fourtyeight

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-Korrektur ausstehend!-

-Anja-

Als meine Nase den Geruch des Vampirs aufschnappte, wurde mir gleichzeitig heiß und kalt. Sebastian schien meine Anspannung zu spüren, wahrscheinlich hatte er ebenfalls den Geruch des Vampirs wahrgenommen, denn er beschleunigte seine Geschwindigkeit. Ich hoffte, dass wir Gloria noch einholen würden, bevor sie auf Alejandro traf. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass die junge Walküre irgendetwas Dummes machen würde. Eine gefühlte Ewigkeit später, als ich schon glaubte, dass wir sie fast eingeholt hatten, da ihr Geruch immer stärker wurde, ertönte ihre Stimme und in dieser spiegelte sich eine maßlose Wut wieder: „Du ehrenloser Bastard! Wie konntest du nur?"

„Oh mein Gott." Entsetzliche Angst machte sich in mir breit. Ungeachtet unserer vorherigen Abmachungen drängte ich mich an dem Lykae vorbei. Ich musste sofort zu Gloria, ich konnte nicht auf Sebastian warten. Wenig später hörte ich das Tapsen von Pfoten hinter mir. Nur einen kurzen Blick warf ich über meine Schulter, um die tierische Gestalt meines Gefährten zu sehen. Er war riesig, schwarz und im Moment gab es kein Wort, das ihn besser beschrieben hätte als furchterregend. Mit der Gewissheit, dass er mir dicht auf den Fersen war und mich in diesem Kampf nicht allein lassen würde, stürmte ich weiter voran. Auf die junge Walküre und den Vampir zu.

„Wir haben dir vertraut. Casimir und ich. Zum Teufel, selbst Vita hat dir vertraut!" Glorias Stimme war emotionsgetränkt. Laut und mit einem leichten sichern durchbrach sie das Geräusch meines eigenen Herzschlags und der an mir vorbeifließenden Luft. Ungeachtet meiner Sorge um die Walküre, viel es mir auf. Wer war dieser Casimir von dem sie sprach? Nicht einmal hatte sie in den letzten Tag erwähnt. War es nur ein Bekannter, aus der Zeit in dem sie den Vampir kennengelernt hatte, oder bedeutete er ihr mehr?

„Dafür werde ich dich töten." Warnte sie ihm vor. Kaum eine Sekunde später schrie sie auf. „Was ..." die Verwirrung in ihrer Stimme wäre mir in den darauffolgenden Kampfgeräuschen fast nicht aufgefallen. Sie war das einzige Indiz, dass mich auf den kommenden Anblick hätte vorbereiten können. Es war Juliet, die mit einer Axt nach Gloria schlug. Die junge Walküre, die scheinbar gar nicht wusste wie ihr geschah versuchte zurück zu weichen, doch als sie über ihre eigenen Füße stolperte, holte Juliet zum Finalenschlag aus. „Juliet, neiin ..." Meine Stimme verlor sich im Nichts als ich sah wie Gloria zu Boden ging. Jegliche Energie entwich meinem Körper als ich abrupt stoppte. Der Wolf rannte mit einem Winseln in mich hinein, sodass ich überrascht aufschrie als ich der Länge nach hinfiel und einige Zentimeter weiter nach vorn rutschte. Über mir kam er zum Stehen, seine riesigen Pfoten umgaben mich. Ziellos starrte ich auf den Höhlenboden, während mein Verstand die eben gesehenen Bilder zu verarbeiten versuchte. Juliet war auf Gloria losgegangen. Sie hatte die Walküre erschlagen! Hatte sie sie nicht erkannt? Suchte meine innere Stimme eine Entschuldigung für diese Tat. Lag es womöglich an der Haarfarbe? Allerdings sollte Juliet sie trotzdem erkennen. Immerhin hatte sie die gleichen Gesichtszüge wie ihre Mutter. Es musste eine andere Erklärung dafür geben. Wenig später wusste ich, dass ich recht hatte.

„Das Miststück hat dich umbringen wollen." Erklang Juliets grimmige Stimme. In dieser Stimmung war die mir einst so vertraute Walküre unberechenbar. Doch die Juliet, die ich kannte, hätte niemals eine der unseren für einen blutsaugenden Vampir angegriffen.

„Sie war sauer, Juliet. Sie hat gedacht, ich halte dich noch immer gefangen." Erklärte eine mir gänzlich unbekannte Stimme, die ich dem Vampir zuordnete.

„Sie hätte es getan." Hielt Juliet mit der ihr bekannten Reuelosgkeit entgegen. Dieselbe Reuelosigkeit, die sie sonst immer dem Tod eines Vampirs entgegen gebracht hatte. Ich konnte es noch immer nicht glauben.

„Du hättest sie trotzdem nicht umbringen sollen!" nun fauchte er sie fast an. Mühselig rappelte ich mich auf. Allerdings stoppte Sebastian mich, eine seiner Pfoten schob er näher an mich heran, sodass ich zögerte. Seine Haltung war angespannt und konzentriert.

„Bedeutete sie dir etwa etwas? Dann lass dir gesagt sein, Jandro, ich teile nicht." Ich wusste nicht, ob Juliet eifersüchtig war. Ihre Wortwahl ließ diese Gefühlsregung durch klingen. Doch ihre Tonlage sprühte vor Selbstbewusstsein und Entschlossenheit, sodass ich dies bezweifelte. Sie hatte dem Vampir lediglich auf etwas hingewiesen.

„Lass den Quatsch, Juliet. Sie ist die Frau meines Bruders. Natürlich bedeutet sie mir etwas, sie gehört immerhin zur Familie und deswegen nimm jetzt die Axt herunter."

„Die Frau deines Bruders?" fragte Juliet irritiert nach. „Eine schöne Familie ist mir das! In einer Familie beschützt man sich gegenseitig und geht nicht aufeinander los."

Das war mein Stichwort. Sebastians geknurrten Protest ignorierend rappelte ich mich auf und trat an den Eingang. „Genau, dass dachte ich mir auch immer." Juliet wirbelte herum und starrte mich mit großen Augen an. In ihrer Hand hielt sie noch immer die Axt. Ungerührt fuhr ich fort. „Doch dann hast du unsere Schwester mit einer Axt erschlagen." Der Vorwurf war meiner Stimme klar zu entnehmen.

„Anja." Sie machte zwei Schritte auf mich zu, als wollte sie mir entgegen rennen, stoppte sich jedoch selbst. Stumm starrten wir uns an. Ihr Gesicht und ihre Augen erzählten eine Geschichte, die ich so deutete, dass sie mich vermisst hatte, dass sie sich freute mich zu sehen und dass es so viel zu erzählen gab. Aber da war noch mehr. Reue, Unsicherheit, ja vielleicht sogar Scham, Hoffnung. Ich wusste es nicht genau. Allerdings wusste ich, dass auch mein Gesicht nicht ausdruckslos blieb. Dafür bedeutete mir Juliet zu viel, zu lange hatte ich sie nicht gesehen, zu viel hatte ich dafür soeben gesehen, was ich nicht so einfach verarbeiten konnte.

„Was machst du hier?" fragte sie schließlich, als ich stumm blieb und wartete.

Fassungslos sah ich sie an und dann wanderte mein Blick zu Gloria. Das Blut rann nicht mehr aus der Wunde. Die Regeneration musste schon begonnen haben. Dann sah ich zu dem Vampir, der in diesem Moment alles andere als gefährlich aussah. Er war genauso überfordert wie wir. „Was ich hier machen? DU hast dich wochenlang nicht gemeldet, dein Auto ist ein Schrotthaufen! Zur Höller verdammt nochmal, wir haben uns Sorgen um dich gemacht!"

„Sorgen um mich? Ihr habt gedacht, ich bin Tod und wolltet Gewissheit haben." Fauchte sie mich aufgebracht an.

„Was willst du von mir hören, Juliet?" erwiderte ich. „Wir haben von klein auf alles zusammen gemacht. Alles. Nur, weil ich dich die letzten Jahrhunderte nicht mehr gesehen habe, heißt dass noch lange nicht, dass du mir nicht wichtig bist. Also ja, ich habe mir Sorgen gemacht und Isabella, der dein Verschwinden noch vor mir aufgefallen ist mit Sicherheit auch. Wir alle haben gemeinsam vor Jahrhunderten beschlossen, dass die räumliche Trennung besser für uns ist."

Sie presste die Lippen aufeinander. Nickte dann. „Schön, meine Worte waren ungerecht." Gab sie zu. „Allerdings kannst du mir nicht erzählen, dass ich diesem Küken hier irgendetwas bedeute." Sie deutete auf Glorias leblose Gestalt.

„Sprich nicht so verächtlich von ihr." Verteidigte ich die wesentlich jüngere Walküre. „Dieses Küken liebt wahrscheinlich die gesamte Welt, mit Ausnahme von dir jetzt, nachdem du ihr den Schädel eingeschlagen hast." Kam ich nicht umhin hinzuzufügen. Gloria hatte sich Sorgen gemacht, ohne Juliet wirklich zu kennen, sondern weil sie zur Familie gehörte, weil sie eine von uns war. Ohne zu Fragen war sie gekommen, hatte trotz all unserer Auseinandersetzungen nicht einmal überlegt einen Rückzieher zu machen und dabei ihr eigenes Leben riskiert.

„Sie wird darüber hinwegkommen." Meinte Juliet. „Ihre Wunden heilen wieder. In drei-vier Tagen ist sie wieder ansprechbar und in einer Woche merkt sie davon gar nichts mehr." Versicherte sie mir. „Ich spreche aus eigener Erfahrung."

„Juliet!" fauchte ich empört über ihre Gelassenheit in dieser Hinsicht. „Du hast ihr den Schädel eingeschlagen, wäre sie ein Mensch, dann wäre sie jetzt tot."

„Wäre sie ein Mensch, wäre sie nie hier gewesen. Also hör auf mit diesem Unsinn." Verlangte Juliet. „Wir sind keine Menschen und werden es nie sein. So ein Schlag bringt uns nicht um, zumindest nicht dauerhaft." Fügte sie hinzu.

Ich presste die Lippen aufeinander. Hier werden Juliet und ich uns vorerst nicht einigen können. Also war es an der Zeit andere Dinge zu klären. „Was hat es nun mit deinem Verschwinden und dem Vampir auf sich?"

„Er heißt Alejandro." Erklärte die Walküre und streckte die Hand nach dem Vampir aus. Er ergriff sie und trat neben ihr. „Er ist mein Gefährte." Ließ sie die Bombe platzen.

[01] TraumtänzerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt