-Anja-
„Wie heißt er?" fragte Susi neugierig. Gereizt sah ich auf und erblickte mein übernächtigtes Gesicht im Spiegel. Meine Lippen waren noch immer dunkler als üblich, ebenso wie mein Wimpernkranz. Unter meinen Augen sah man die blauschwarzen Schatten als Resultat all meiner schlaflosen Nächte. Blöder Lykae. Er allein war daran Schuld. Nicht nur, weil ich noch weniger schlief als üblich, da ich die Gefahr ihm noch einmal zu begegnen so gering wie möglich halten wollte, sondern auch weil er mich um meinen Spaß letzte Nacht gebracht hatte. Es schien so als würde er meine Gedanken beherrschen.
„Ich weiß nicht wovon du sprichst." Wehrte ich ab und mimte ein ahnungsloses Gesicht.
Susi lachte gut gelaunt. „Ich habe dich gestern beobachtet. Ich kenne dieses Verhalten." Das hatte ich befürchtete. Ich hatte mich zum Affen gemacht, aber gründlich. Mit all meinem Charme hatte ich gestern einen heißen Typen nach dem anderen an gemacht. Doch jedes Mal hatte ich ihn in die Wüste geschickt, nachdem er mir seine Zunge in den Hals schob. Es hatte einfach nicht gepasst. Es hatte sich falsch angefühlt. Der eine konnte schon gar nicht küssen, der andere hatte nicht fest genug zu gepackt, bei dem nächsten waren mir die Schultern nicht breit genug gewesen. Und so ließ sich die Liste endlos fortsetzten. Bei jedem einzelnen von ihnen waren mir Fehler aufgefallen, wobei Fehler bekanntlich subjektiv waren und ihr größter Fehler für mich darin bestand, dass sie nicht der Lykae waren. Ich hatte einfach nicht mit ihnen schlafen können. Ich hatte sie nicht gewollt, weder mein Verstand noch mein Körper. In meinem Kopf war derzeit eine ziemlich klare Vorstellung für meinen nächsten Bettgefährten, die sich einfach nicht verdrängen ließ, sodass gestern ein Reinfall ohne gleichen war. Am besten ich würde den Lykae suchen, mit ihm meinen Spaß haben und dann einfach verschwinden. Jedoch neigten Lykae nun mal einfach dazu Ärger zu bereiten. Es lag in ihrer Natur. Einfach gab es bei ihnen nicht und unkompliziert genauso wenig. Die Vorstellung einfach so abhauen zu können, ohne dass der Lykae wissen wollte wie ich überleben konnte, ob es noch mehr von mir gab oder sich dann vielleicht sogar dazu verpflichtet fühlte mich zu beschützen, gab es nicht. Vielleicht aber würde er mich auch verraten, wer wusste das schon. Eine jede dieser Szenarien galt es zu vermeiden. Folglich bedeutete das, dass ich demnächst erst einmal auf dem Trockenen sitzen bleiben würde. Vedammter, heißer Lykae. „Du hast einen anderen vergessen wollen, oder?"
„Ja, verdammt." Seufzte ich. Seit gestern Abend hatte sich das Verhältnis zwischen Susi und mir verschoben. Ich überlegte schon jetzt, ob ich nicht die Einladung für nächste Woche annehmen sollte. Auch wenn der Abend aus Sicht meines Sexuallebens kein Erfolg gewesen war, so hatte er meiner einsamen Seele geholfen. Es war schön gewesen und es hatte mich an meinen Koven erinnert. Fast jeden Abend war bei uns irgendetwas los gewesen, still und leise gab es unter den Walküren nicht. Wir Walküren waren laut, lärmt, verrückt und druchgeknallt. Wir liebten alles was bunt und knallig war, stritten wegen jeder Kleinigkeit und nicht selten ging etwas in unserer Nähe zu Bruch. Ich vermisste diese Zeit.
„Da hat sich aber eine Frustration aufgebaut." Stellte meine Chefin fest, die ziemlich trinkfest war, wie ich ihr zugestehen musste. Nach meinem sechsten erfolglosen Versuch hatte ich beschlossen mir die Kante zu geben und Susi und ihre Freundinnen hatten mich dabei tatkräftig unterstützt. Ich wollte gar nicht wissen, wie es Stella und Mira nach diesen Abend gehen musste. Ivonne hatte das wenigste von allen getrunken, was aber daran lag, dass sie auch am wenigsten vertrug, wie sie mir verraten hatten. „Ich will alles wissen."
„Da gibt es nicht viel zu wissen. Er ist heiß und verboten." Erklärte ich nüchtern meine verzweifelte Lage. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet, dass gleich meine erste Kundin kommen würde.
„Verboten also? Ein Freund einer Freundin, oder verheiratet?" fragte Susi aufgeregt.
„Ersteres nein, zweites keine Ahnung." Sofort kam aber in mir die Frage auf, ob der Lykae überhaupt für eine gemeinsame Nacht zu haben wäre. Wenn er seine Gefährtin schon gefunden hatte mit Sicherheit nicht, sonst... vielleicht schon. Falls ich wirklichen dieser kleinen trotzigen Stimme in mir nachgeben wollte, musste ich das als erstes herausfinden. Meine Tarnung auffliegen lassen und dann nicht einmal zum Zug kommen? Das wäre noch erbärmlicher als die Show von letzter Nacht. Aber noch war ich nicht so unvernünftig, sondern noch halbwegs bei klarem Verstand. Die Gefahr, dass er mich verraten könnte war mir zu groß. Es ging schließlich nicht nur um meine eigene Sicherheit.
„Aber warum ist er dann verboten?" fragte Susi verständnislos, als meine Kundin den Laden betrat.
„Weil er gefährlich ist." Murmelte ich ihr noch kurz zu. „Guten Morgen, Frau Schneider." „Vivien, mein Kind, du siehst aber heute gar nicht gut aus." Stellte die ältere Dame fest. Am liebsten hätte ich einen frustrierten Schrei ausgestoßen. Dieser verdammte Lykae raubte mir einfach alles und dabei war ich ihm nur ein einziges Mal im Traum begegnet.
„Das sind die Pollen." Log ich sie ohne rot zu werden an. „Ich schlafe nachts immer so schlecht."
„Armes Ding, mein Sohn hat so..." fing sie an zu erklären, während ich ihr die Schürze umlegte und sie zu dem Becken führte um ihre grauen Haare zu waschen. Anderthalb Stunden später wusste ich wie sämtliche Mittel gegen Heuschnupfen hießen, welche Apotheke die günstigere war und zu welchem Arzt ich gehen sollte und welche Ärzte lieber zu vermeiden waren. Kleine Sünden wurden eben sofort bestraft. Susi amüsierte sich derweil köstlich über meine Situation.
Als das Telefon klingelte, nahm ich ab und presste es mir zwischen Ohr und Schulter, da ich gerade die abgeschnittenen Haare wegfegte. „Spitzenschnitt, Vivien Dittmann am Telefon." Leierte ich freundlich die Standardfloskel herunter und warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Von meinem nächsten drei Stunden Termin war noch keine Spur zu sehen. Es war eine Mutter mit zwei Töchtern, die alle auf einmal dran wollten. Keine zwei Sekunden später stellte sich heraus, dass ich genau diese am Ohr hatte und sie den Termin leider absagen musste. Dass fiel ihre aber früh ein, dachte ich schlecht gelaunt, da ich nun die nächsten drei Stunden nichts zu tun haben würde außer wahrscheinlich Staub zu wischen. Natürlich wollte sie am liebsten schon am nächsten Tag einen Termin für sich und ihre beiden Kinder haben, was jedoch einfach nicht möglich war. Einzeln hätte man die beiden Kinder vielleicht noch irgendwo reinquetschen können, aber zu dritt war es ein Ding der Unmöglichkeit. Wir waren für die nächsten vier Wochen bis oben hin ausgebucht. Mit dem Versprechen, dass ich mich melden würde, wenn etwas früher frei werden sollte, gab ich ihren einen Termin, der einen Monat später war.
Als ich von meinem Terminkalender aufblickte, zuckte ich zurück, das Telefon glitt aus meinen tauben Fingern.
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[01] Traumtänzerin
Manusia SerigalaAnja ist eine Walküre. Eine der wenigen, die es auf dieser Welt noch gibt. Sie hat eine einzigartige Gabe mit deren Hilfe sie Nachts durch die Träume der Menschen wandelt. Aber eines Nachts erscheint sie in den Träumen von Sebastian. Einem Werwolf...