-Anja-Juliet und ich liefen eine dunkle Gasse entlang. In den Hauseingängen und unter den Torbögen verbargen sich zwielichtige Gestalten. Wir waren spät dran, die Sonne war schon vor fast einer Stunde hinter dem Horizont verschwunden. Keine Frau sollte zu solch einer Zeit diese Gassen passieren. Dennoch waren Juliet und ich unbesorgt. Wir waren Walküren, die Männer waren uns weit unterlegen. Allerdings versuchten wir einen Konflikt zu vermeiden, in dem wir unsere Körper und Gesichter mit bodenlangen Kapuzenmänteln umhüllten.
„Ich hasse den Gestank!", murmelte ich in den Stoff meiner Kapuze hinein und rümpfte meine Nase. Es stank nach verschwitzten Menschen, Fäkalien und sämtlichen verschiedenen Tierrassen. Zwar war von den Tieren, die sich den gesamten Tag über in diese engen Gassen gedrängt hatten, nichts mehr zu sehen, aber ihre Hinterlassenschaften und ihr Geruch blieben. Zwielichtige Gestalten huschten an uns vorbei, jedoch achteten sie nicht weiter auf uns.
„Ich hasse alles in den Städten.", erwiderte Juliet ebenso leise wie ich zuvor.
Zustimmend nickte ich. „Du hast Recht, es wird Zeit, dass wir nachhause kommen!"
„Ja, das wird es!" Da war dieses leise Seufzen vor dem ja, welches mich aufhorchen ließ. Besorgt warf ich einen Blick zur Seite auf meine Begleiterin. Ging es ihr vielleicht schlechter als gedacht. Erst vor knapp zwei Tagen hatte Juliet einen Zusammenstoß mit mehreren Vampiren gehabt. Früh morgens wollte sie für uns Wasser holen, als die Vampire sie trotz des Sonnenlichtes angriffen. Nur ihre Schmerzensschreie hatten mich aus meinem Schlaf gerissen und mich zu ihr eilen lassen. Gerade noch rechtzeitig, sonst hätte einer der Vampire sie in zwei geteilt.
Juliet spürte meinen Blick und sah mich an. Einen Moment trafen die wiesengrünen Augen meiner Herzensschwester auf mich. In ihnen erkannte ich eine Entschlossenheit und Kraft die mich meine Zweifel über Bord werfen ließ.
Wir würden den letzten Teil unserer Mission schaffen und dann zurück in unsere Heimat kehren. In das Schloss der Walküren. Ein Ort, den kein Mensch jemals freiwillig aufsuchen würde. Für alle Uneingeladenen sah das Schloss verfallen, um nicht zu sagen, auseinanderfallend aus. Es war einem Schutzzauber zu verdanken, der seit seiner Existenz auf dem Heim der Walküren lag. Blitze zuckten zu jeder Tageszeit über den Himmel und schlugen immer wieder in die zahlreichen Blitzableiter ein. Die Bäume, die meine Schwester vor Jahrhunderte gepflanzt hatten, waren schwarz. Verkohlt, in zwei geschlagen von den Blitzen, die sie trafen als sie groß genug waren.
„Weißt du, wie viele dieser Kreaturen uns heute gegenüber stehen werden?", fragte Juliet. Ratlos zuckte ich unter meinen Umhang mit meinen Schultern. „Nein, aber es werden nicht wenige sein." Es war einer meiner Träume gewesen, der uns hierhin führte. Der Traum eines kleinen Jungens, der dabei zu sehen musste wie seine Familie von blutrünstigen Kreaturen abgeschlachtet wurde. Vampire. Wir hofften, dass der Junge noch immer lebte, wenn wir kamen. Aber sicher war ich mir nicht. Es gab zwei Arten von Vampiren. Die einen waren beherrscht, kühl, intelligent und überheblich. Problemlos fügten sie sich zwischen den Menschen ein, sodass nur die, die wussten worauf sie achten mussten, bemerkten, dass es doch keine Menschen waren. Meist gehörten sie zur privilegierten Gesellschaftssicht. Sie waren schlau genug um einen offenen Kampf mit uns zu vermeiden. Aber dann gab es auch noch die wilden, teilweise verrückten Blutsauger. Ohne auch nur ein Teil der menschlichen Konventionen zu beachten, ohne Rücksicht auf eine Entdeckung erlagen sie ihrem Blutrausch und mordeten wild. Viele von ihnen waren jung. Ihnen fehlte in den ersten Monat tatsächlich der Verstand und keiner hatte sich ihnen angenommen. Aber einige mordeten um des Mordens Willen. Nicht weil sie jung waren oder weil sie Nahrung benötigten, sondern weil sie die Angst ihrer Opfer liebten. Einige behaupteten es wäre das Adrenalin, das kurz vor dem Tod in den Adern dieser Menschen freigesetzt wurde, dass sie immer wieder zu solch grausamen Taten hinriss.
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[01] Traumtänzerin
WerewolfAnja ist eine Walküre. Eine der wenigen, die es auf dieser Welt noch gibt. Sie hat eine einzigartige Gabe mit deren Hilfe sie Nachts durch die Träume der Menschen wandelt. Aber eines Nachts erscheint sie in den Träumen von Sebastian. Einem Werwolf...