fiftyone

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-Sebastian-

„Wie lange denkst du braucht es, bis sie wiederhergestellt ist?" fragte ich Anja und sah über ihre Schulter dabei zu wie sie Glorias Wunde untersuchte.

„Die Wunde heilt gut ab, vermutlich wird sie wirklich in drei bis vier Tagen wieder das Bewusstsein erlangen. Wahrscheinlich wird sie noch schreckliche Schmerzen haben und deshalb auch noch nicht ganz beieinander sein." Gab Anja zu bedenken und drehte die Walküre vorsichtig auf die Seite. „Ich kann es nicht so wirklich einschätzen. Es ist schon lange her, dass ich so eine schlimme Verletzung gesehen habe. Sie hat wirklich Glück gehabt, dass Juliet sie nicht in zwei gespalten hat." Meinte sie leise und sah dann zu mir auf.

In ihren Augen lag so viel Kummer und so sehr ich es auch wollte, es war mir nicht möglich ihr diesen Kummer abzunehmen. Dieser Abend war für sie ein auf und ab der Gefühle gewesen. Die Freude Juliet gefunden zu haben. Der Schock, dass eben diese Gloria fast ausgelöscht hätte. Die Sorge um die junge Walküre. Dann die Beziehung Juliets zu dem Vampir. Anja würde Zeit benötigen um das alles zu verarbeiten. Leider konnte ich ihre diese Last nicht abnehmen. Deswegen tat ich das Einzig mir Mögliche, ich zog sie in meine Arme und versuchte ihr Trost zu spenden.

„Ich möchte sie mitnehmen. Ich will nicht, dass sie hier in dieser Höhle aufwacht." Erklärte Anja irgendwann, nachdem sie die Umarmung zugelassen, ja sogar erwidert hatte. „Sie wird Schmerzen haben und vollkommen orientierungslos sein. Ich will nicht, dass sie dann vielleicht panisch wird, weil sie sich nicht erinnert oder weil es hier allgemein nicht sonderlich schön ist." Meinte Anja und sah sich nochmal abschätzig in der Höhle um. Natürlich hatte sie recht. Die Höhle war kein Highlight. Auch die Möbel konnten nicht über die nassen Wände oder die leicht abgestanden riechende Luft hinwegtäuschen. „Ja, dann nehmen wir sie mit." Es überraschte mich nicht, dass Anja sich um die jüngere Walküre kümmern wollte. Ehrlich gesagt, hatte ich sogar fest damit gerechnet. Es war eine dieser Eigenschaft, die ich an ihr so liebenswert fand. Ihr Mitgefühl für die Menschen, um sie herum. Sie sorgte sich immer um andere und stellte dafür auch ihre eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund.

„Du bist großartig, weißt du das?" fragte sie und sah mich ihren wunderschönen dunklen Augen bewundert an.

„Das Gleiche habe ich soeben von dir gedacht." Erwiderte ich ehrlich und lächelte sie an. Meine Hand in ihren Nacken glitt etwas höher, sodass ich ihren Kopf langsam in meine Richtung drückte und meinen eigenen ihr entgegen neigte. Als unsere Lippen sich berührten war es zart, vorsichtig. Ein sanftes, gefühlvolles Streifen, das nichts mit Fordern oder Nehmen zu tun hatte, sondern ein Ausdruck unserer Gefühle darstellte. Noch einmal streiften unsere Lippen übereinander. Ihre Lippen berührten in einem federleichten Tupfen meinen rechten Mundwinkel, dann zog sie sich zurück und lächelte mich sanft an. Diese Sanftheit, diese Ruhe, die sie in Eben diesen Moment ausstrahlte war ungewohnt. Es war eine Seite, die ich bis zu diesem Moment nicht mit ihr vereint hätte. Anja war wie perlenter Champagner. Sie war lebendig, erzählte und diskutierte gern. Ihre Hände bewegte sie beim Reden und sie schien selbst dann, wenn sie einmal schwieg voller Energie zu sein, schon die nächste Aktion zu planen. Wenn sie zuhörte, dann war sie konzentriert und aufmerksam.

Anja war nicht wie Gloria, die wie ein bunter Flummi durch das Leben sprang, ungerührt davon, wo sie dagegen stieß oder eckte. Aber diese sanfte, vollkommen in sich ruhende, zufriedene Art war mir gänzlich neu, allerdings gefiel sie mir. Ich brachte ihr diese Ruhe, dass wusste ich und es erfüllte mich mit Stolz.

„Kann ich sie einfach tragen, oder sollten wir noch warten?" kam ich dann irgendwann wieder zur Sache zurück. So schön Anja auch war und so sehr ich das Gefühl, sie in meinem Armen zu halten auch genoss, es wurde Zeit, dass wir von hier verschwanden. Dann konnte ich beides sehr bald in einer weitaus besseren Umgebung tun, in aller Ruhe und Ausführlichkeit, ohne die Gewissheit, dass wir einer Vampirhöhle mit einer halbtoten Walküre standen.

Anja blinzelte kurz, nickte dann aber. „Ja, ja klar. Das wichtigste ist bereits verheilt, da sollte nichts passieren. Ich kann sie..."

„Ich weiß, allerdings trage ich sie trotzdem." Unterbrach ich sie entschlossen. Natürlich konnte Anja sie als Walküre genauso wie ich ohne Probleme tragen, allerdings würde ich meiner Gefährtin nicht dabei zu sehen wie sie eine Walküre schleppte, während ich die Hände frei hatte. Damit sollte sie sich abfinden und das tat sie dann auch ohne weitere Proteste. „Okay." Stimmte sie nickend zu.

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg.

„Meinst du, wir können bei deinem Freund unterkommen, bis sie wieder soweit genesen ist, dass uns keiner des versuchten Totschlags verdächtigt?" fragte Anja mich irgendwann. In einer anderen Situation hätte ich über ihre Frage sicherlich gelacht, allerdings war die Frage mit einer blutüberströmten Gloria in meinem Armen nicht annähernd witzig.

„Ja, ich denke schon. Wir müssen es allerdings erst einmal bis dahin unbemerkt schaffen." Antwortete ich deshalb ernst und überlegte, wie wir das am besten anstellten.

___________________

Mit quietschenden Reifen kam das Auto vor mir zum Stehen. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich zu wie Anja ausstieg. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht, ob sie ein Auto fuhr oder nicht. Sie war nahezu immer zu Fuß unterwegs. Deshalb hatte es mich auch überrascht als sie anbot, dass sie das Auto holen könnte. Und nun stieg sie aus, selbstsicher, mit einem leichten Grinsen als wäre dies genau ihr Ding. Es bewies mir wieder einmal wie gut sie sich in diese Welt einfügte. Sie liebte all diese Sachen, die ihr die Zeit bot. Egal, ob es der Nagellack, das Make-Up, Handys oder ein Auto war. Sie liebte es und ging damit um als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Mir wurde klar, dass ich nun doch einen Grund besaß mich mit all diesen Dingen intensiver auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit Anja würde ich diese und auch die nächste und noch viele weitere Zeiten erleben. Ich würde mich mit der Technik auseinandersetzen müssen. Allein um mich an die Menschheit anzupassen. Um mit Anja mithalten zu können. Und ich würde es nur zu gern tun. Weil es Anjas Welt war und weil ich mit ihr in dieser Welt leben wollte.

„Wir müssen sie in den Kofferraum legen." Meinte Anja und lief um das Auto herum um mir die Klappe zu öffnen. Zustimmend nickte ich, auch wenn Anja es womöglich nicht sah. Vorsichtig bettete ich die Walküre in den Kofferraum.

„Soll ich fahren oder möchtest du fahren?" fragte ich Anja.

„Ich fahre." Bestimmte sie lächelnd und hauchte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange bevor sie sich schon wieder abwandte. Sie war dabei so flink, dass ich es nicht einmal schaffte sie zurückzuhalten. Verzückt von ihr oder viel mehr verrückt nach ihr schüttelte ich lächelnd den Kopf und ging zur Beifahrerseite.

Anja fuhr so lässig wie sie auch mit allen anderen Dingen dieser Zeit umging. Aber das sie die Kurven sachte nahm und auch nur langsam beschleunigte oder abbremste lag vermutlich an der Walküre, die im Kofferraum lag.

Als wir in der Werkstatt ankamen, war es bereits später Nachmittag, dennoch war die Werkstatt mit Leben gefüllt. Ein Kunde holte gerade sein Auto ab, während zwei Mechatroniker an einem anderen Wagen arbeiteten.

„Wie bekommen wir sie da unbemerkt rein?"

„Vorerst gar nicht." Gab ich nach einigen überlegen von mir.

„Super." Murmelte Anja sarkastisch.

„Wir warten einfach." Murmelte ich ihr mit einem aufmunternden Lächeln zu und legte meine Hand in ihren Nacken. Bestimmt drehte ich ihren Kopf zu mir und zog sie näher zu mir ran.

„Was wird das hier?" fragte sie mich neckend, ein warmes Lächeln verzog ihre Mundwinkel nach oben und ließ auch ihre Augen leuchten.

„Ein Kuss." Murmelte ich fast lautlos bevor ich ganz langsam meine Lippen auf ihre legte, während wir uns noch immer tief in die Augen sahen. Wir waren einander so nah, dass die Details verschwanden und trotzdem mochte ich nicht die Augen schließen einfach um sie noch immer sehen zu können. Um sie mit all meinen Sinnen wahrnehmen zu können. Meine Finger lagen fest in ihrem Nacken, während meine Zunge vorsichtig den Schwung ihrer Lippen folgte ehe ich zart an ihrer Unterlippe zupfte. Sich mir entgegen lehnend stützte sich Anja in meinem Nacken und auf meinem Oberschenkel ab. Ihre dunklen Augen hielt sie dabei ebenso offen wie ich.

[01] TraumtänzerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt