstern zu sein. Das Volk aus dem Norden war mir immer fremd und erschien mir unwichtig, aber je mehr Zeit ich mit Leuten von dort verbracht habe, desto stärker hat sich meine Meinung von ihnen zum Guten gewandelt.

"Woher kommt ihr eigentlich?", frage ich die beiden interessiert und sehe sie abwartend an.

"Ich komme aus dem Osten.", antwortet Palina, "Recht nahe zum Westen. Ich bin an der Grenze aufgewachsen." Ich nicke, im Osten bin ich auch noch nie gewesen. Ich weiß lediglich, dass Lord Hellam dort keine gerechten Spiele mit seinem Volk spielt. Ob Palina wohl deswegen nach Goldstern gegangen ist?

"Ich bin in Goldstern aufgewachsen. Mitten in der Stadt, da meine Eltern beide bereits für den Königshof gearbeitet haben. Ich trete sozusagen in ihre Fußstapfen.", erzählt Beatrix freudig. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass Beatrix immer fröhlich ist.

"Wie war deine Kindheit?", will Beatrix neugierig wissen. Ich sehe sie an, ziehe eine Augenbraue in die Höhe und meine: "Willst du das wirklich wissen?" Beatrix lacht und erwidert: "Natürlich, Rose." Und auch Palinas Interesse scheine ich geweckt zu haben.

"Also", beginne ich wie eine betagte Geschichtenerzählerin. "Es war furchtbar anstrengend. Von klein auf wurden mir die verschiedensten Sprachen oder die Etikette beigebracht. Viel Zeit zum Spielen blieb da meistens nicht. Später lernte ich dann auch noch andere Dinge, wie zum Beispiel das Sticken, was ich bis heute noch nicht beherrsche."

Damit bringe ich die beiden zum Lachen. "Hast du auch gelernt zu kämpfen?", will Beatrix wissen

Ich nicke und schwelge in Erinnerungen. Das Kämpfen habe ich immer am meisten gemocht, denn ich habe endlich mal keine langen Kleider tragen oder meine Mutter zum Sticken begleiten müssen.

Ich konnte Bogen schießen, den Nahkampf und auch den Schwertkampf. Zwar ist meine Mutter davon nie begeistert, aber mein Vater wollte, dass alle seine Kinder kämpfen können. Egal ob Junge oder Mädchen, meinte er immer. Wichtig ist, dass man sich verteidigen kann.

"Dein Vater muss ein toller Mensch sein.", meint Beatrix bewundernd. Palina sagt nichts dazu, aber sie ist immer recht schweigsam bei Gesprächen, was mich sehr an Ava erinnert. Vielleicht habe ich Palina deswegen so schnell in mein Herz geschlossen.

"Daher kanntest du Quirin, nicht wahr?", spricht sie das totgeschwiegene Thema an. Seit seiner eigentlichen Hinrichtung, welche dann doch keine war, ist Quirin überall ein nicht existierender Mensch. Vielleicht will Aramis ihn damit verletzten.

Muss es nicht schlimm sein, wenn sich keiner um dich kümmert? Sich an dich erinnern kann? Du bist wie Luft. Ich will, dass man sich später man mich erinnern wird. 

Es ist mir egal, ob ich als schreckliche Ehefrau von Aramis in die Geschichte eingehe oder als Lady der Herzen. Solange man sich an mich erinnert, ist es mir egal. Obwohl man Quirin nicht vergessen wird, man spricht nur nicht über ihn.

"Ja, ich habe mit ihm das Kämpfen gelernt.", beantworte ich ihre Frage kalt.

Dabei sollte ich eigentlich diejenige sein, die offen darüber spricht. Beatrix scheint das nicht zu stören, denn sie plappert schon wieder wild weiter. Ich höre ihr zu und sehe gleichzeitig aus dem Fenster. Hin und wieder werfen Palina und ich etwas in die Unterhaltung ein, aber Beatrix unterhält uns hauptsächlich.

Die Landschaft draußen fliegt förmlich an uns vorbei. Wir können sie gar nicht richtig wahrnehmen, selbst wenn wir uns noch so sehr anstrengen. Ich wünsche mir, eines Tages durch das ganze Königreich zu reisen, um die Bevölkerung näher kennenzulernen.

Schließlich sind das die Menschen, die ein Königreich ausmachen. Ohne das Volk wären wir nichts. Wir sind abhängig von dem Volk. Sie könnten auch ohne uns, aber wir nicht ohne sie.

Und dabei werden wir immer als die Größeren dargestellt, obwohl wir die Kleineren sind.

GoldsternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt