-Anja-
„Also Lykae, erzähl mir ein wenig über dich!" forderte ich ihn mit ehrlicher Neugier auf. Ich hatte beschlossen ihm eine reelle Chance zugeben, was jedoch nicht hieß, dass ich nicht immer noch wachsam bleibe würde. Unser Essen hatten wir schon bestellt, die Getränke standen vor uns.
„Ich heiße Sebastian." Erinnerte er mich mit einem strengen Zug um seine vollen Lippen. Die Art wie er mich bei seinem Worten ansah, machte mir klar, dass es ihm wichtig war, dass ich ihm bei seinem Namen nannte.
Ich nickte zum Zeichen, dass ich sein Anliegen verstanden hatte. Es war sein gutes Recht. Auch wenn ich stolz auf meine Herkunft war, wollte ich schließlich auch nicht immer Walküre genannt werden.
„Was willst du wissen?" fragte er mich dann, stützte seine kräftigen Unterarme auf den Tisch ab und lehnte sich zu mir vor. Fast hätte ich genießerisch die Augen geschlossen als sein Geruch meine Sinne stärker attackierte, aber nur fast. Noch wahrte ich mir einen letzten Rest Selbstbeherrschung. Fragte sich nur wie lange das noch anhalten würde.
„Alles, was du bereit bist mir zu erzählen." Erklärte ich ihm dann. Tatsächlich war es mir gleich, was er mir erzählte. Sicherlich gab es da die ein oder andere Frage, die ich hatte, aber da ich nicht wollte, dass er mich bedrängte, tat ich es bei ihm auch nicht. Alles zu seiner Zeit und momentan würde ich mich sogar damit zufrieden geben, wenn er mir ein Märchen erzählte. Seine Stimme vibrierte jedes Mal durch meinen Körper, wenn er sprach. Der tiefe, kraftvolle Bariton hatte mich vom ersten Wort an vollkommen verzaubert. Wenn ich ehrlich mir selbst gegenüber war, musste ich zugeben, dass der Lykae mich in der kurzen Zeit, die ich ihn nun kannte, mehr für sich einnahm als es irgendein Mann, unabhängig ob sterblich oder unsterblich in den letzten Jahrhunderten es geschafft hatte. Innerlich war ich gespannt, ob er den Eindruck, den ich bisher von ihm hatte, bestätigen würde. Ja, vielleicht verspürte ich sogar ein klein wenig Angst, dass er mich enttäuschen würde und er doch nicht so war wie ich hoffte. Dass ich wieder allein zurück bleiben würde.
Sebastian überlegte kurz bevor er mir von sich zu erzählen begann. „Ich bin in den schottischen Highlands geboren und gemeinsam mit meinen drei älteren Brüdern aufgewachsen. Mein Vater war Schmied, meine Mutter die zweitälteste Tochter eines Grafen." Als er von seiner Familie zu reden begann, bemerkte ich wie seine Augen anfingen durch mich hindurch zusehen und er immer mehr in der Vergangenheit abtauchte. „Sie war ein Mensch und auch wenn sie meinen Vater abgöttisch geliebt hat, hat sie sich gegen die Unsterblichkeit entschieden." Entsetzten machte sich in breit, als ich begriff was das für seinen Vater bedeutete, was es für Sebastian und seine Geschwister bedeutete. „Sie sind wesentlich älter geworden als die meisten Menschen es zu dieser Zeit sind und sie waren glücklich." Versuchte Sebastian das Grauen in seiner Erzählung zu verharmlosen. Die Lykae waren ebenso unsterblich wie die Walküren. Wenn sie ihre Gefährten fanden und diese nicht der unsterblichen Welt angehörten, hatte jeder Lykae die Möglichkeit seinen Gefährten Unsterblichkeit zu schenken oder mit ihm zu sterben. Sebastians Vater hatte sich ohne Frage für letzteres entschieden, wenn seine Gefährtin die Unsterblichkeit abgelehnt hatte. Dies bedeutete, dass Sebastian und seine Geschwister ihre Eltern auf einmal verloren hatten. „Deswegen war der Älteste, Vincent, auch nur zehn Jahre älter als Luca und ich, und zwei Jahre älter als Nicolas." Erklärte er mir. Es war eine Seltenheit, dass so wenige Jahre zwischen den Kindern eines Unsterblichen lagen. Eine faszinierende Vorstellung mit gleichaltrigen unserer Art aufzuwachsen, eine die ich nie gemacht hatte, da ich meine ersten Jahre unter Menschen verbrachte und meine Mutter mir von Anfang an lehrte, dass ich bestimmte Verhaltensmuster an den Tag legen musste, um nicht aufzufallen. Ich durfte meine Ohren nicht zeigen und musste meine Kraft sowie meine Geschwindigkeit und Ausdauer zügeln.
„Luca ist dein Zwilling gewesen, nicht wahr?" fragte ich nach, in Erinnerung an den jungen Lykae, der ihm so furchtbar ähnlich gesehen hatte und der in seinem Traum mit herausgerissenem Herzen auf den Tisch gelegen hatte. Sebastians Augen klärten sich, ein kummervoller Ausdruck huschte über sein Gesicht, schließlich nickte er zustimmend. „Ja, er war nur ein paar Minuten älter als ich, aber er hat sich einen Spaß daraus gemacht, mich ständig daran zu erinnern, dass ich der Jüngste war." Kurz zuckten seine Lippen nach oben und seine Augen strahlten Wärme aus ehe er seine Gefühle wieder unter Kontrolle hatte.
„Was ist mit Vincent passiert?" fragte ich ihn, aufrichtig an seiner Antwort interessiert. Nicolas und Lucas Schicksal kannte ich immerhin schon.
"Mein Vater war ein guter Freund des damaligen Königs der Lykae. Sie waren fast so etwas wie Brüder, aber als Edward" so hieß der damalige König "sich entschied weiter zu ziehen, da er seine Gefährtin nach einem halben Jahrhundert immer noch nicht gefunden hatte, blieb mein Vater in Schottland. Meine Mutter wollte ihre Familie nicht für immer hinter sich lassen." Mir war bewusst, dass man sich kein Urteil über eine andere Person bilden sollte, wenn man sie nicht persönlich kannte. Trotzdem kam sie mir selbstsüchtig vor. Sebastians Mutter hatte ihrem Gefährten die Ewigkeit genommen, hatte ihm seines besten Freundes beraubt und schlussendlich nahm sie ihren Kindern die Eltern. Sicherlich, sie war ein Mensch und verstand von unserer Art nicht viel, und ich selbst war auch kein Fan dieser Gefährtensache, aber es erschien mir falsch und grausam. Trotzdem sagte ich nichts dazu und wartete darauf, dass er seine Erzählung fortführte. "Vincent hat sich damals dazu entschlossen mit Edward mitzugehen und in seine Dienste zu treten. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen." Sebastian presste die Lippen aufeinander. Ich fühlte mit ihm mit, spürte seinen Schmerz. Über den Tisch hinweg griff ich nach seiner Hand und bekundete ihm stumm, dass ich da war. Er hatte schon in jungen Jahren viel Kummer und Leid ertragen müssen. Kurz sah er auf meine Finger, die klein und wahnsinnig zerbrechlich im Vergleich zu seinen wirkten, umschloss sie mit seiner Hand und blickte mir in die Augen. Erneut hatte ich das Gefühl in ihnen zu versinken, einfach einzutauchen und mich vollkommen darin zu verlieren. Auf einmal verspannte sich mein Gegenüber, zog seine Hand zurück und setzte sich wieder aufrecht hin, sein Blick ging starr und bedrohlich über meine Schulter. Ich warf selbst einen Blick hinter mich und erkannte den Kellner mit unseren Essen. "Magst du Menschen nicht?" Fragte ich ihn verwirrt von seinem Auftreten.
Er grummelte kurz. "Ich mag nur ihn nicht." Gestand er dann.
"Warum? Kennst du ihn?" Fragte ich und spannte mich automatisch auch an, bereit zuzuschlagen, sollte der Kellner eine falsche Bewegung machen.
"Nein, aber er starrt dich die ganze Zeit an. Das gefällt mir nicht." Erklärte er knurrig, einen Moment starrte ich ihn verblüfft an, warf einen kurzen Blick zu dem Jungen ehe ich den Kopf in den Nacken warf und in schallendes Gelächter ausbrach. Der Kellner lächelte mich an als er vor uns die Teller hinstellte. "Lass es dir schmecken!" Sagte er und zog sich mit einem letzten Lächeln in meine Richtung zurück. "Danke!" Rief ich ihm gut gelaunt hinterher.
"Da war es schon wieder!" Meinte Sebastian verärgerte, sichtbar unruhig, dass ich so unbesorgt darauf reagierte.
"Gewöhn dich am besten daran, wenn du wirklich mehr Zeit mit mir verbringen willst, Seb." Schlug ich gelassen vor, innerlich gespannt wie er darauf reagierte, dass ich den gleichen Namen wie sein Bruder für ihn verwendete.
"Warum?" Fragte er verständnislos die Brauen zusammengezogen.
"Ich bin zwar keine Nymphe, aber immer noch eine Walküre. Wir sehen gut aus, was meist die Blicke der Männer auf sich zieht. Manche Sterbliche fühlen sich richtiggehend von uns angezogen." Erklärte ich ihm ohne arrogant wirken zu wollen. Es war immerhin eine Tatsache, an der ich nichts ändern konnte. Sebastian verzog missmutig das Gesicht. "Man gewöhnt sich daran." Tröstete ich ihn und machte mich dann an meine Tomatencremesuppe bevor diese noch kalt werden würde.
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[01] Traumtänzerin
WilkołakiAnja ist eine Walküre. Eine der wenigen, die es auf dieser Welt noch gibt. Sie hat eine einzigartige Gabe mit deren Hilfe sie Nachts durch die Träume der Menschen wandelt. Aber eines Nachts erscheint sie in den Träumen von Sebastian. Einem Werwolf...