-Sebastian-
"Man gewöhnt sich dran." Meinte sie mit einem lockeren Schulterzucken und ich hätte am liebsten jeden Mann den Kopf abgerissen, angefangen mit dem Kellner, dem es nicht interessierte, dass ich sie begleitete. Vivien tauchte ihren Löffel in die Suppe vor sich und ich betrachtete kritisch den Salat, der daneben stand. "Wirst du davon satt?"
Sie sah hoch, den Löffel zwischen ihren Lippen geklemmt und zog ihn langsam wieder heraus. Unwillkürlich folgte ich der Bewegung ihrer Zunge, die über ihre Lippe fuhr.
"Warum sollte ich nicht?" Erwiderte sie. "Ich bin nur halb so groß wie du." Übertrieb sie, aber sie war im Vergleich zu mir wirklich zierlich und klein. "Und ich esse auch kein Fleisch." Fügte sie noch hinzu mit kritischem Blick auf das Steak auf meinem Teller. Daran hatte ich nicht gedacht, aber wenn ich mich richtig erinnerte, ernährten sich alle Walküren vegetarisch.
"Stört es dich, wenn ich jetzt Fleisch esse?" Fragte ich sie und suchte schon nach einer Lösung für dieses Problem. Ich wollte nicht auf das Fleisch verzichten, ich brauchte es, aber wenn meine Gefährtin ein Problem damit hatte, musste ich mir etwas einfallen lassen.
"Solange du mich nicht dazu überreden willst, nicht." Sagte sie dann. Ein Problem weniger, stellte ich erleichtert fest.
"Was ist mit dir?" Fragte ich sie, nachdem ich selbst auch einen Bissen von dem köstlichen Essen genommen hatte.
"Wie meinst du das?"
"Wo kommst du her? Wo bist du aufgewachsen?"
"Die ersten Jahre meines Lebens habe ich in Ägypten verbracht," verriet sie ohne weiteres zögern, ihre Augen funkelten bei der Erinnerung daran. "Meine Mutter hatte sich in eine der Palastwachen verliebt, sodass ich mit den Kindern des Pharaos aufgewachsen bin. Wie verließen Ägypten als der Pharao meine Eltern hinrichten lassen wollte, da meine Mutter sich ihm verweigerte." Erzählte sie mir. Wie alt war sie, dass sie die Zeit der Pharaonen noch mit erlebt hatte? Trotzdem fragte ich sie das nicht. "Wo seid ihr dann hin?"
Sie zuckte mit den Schultern. "Wir haben uns durch Afrika durchgeschlagen. Ich weiß es gar nicht so genau, es ist schon so lange her. Zu dieser Zeit war ich sogar noch sterblich." Wenn wir noch Kinder waren bis in das Alter eines jungen Erwachsenen waren wir ebenso verletzlich und sterblich wie ein Mensch es war. „Als mein Vater starb, ist meine Mutter mit mir zurück zu den anderen Walküren gegangen. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich andere Walküren getroffen habe." Sie grinste breit, ihre Augen leuchteten. "Seitdem habe ich meinen Koven nur selten verlassen und nie länger als ein paar Jahre. Ich habe es geliebt." Das Leuchten verschwand aus ihren Augen als ihr bewusst wurde, dass sie nie wieder in ihren Koven zurück kehren konnte, dass es ihn nicht gab. So wie ich alles und jeden verloren hatte, hatte sie auch alle ihr wichtigen Personen verloren. Und im Gegensatz zu mir hatte sie nicht einmal mehr Artgenossen. Wie lange lebte sie schon unerkannt zwischen den Menschen ohne jegliche Unterstützung?
"Wie lange lebst du schon ohne deinen Koven?" Fragte ich sie. "Fast vier Jahrhunderte." Meinte sie nach einem kurzen Moment des Überlegens. Vier Jahrhundert. In mir zog sich alles zusammen. Was mochte ihr in dieser Zeit alles passiert sein? Am liebsten hätte ich sie das sofort gefragt, hätte sie in meine Arme gezogen und nie mehr losgelassen, sie beschützt, aber ich unterdrückte dieses Bedürfnis erneut. Nickte nur.
"Was machst du jetzt?" Fragte sie nach einem Moment der Stille, in der ich meine Bestie beruhigte und sie ihren eigenen Gedanken nach ging.
"Ich esse gerade mit einer schönen Frau zu Mittag." Antwortete ich etwas verwirrt, aber als ich den leicht ärgerlichen Blick in ihrem Gesicht sah und dann ihr Lachen hörte, was ihre gesamte Gestalt weicher und noch schöner wirken ließ, musste ich schmunzeln. Ich könnte ihr ewig zusehen, wenn sie lachte und den glockenhellen, klaren Klang lauschen. "Ich meinte was du so machst, wenn du nicht gerade mit einer schönen Frau essen gehst." Nahm sie meine Worte auf.
"Ich bin der Bauleiter bei der neuen Schule die in Nord-Ost gebaut wird." erzählte ich ihr.
"Nett." Antwortete sie, doch ihre Mimik verriet, dass meine Antwort sie irritierte. "Was passt daran nicht?" Fragte ich. "Nichts es ist alles okay. Ich hatte nur nicht damit gerechnet. Das erscheint mir so normal für einen Lykae." Gestand sie dann. "Aber ich finde es cool. Magst du deinen Job?"
Bedächtig nickte ich. "Es ist genau das richtige zwischen selber anpacken und das Gehirn anstrengen." Erklärte ich ihr. Ich hatte eine ganze Weile gebraucht und einiges ausprobiert bevor ich den für mich richtigen Beruf gefunden hatte.
"Das ist gut." Stimmte sie dann zu und lächelte mich an. "Bist du dann immer nur in der Woche hier? Die Firma kommt doch aus Thüringen, oder?"
Leicht schüttelte ich den Kopf. "Ja, aber ich habe mir hier eine Wohnung gesucht. Ich bin an nichts und niemanden gebunden." Außer jetzt an dir, fügte ich in meinen Gedanken hinzu. "Was ist mit dir?"
"Ich bin Friseurin." Sagte sie das Offensichtliche. "Und ich liebe es." Plauderte sie weiter bevor ich nachfragen konnte. "Ich wohne seit einem Dreivierteln Jahr hier. Zuvor habe ich fast ein halbes Jahrhundert in der Schweiz gelebt, aber in verschiedenen Orten. Aller ein paar Jahre muss ich halt umziehen bevor jemand merkt, dass ich nicht altere." Verstehend nickte ich. Das gleiche Problem hatte ich auch. „Warum...?" Mein Handy unterbrach mich und ich verfluchte es innerlich. Hätte ich das Alte behalten, könnte uns jetzt niemand stören, das Teil war schließlich dauernd ausgefallen. "Oh verdammt!" Murmelte Vivien mir gegenüber unruhig. "Was ist los?" Besorgt sah ich sie an, während ich nach meinem Handy fischte, um es auszuschalten. "Meine Pause ist vorbei. Ich muss los." Erklärte sie und wühlte in ihrer Tasche herum.
Ich drückte den Anrufer stumm, nicht ohne einen Blick auf das Display zu erhaschen. Es war Rico. Eigentlich müsste ich sofort rangehen, er würde mit Sicherheit nicht umsonst anrufen, doch ich hatte jetzt wichtigeres zu klären. "Ich übernehme das." Erklärte ich ihr und drückte ihr den Geldschein wieder in die Hand, den sie hingelegt hatte.
"Aber..."
"Nichts aber." Entschlossen zog ich ein paar Scheine heraus und legte sie auf den Tisch. Das sollte reichen.
"Danke." Lächelte sie mich an und kapitulierte damit. Ich nickte lediglich. Der Kellner kam uns entgegen geeilt als er sah, dass wir uns erhoben, jedoch wurde er ruhiger als er das Geld auf den Tisch liegen sah. "Hat es geschmeckt?" Erkundigte er sich und sah wieder fast nur zu Vivien. Wenn er weiter so machte, würde ich seinem Gesicht ein paar persönliche Akzente verpassen. Vivien nickte strahlend. "Es war sehr gut, besten Dank an die Küche." Ließ sie ausrichten. Angespannt schnappte ich mir ihre Hand und zog sie weg, bevor der Kellner auch nur etwas erwidern konnte oder ich dazu in der Lage war eine Dummheit zu begehen. Scheinbar hatte meine Walküre es selbst so eilig, dass sie sich nicht einmal dagegen sträubte oder beschwerte.
"Wann hast du Feierabend?" Fragte ich sie als wir wieder zu den Friseursalon liefen.
"Warum?"
"Weil ich dich abholen werde."
"Ich bin nicht schutzbedürftig. Ich komme alleine klar. " Wehrte sie ab. Was sie dabei übersah, war, dass es kein Angebot sondern eine Tatsache war.
"Das weiß ich," Das wusste ich wirklich. Ich musste sie einfach sehen, weil ich ihre Nähe brauchte. Weil sich in mir alles nach ihr, meiner Gefährtin, verzehrte. In meinem Leben gab es nichts Wichtigeres als sie. „aber ich möchte dich heute Abend trotzdem gern wiedersehen." Versuchte ich es auf die weichere Tour.
"Wer sagt denn, dass ich dich wiedersehen will?" Fragte sie provokant und ich knurrte gereizt auf. Das konnte nicht ihr Ernst sein! Sie lachte, berührte mich kurz am Arm, was einen kleinen elektrischen Schock über meine Haut jagte und mich besänftigte. "Keine Sorge, ich bin viel zu neugierig als das ich vernünftig bin." Lachte sie mit einem warmen Lächeln. "Gegen 19 Uhr sollte ich fertig sein. Aber gewöhn dich nicht daran, Seb." Warnte sie mich wieder ernster.
"Woran?"
"Das du immer deinen Willen bekommst."
DU LIEST GERADE
[01] Traumtänzerin
Manusia SerigalaAnja ist eine Walküre. Eine der wenigen, die es auf dieser Welt noch gibt. Sie hat eine einzigartige Gabe mit deren Hilfe sie Nachts durch die Träume der Menschen wandelt. Aber eines Nachts erscheint sie in den Träumen von Sebastian. Einem Werwolf...