-Anja-
"Pass auf, nicht das du stolperst!" Neckte ich ihn und stieß ihn mit aller Kraft am Arm zur Seite. Er hatte keine Chance. Von meinen Worten abgelenkt, sah Sebastian zu mir und erwartete den Angriff nicht. Er stolperte die zwei Schritte zur Seite und stürzte somit über den Rand der steilabfallenden Felswand. "Vivien!" Rief er im freien Fall und es klang wie ein Schimpfwort. Manchmal war ich aber auch ein boshaftes Miststück, gestand ich mir selbst ein. Lachend blieb ich stehen und beobachtete wie der Lykae mit einem lauten Platschen in das klare Wasser eintauchte.
Doch das Lachen verging mir schnell als er nicht wieder auftauchte. War der Aufprall auf der Wasseroberfläche zu hart gewesen, sodass er sich verletzt hatte und jetzt gerade ertrank?
Ich wusste, dass das Wasser an der Stelle tief genug war. Immerhin hatte ich den Lykae nicht verletzen, sondern nur eine kleine Abkühlung verpassen wollen.
Ohne noch weiter zu überlegen, sprang ich ihm vollbekleidet hinterher. Die Luft anhaltend, tauchte ich in das kühle Nass ein und sah mich suchend nach rechts und links um. Durch die Wasserblässchen die mein plötzliches Eindringen in die blauen Massen verursachten, sah ich erst einmal nichts. Unruhig versuchte ich seine dunkle Gestalt auszumachen. Erfolglos.
Gerade als ich mich umdrehen wollte, packten mich von hinten an der Taille große Hände. Vor Schreck öffnete ich den Mund zu einem Schrei und schluckte ordentlich Wasser. Das Gefühl zu ersticken setzte sofort ein und ganz automatisch ruderte ich mit den Armen und strampelte mit den Füßen, um die Wasseroberfläche zu erreichen. Die Hände lösten sich von meiner Taille, dafür schlang sich ein kräftiger Arm um mich und zog mich nach oben. Halt suchend klammerte ich mich an seiner Schulter fest und ruderte mit einem Arm ebenfalls mit. Sobald wir die Wasserdecke durchbrachen, hustete ich das Wasser aus und versuchte gleichzeitig Luft zu bekommen. Die Hand, die in großen Kreisen über meinen Rücken rieb, registrierte ich kaum. Mit der anderen hielt Sebastian mich fest.
"Idiot." Presste ich heraus, sobald ich wieder halbwegs reden konnte und ließ meine Stirn schlapp auf seine Schulter sinken.
"Tut mir wirklich leid, Kleine." Ich hörte die Reue und Schuldgefühle in seiner Stimme. Es versetzte mir einen kleinen Stich. Ich war schließlich selbst dran Schuld, immerhin hatte ich damit angefangen. Also durfte ich mich nicht beschweren, wenn er mitmachte. "Muss es nicht." Murmelte ich und hustete noch mal kurz auf. Warm in dem kalten Wasser spürte ich seine Hand, die mich an der Taille festhielt und die andere Hand, die immer wieder über meine nassen Haare strich. Ich spürte wie er die Beine bewegte damit wir beide oben blieben.
"Nein, das hätte..."
"Es ist okay, Seb. Du hast ja nicht ahnen könne, dass ich so dämlich bin und den Mund aufreiße." Unterbrach ich ihn. Den einen Arm legte ich um seinen Nacken um besseren Halt zu haben, als ich mich zurücklehnte, um in sein Gesicht blicken zu können. Noch immer fühlte ich mich ein wenig schwach und mein Hals kratzte unangenehm. "Es geht mir gut, wirklich. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn du uns hier rausbringst." Versicherte ich ihm.Es passierte jedes Mal erneut wenn ich es wagte in seine Augen zu sehen, ich versank darin. Und mit jedem weiteren Mal hatte ich das Gefühl tiefer zu fallen. Ich konnte es nicht bestreiten, aber der Lykae ging mir unter die Haut. Jeden Morgen holte er mich bei meiner Wohnung ab und brachte mich abends zurück. Mittags lud er mich meist zum Essen ein, was aber noch lange nicht hieß, dass er immer zahlen durfte. Es war zu einem kleinen Wettstreit geworden, wer schneller beim Zahlen war oder den anderen so geschickt ablenkte, dass er es einfach vergaß. Zwei Mal waren wir danach noch in den Park gegangen und hatten das schöne Wetter genossen. Es war erstaunlich leicht mit Sebastian zu reden. Er war sehr ernst und von Natur aus verschlossener als ich, aber wenn er dann doch einmal aus sich heraus kam, war ich immer wieder auf's Neue fasziniert. Es war erstaunlich wie viel Wissen, er sich in seinem Leben schon angeeignet hatte und wie breit gefächert seine Interessen waren. Ich fand es unheimlich sexy, dass er in nahezu jeden Thema, dass ich anschnitt mitreden konnte und eine Meinung hatte, die auch mal nicht mit meiner übereinstimmte. Das einzige Manko bei Sebastian war die neuere Technologie. Smartphone, Fernseher, Computer und ähnliches. Noch hatte ich nicht ganz verstanden weshalb er solche eine Abneigung dagegen hegte, aber ich war überzeugt seine Meinung dabei ändern zu können.
"Schling die Beine um meine Hüfte und halt dich an meinem Nacken fest." Befahl er mir. Gehorsam wie ich nun mal war, nein eigentlich nicht, aber dieses Mal tat ich zumindest was er von mir verlangte. Mit kräftigen Bewegungen brachte er uns beide dem festen Boden wieder näher. "Du solltest vorsichtig sein, da vorn kommen auf einmal irgendwelche Felsen und die sind relativ scharfkantig." Warnte ich ihn. Vor einigen Wochen hatte ich diesen Steinbruch entdeckt und kam nun öfters zum schwimmen her.
Stumm trug er mich aus dem Wasser und stellte mich dann nach einigen Schritten auf dem festen Boden wieder ab. Ein kleiner Seufzer der Erleichterung löste sich aus meiner Brust. Ich hätte in dem See nicht sterben können. Zumindest nicht für immer, da mein Körper den Schaden wieder repariert hätte. Aber ich hasste solche Nahtoderfahrungen, sodass ich ziemlich froh war, wieder an Land zu sein und vorerst nicht ertrinken zu können.
"Handtücher wären jetzt eine gute Sache!" stellte ich fest und ließ meinen Blick über Sebastian gleiten. Ich hatte schon vorher gewusst, dass er gut gebaut war. Seine Muskeln, die Kraft und die Selbstsicherheit, die er ausstrahlte waren unmöglich zu übersehen. Aber jetzt, da sein dunkles einfaches T-Shirt an seinem Oberkörper klebte, konnte ich nur zu gut sehen, dass der Lykae sogar den Ansatz des berühmt berüchtigten Waschbettbauches hatte. Nicht zu übertrieben, mehr nur so eine Andeutung und es gefiel mir, sowie mir alles an ihm gefiel. Ich fragte mich wirklich, ob die Götter mich foltern wollten, in dem sie mir solch ein Prachtstück vor die Nase gesetzt hatten.
"Das hättest du dir vielleicht überlegen sollen, bevor du mich darein schubst!" seine Mundwinkel zuckten kurz nach oben, doch in seinen Augen stand noch immer die Sorge. Ich verstand einfach nicht, warum er die ganze Zeit so ... fürsorglich und aufmerksam war. Damit machte er es mir zusätzlich schwer die Finger von ihm zulassen. Was war begehrenswerter als ein heißer, unwiderstehlich und auch noch unsterblicher Mann, der einen seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte und so beschützerisch wie der Lykae war? Nichts. Ich konnte mir nichts Besseres vorstellen. Und trotzdem hatte ich geschworen, nicht mit ihm zu schlafen und die Götter wussten, dass ich es wollte. Am Anfang hatte ich darüber auch nachgedacht, doch jetzt nach etwas mehr als einer Woche, war er mir zu wichtig als das ich ihn dafür verlieren wollte. Ich mochte seine ernste Art, die wache Intelligenz und seinen versteckten Humor. Kurzum ich genoss seine Gesellschaft und diese war mir wesentlich mehr Wert als ein paar leidenschaftliche Nächte.
"Eigentlich solltest nur du baden gehen!" gab ich offen und ehrlich zu, dabei warf ich auch einen Blick auf mich hinab. Meine Sportkleidung lag ebenfalls wie eine zweite Haut an und betonte meine Kurven sehr gut. Kein Wunder, dass Sebastians Blick immer wieder nach unten wanderte. Wir spürten beide die Funken zwischen uns sprühen, doch ebenso wie ich machte Sebastian keinen Schritt in diese Richtung auf mich zu. Ihm schien diese Freundschaft, die sich zwischen uns entwickelte genauso viel zu bedeuten wie mir.
"Ich hab dich nicht geschubst!" betonte er, seine Augen funkelten belustigt. Ich schnaubte. Wir wussten beide, dass er extra nicht aufgetaucht war, damit ich ihm hinterher sprang. Und es hatte ja auch wunderbar geklappt.
Uns gegenseitig neckend und frotzelnd setzten wir den Lauf fort. Ich hatte ihn gefragt, ob er mit mir joggen wollte und er hatte nur zu gern zu gesagt. Mühelos hielt er in Ausdauer und Tempo mit mir mit. Ich war nicht überrascht. Er war ein Lykae. In seinem Inneren verbarg sich ein Wolf, ja sogar ein Schattenwolf, wenn ich mit meiner Vermutung richtig lag. Das Rennen lag ihm einfach im Blut.
Fünf Kilometer später war unsere Kleidung bereits wieder trocken und erneut verschwitzt. Sebastian und ich standen vor den Neubaugebäude in dem ich meine Wohnung hatte.
"Willst du mit hochkommen?" Fragte ich ganz unvermittelt und überraschte mit diesem Angebot nicht nur ihn.
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Na, wer ist noch überrascht?
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[01] Traumtänzerin
Manusia SerigalaAnja ist eine Walküre. Eine der wenigen, die es auf dieser Welt noch gibt. Sie hat eine einzigartige Gabe mit deren Hilfe sie Nachts durch die Träume der Menschen wandelt. Aber eines Nachts erscheint sie in den Träumen von Sebastian. Einem Werwolf...