five

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Woher kam sie? Was machte sie hier? Ich wusste es nicht. Es war das erste Mal, dass sich mein Traum, der viel mehr eine Erinnerung an den schlimmsten Tag meines Lebens war, veränderte. War es mein Verstand der mir einen bösen Streich spielte? Mein Unterbewusstsein, das mich daran erinnerte, dass es womöglich irgendwo tatsächlich die eine für mich bestimmte Gefährtin gab, dass es noch nicht an der Zeit war aufzugeben und meinem unsterblichen Leben ein Ende zu setzen? Oder war es die Art meines Verstandes mir zu vermitteln, dass ich meine Gefährtin in eben dieser Schlacht verloren hatte, bevor ich ihr überhaupt erst begegnet war?

All diese Überlegungen waren irrelevant, zumindest für diesen Moment. Es spielte keine Rolle. Ich musste sie beschützen. Der Drang in mir war so stark, so überwältigend, als wäre dies echt und würde nicht nur in meinem Kopf vonstatten gehen. Als wäre dies Schlacht nicht schon längst vergangen. In einem Moment noch wollte ich sie töten, weil sie es wagte Nicolas zu berühren, im nächsten erkannte alles in mir, in ihr, die mir vorher bestimmte Gefährtin. „Was hast du vor, Lykae?" fauchte sie mit der Stimme eines Engels. Sie klang einen kurzen Moment unsicher, wirkte absolut nicht so draufgängerisch wie es für die Walküren üblich war. Vorsicht und Misstrauen, klangen aus ihrer Stimme heraus. Ich knurrte, es gefiel mir nicht das meine Gefährtin mir nicht ihr Vertrauen schenkte. Traum oder Realität hin oder her. So sollte es nicht sein. „Ich bringe dich in Sicherheit!" erklärte ich ihr, ziemlich kurz angebunden. Ich war noch nie ein Mann der großen Worte. Das sie nicht wirklich in Gefahr war, weil diese Schlacht fast ein Jahrtausend her war und die meisten der Kämpfer nur noch eine Erinnerung in meinen Träumen war, spielte keine Rolle. Egal wie oft ich es mir selbst in meinem Kopf sagte, es änderte nichts. Es war ein innerer Zwang auf sie aufzupassen und sie in Sicherheit zu wissen. Und dieser Zwang war größer als jede Vernunft. Während ich sie vom Schlachtfeld forttrug, spürte ich wie sich die Szene änderte. NEIN, dachte ich erneut, flehentlich. Ich wollte mich nicht wieder dieser Gewissheit stellen. Nicht noch das. Nicht och einmal, nicht schon wieder. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, die sich gerade erst wieder beruhigt hatte. Für einen Moment hatte ich schon gar nicht mehr an das gedacht, was jetzt passieren würde. Mit der gleichen Handbewegung wie jedes Mal schlug ich die dunkle Zeltplane zur Seite, betrat mit ihr über der Schultern und angespannten Gesichtsausdruck das Zelt. Meine Füße stoppten von ganz allein als mein Blick auf das Gesicht fiel, dass mir jeden Morgen im Spiegel entgegen blickte. Nur den kleinen Schönheitsfleck über der linken Oberlippe hatte Luca nicht gehabt. Schmerz durchzuckte mich wie ein glühendes Schwert, Übelkeit stieg in mir auf, Verzweiflung. Wie der Wolf, der ich in meinem Herzen war, wollte ich meinen Schmerz heraus heulen. Die Walküre verrenkte sich auf meinen Schultern, um zusehen was mich so erstarren ließ. „Oh mein Gott!" stieß sie hervor, als sie den Toten sah. „Was haben sie dir in dieser Nacht nur angetan?" Flüsterte sie entsetzt, mehr zu sich selbst als zu mir. Langsam ließ ich sie herunter gleiten, presste sie aber instinktiv dicht an meine Seite. Auch wenn ich wusste, was ich sehen würde, trat ich an den Tisch auf den er aufgebahrt lag. Die Walküre folgte mir. Als sie die aufgerissene Brust sah, in der das Herz fehlte, fauchte sie wütend auf. Ein Blitz schlug neben dem Zelt ein, der Donner war ohrenbetäubend. Dicht presste ich sie an mich, als ich begriff, dass sie mit mir litt. Ich wollte ihr das nicht antun, wollte nicht dass sie es sah. Sie sollte kein Leid sehen und erfahren, selbst wenn es nur mein Traum war.

„Oh ihr Götter, warum seid ihr so grausam?" fragte sie. Der nächste Blitz ging in der Nähe nieder. „Ich wünschte ich hätte noch viel mehr von diesen elenden Kreaturen damals getötet." Murmelte sie vor sich hin und strich mir mit einer Hand sanft über die Brust. Eine Geste, die mir zeigen sollte, dass ich nicht allein war. Mit einer Hand presste ich sie an meine Brust und vergrub mein Gesicht in ihrem Haar. Ihre Wortwahl ließ mich stutzen. Die Schlacht war noch nicht vorbei, sie hatte gerade erst angefangen. Zumindest aus der Sicht der Walküre. Fast eine Woche hatten sich erst nur Vampire und Lykae bekriegt. Es hatte ein paar Tage gedauert ehe die Walküren und Elfen angereist waren, aber auch sie hatten sich auf Seiten der Lykae ins Getümmel gestürzt. Am Ende der Schlacht waren beide Rassen nahezu ausgelöscht, denn die Vampire liebten das Blut der Elfen und Walküren.

Aber Nicolas und Luca waren am dritten Tag gestorben, das hieß, die Walküre konnte noch gar nicht hier sein und sie sollte erst recht nicht in der Vergangenheitsform über eine Schlacht sprechen, die aus ihrer Sicht noch nicht einmal richtig angefangen hatte.

„Wie meinst du das?" fragte ich also nach. Ich brauchte Gewissheit und war mir nicht im Geringsten sicher, dass ich sie bekommen würde. Mein Verstand konnte im Traum schließlich alles drehen und wenden wie er wollte. Würde ich es mitbekommen?

„Genauso wie ich es gesagt habe." Erwiderte sie zu mir aufschauend, ihr Gesicht grimmig, während das Wissen in ihren Augen mir verriet, dass sie alt war. „Ich hätte noch mehr von diesen Kreaturen töten sollen." Dann riss sie die Augen auf. Sie schien den Fehler selbst zu bemerken. Hastig löste sie sich von mir und trat zurück. Ich knurrte und schritt auf sie zu. Abwehrend hob sie die Hände. Konzentriert starrte sie mich an. Ihr Verstand schien zu überlegen, suchte fieberhaft nach einer Lösung. „Das ist nur ein Traum!" sagte sie dann. „Nur ein Traum!" klangen ihre Worte in meinen Ohren nach als sie sich vor meinen Augen auflöste. Ebenso wie die ganze Szene.

Dann schlug ich die Augen auf. Heftig atmend setzte ich mich in meinem Bett auf. Eine drückende Last lag auf meiner Brust. Eigentlich nichts Neues. Ich spürte jedes Mal den Verlust meiner Brüder als wäre es erst gerade eben passiert, wenn ich aus diesem Traum erwachte. Doch dieses Mal waren es nicht meine Brüder, es war der Verlust meiner Seelengefährtin, die ich in meinen Träumen fantasiert hatte, der mich nun belastete. Für einen Moment schien sie so real. Greifbar. Es war ein unglaubliches Gefühl. Eine Hoffnung, die mein kaltes Herz erwärmte. Das Bedürfnis bei ihr zu sein, sie beschützen zu wollen, einfach nur ihre Nähe spüren zu wollen, war so stark gewesen, dass es selbst jetzt noch da war. Der Gedanke, dass alles nur ein Traum gewesen sein sollte, riss mich in ein noch tieferes Loch als ohnehin schon. Ich wollte nicht mehr ohne diese Gefühle leben. Ich wollte dieses Leben nicht mehr ohne meine Seelengefährtin fristen. Vielleicht war es genau jetzt an der Zeit zu gehen.

In Gedanken wandte ich meinem Blick dem Fenster zu, während ich noch einmal genau den Traum durchging. Was hatte mir mein Unterbewusstsein nur sagen wollen? Hatte es etwas wahrgenommen, dass ich übersehen hatte oder war es nur ein kleiner Teil von mir gewesen, der Angst davor hatte diesem Leben ein Ende zu setzten?

Ein Blitz durchzuckte den Finsteren Nachthimmel, durchschnitt somit meine Gedanken und erhellte für einen Moment mein Zimmer. Drei Sekunden später folgte der Donner. Sofort folgte der nächste Blitz.

Ungläubig starrte ich in den sonst klaren Himmel. Es war weder stürmisch, noch nass. Die Luft war auch nicht Schwül oder ähnliches. Konnte es sein...? Nein! Konnte es sein, dass es die Blitze einer Walküre waren? Der Walküre aus meinen Träumen, meiner Walküre?! Schier unmöglich. Trotzdem regneten die Blitze noch eine ganze Weile nieder. Alle in der Nähe. Aber die Abstände zwischen ihnen wurden immer größer bis sie gänzlich verschwanden. Fasziniert beobachte ich sie. Ein breites Grinsen, wie schon lange nicht mehr, schlich sich auf meine Lippen. Ich hatte nie an Zufall geglaubt, aber an Schicksal. Entschlossen schwang ich die Beine aus dem Bett und stand auf. Ich hatte viel vor. Immerhin musste ich meine Gefährtin finden, die scheinbar nicht gefunden werden wollte, wenn ich ihre Worte in meinem Traum richtig interpretierte. So ein Pech aber auch, das ich keine Ruhe geben würde bis ich sie nicht nur in meinem Träumen in den Armen hielt.

[01] TraumtänzerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt